/ Der Preis der Billigmode: 30 Aussteller auf den Fair Fashion Days sagen der Massenware den Kampf an
Tausende Kilometer von Luxemburg weg stürzt ein Gebäude ein. In Bangladesch. Weit weg, denken viele. Der Unfall löst jedoch eine weltweite Debatte aus, deren zentrale Frage ist: Wer stellt unter welchen Bedingungen Kleider her? Überwiegend sehr schlecht bezahlte Frauen in Asien, ist die Antwort. Ein Streifzug über die Fair Fashion Days am Wochenende in den Rotondes zeigt: Jeder kann dem etwas entgegensetzen.
Nachrichten aus Bangladesch erreichen normalerweise nicht so viel Aufmerksamkeit in den Medien. Diese aber hatte mit Europa zu tun. Als am 24. April 2013 in einem Vorort der Hauptstadt Dhaka ein achtstöckiges Fabrikgebäude einstürzt, geraten europäische Textilhändler in die Kritik. Europäische Marken, die es auch in Luxemburg zu kaufen gibt, lassen dort ihre Kleidung produzieren. Es gibt 1.136 Tote und 2.000 Verletzte, die Opfer sind überwiegend Frauen und Alleinverdiener.
Soziale Errungenschaften wie gerechte Löhne, geregelte Arbeitszeiten, Schutz beim Umgang mit Chemikalien und Brandschutz, die dank den Gewerkschaften in Europa zum Standard gehören, gibt es dort nicht. Es interessierte auch niemanden, denn Gewinnmaximierung durch billige Produktion und Massenverkauf gehören zu den Strategien europäischer Modelabels mit Konfektionsware.
Das sollte nicht so weitergehen. Mehr als 200 Textilunternehmen aus über 20 Ländern haben im Mai 2013, einen Monat danach, ein Abkommen über Brandschutz und Gebäudesicherheit in Bangladesch unterzeichnet.
Spitze des Eisbergs
Firmen wie Adidas, Mango, Auchan oder Camaïeu geben klein bei und verpflichten sich, die Sicherheit der Arbeiter zu verbessern. Das ist auf der Seite bangladeshaccord.org nachzulesen. Es betrifft mehr als 1.600 Fabriken und zwei Millionen Angestellte, wie die Bundeszentrale für politische Bildung schreibt, und ist nur die Spitze des Eisbergs. Zwar haben sich die Einkommen verbessert, fair sind sie noch immer nicht.
„Die Textilarbeiterin im Schlussverkauf“ steht auf einem der Schilder, mit denen die Fair Fashion Days empfängt. Und: „Aktuelles Gehalt: 83 Euro, existenzsichernder Lohn: 336 Euro.“ Das gilt für Textilarbeiter in Ishika in Bangladesch.
Die 30 Aussteller in den Rotondes zeigen, dass es auch anders geht – zugleich chic und bezahlbar. Die meisten Labels, die dahinterstehen, sind im Start-up-Prozess, existieren noch nicht lange und sind nach dem Unfall in Bangladesch entstanden.
Einen gab es schon vorher. Lucien Reger (58) ist der alte Hase unter den Standbetreibern und bereits seit 34 Jahren im Geschäft. Bei „Naturwelten“ in Bonneweg ist alles bio und fair, schon immer. Regler ist außerdem Mitbegründer des Dritte-Welt-Ladens in Esch.
„Ich bin mir schon lange sicher, dass das, was mit den Produzenten in puncto Arbeitsbedingungen passiert, nicht in Ordnung ist“, sagt er. Mit 27 wirft er 1985 seinen erlernten Beruf als Elektriker hin und beginnt einen kleinen Handel zu Hause mit Naturmaterialien. „Von dem Bewusstseinswandel, den es heute gerade bei jungen Leuten gibt, waren die Menschen 1985 weit entfernt“, sagt er. Trotzdem ist er mit der aktuellen Klimaschutzpolitik nicht zufrieden: „Das geht einfach nicht schnell genug.“
Simone Henn
Bei „Einzelstück“ ist jedes Stück ein Einzelstück. Simone Henn (42) stammt aus Trier, lebt in Berlin und macht gebrauchte indische Saris wieder salonfähig. Diese kauft sie auf dem Markt in Jaipur.
Henn ist ausgebildete Schauspielerin, wollte aber nach der Geburt ihres Kindes nicht mehr in den Beruf zurück. Ihre Geschäftspartnerin, eine ehemalige Bühnenbildnerin, näht Blousons daraus und haucht den sieben Meter langen und vier Meter breiten Wickeltüchern neues Leben ein.
„Es sind recycelte Stoffe“, sagt Henn. Die in Indien übliche Sari-Borte veredelt die Jacken am unteren Rand und an den Taschen. „Einzelstück“ existiert seit einem Jahr. „Ich finde es wichtig, dass man Sachen nimmt, die es schon gibt“, sagt die Geschäftsfrau. „Die Stoffe haben eine Geschichte.“
www.einzelstück-berlin.de
Laurent und Pascale Reyter
Laurent (39) und Pascale (37) Reyter aus Küntzig haben sich mit sustained.lu auf Upcycling spezialisiert. Aus alten Skateboards entstehen Schlüssel- und Kettenanhänger. Alte Kaffeesäcke sind die Basis für die Sonnenhüte und Berrets, deren Innenfutter aus Resten der Textilindustrie genäht werden.
Der Staatsbeamte Laurent hat zwei Kinder und betreibt die Online-Handelsplattform seit 2017. Seine Motivation: „Ich will damit zeigen, dass man aus alten Sachen, die vielleicht weggeworfen werden, noch ganz viel machen kann“. Plastikverbrauch einschränken, Upcycling und Konsum einschränken, seine Familie praktiziert das schon länger. „Jeder muss bei sich selbst anfangen“, sagt er. „Ich will meinen Kindern keine Müllhalde hinterlassen.“
www.sustained.lu
Guillermo Ortega
Guillermo Ortega (29) ist ein Expat aus Granada in Luxemburg. Nach einem Studium in Wirtschaftswissenschaften in Spanien und Singapur hat er seine berufliche Laufbahn als Finanzanalyst bei Amazon hierzulande begonnen. Seit Herbst 2018 verkauft er Socken, die in der Türkei hergestellt werden und nach dem „Global Organic Textile Standard“ (GOTS) zertifiziert sind. Die Firma heißt „Natural Vibes“. „Ich denke, es muss eine Veränderung her in der Modeindustrie“, sagt er. „Ich will Teil davon sein.“
Er kennt den Hersteller der Baumwolle in der Türkei persönlich, ist dort oft zu Besuch. Sein Geschäftsmodell ist „social“. Einen Teil der Einnahmen spendet er an „Reforest“. Die NGO betreibt in Sambia Aufforstungsprojekte. „Ich produziere mit meinem Geschäft CO2“, sagt er und ist zuversichtlich, dass „Öko“ und „Fair“ eine große Zukunft vor sich haben. „Die Hersteller werden aufwachen“, sagt er, „das ist das, was die Leute wollen.“
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Bei der Tageblatt-Umfrage fehlt ein wichtiger Punkt, der wahrscheinlich für viele Frauen gilt:
Fair produzierte Kleidung wäre mir sehr wichteg, aber dafür müsste ich Größe 36, 38 oder 40 haben…