Forum / Fakten, Fiktionen und Fake News – und Fabio Martone mittendrin
Journalist*innen sollen mit ihren Fehlern transparent umgehen – etwa, wenn sie Personen interviewen, die gar nicht existieren. Dieses Missgeschick ist dem Luxemburger Wort vergangene Woche unterlaufen, als einer ihrer Redakteure den Autor Fabio Martone via E-Mail interviewte. Dieser hat vor Kurzem einen Roman auf Luxemburgisch mit dem Titel „Ondugen“ bei Hydre Editions veröffentlicht. Das Problem: Fabio Martone existiert nicht, es handelt sich bei ihm um das fiktive Alter Ego eines*r oder mehrerer Autor*innen. Dem Luxemburger Wort fiel das erst nach einem anonymen Hinweis auf und die Zeitung veröffentlichte am Donnerstag einen Artikel, um ihre Leser*innen auf den Fehler aufmerksam zu machen. Fall erledigt, könnte man meinen.
Leider nicht. Denn der haarsträubende Titel des Artikels lautet „Wie viel Fake News verträgt die Kultur?”. Und während die Verfasserin zwar fein säuberlich schildert, was genau schiefgelaufen ist (der verantwortliche Redakteur hat den im Buch offensichtlichen Hinweis auf die Fiktionalität des Autors nicht verstanden, die Redaktion hat ein KI-generiertes Foto, das ihnen der Verlag zugeschickt hat, nicht als solches identifiziert und die hanebüchene Autorenbiografie erweckte auch keinen Verdacht), so kommt sie doch nicht umhin, die Kulturschaffenden des Landes in die Pflicht zu nehmen, der Verbreitung von Fake News entgegenzutreten. Das klingt dann so: „Befeuern […] derjenige, der das Interview gegeben hat, und das Mierscher Theater, das den Kontakt des Journalisten zu Martone hergestellt hat, nicht auch Fake News, also erfundene Nachrichten?“
Fake News sind ein heftiger Vorwurf
Die Frage ist offensichtlich rhetorischer Natur, ich nehme mir trotzdem die Freiheit, sie zu beantworten: Nein, tun sie nicht. Das Gegenteil ist der Fall. Die Person(en) hinter Fabio Martone und das Mierscher Theater haben aufgezeigt, wie leicht sich so manche*r Pressevertreter*in hinters Licht führen lässt – und das vermutlich sogar unfreiwillig. Das ist Kunst. Und wer Kunst, die ja aktionistisch, entlarvend, eulenspiegelerisch sein soll, mit gezielt gestreuten Falschinformationen zur Manipulation der öffentlichen Meinung verwechselt, dem fehlt das analytische Rüstzeug für seine journalistische Arbeit.
Fake News sind ein heftiger Vorwurf. Laut netzpolitik.org sind Fake News „bewusst falsch dargestellte Nachrichten mit dem Ziel, die Öffentlichkeit für bestimmte politische und/oder kommerzielle Ziele zu manipulieren“, seit dem Aufkommen des Begriffs wird er allerdings auch von autoritären Regimen (und, nicht zu vergessen, Lydie Polfer) benutzt, um unerfreuliche Berichterstattung über die eigenen Verfehlungen zu delegitimieren. Der Begriff ist im aktuellen Diskurs ein allzu rasch verwendetes Totschlagargument, um die eigene Position abzusichern und das Gegenüber als Lügner*in darzustellen. Oder, um es in aller Deutlichkeit zu sagen: Wenn ein*e Journalist*in eine Quelle erfindet, um seinem Artikel mehr Gewicht zu geben, dann verbreitet er oder sie Fake News. Wenn ein*e Autor*in eine Person erfindet, macht er seinen Job. Zu diesem Job gehört nicht, einem Journalisten zu sagen, dass diese Person erfunden ist. Das sollte man als Journalist*in schon selbst herausfinden.
Wenn Theater nicht nur auf einer Bühne stattfindet
Dass Autor*innen Heteronyme oder Pseudonyme verwenden, ist Gott weiß jetzt auch keine Erfindung der Postmoderne. Lewis Carroll, der Autor von Alice im Wunderland, hieß mit richtigem Namen Charles Lutwidge Dodgson und nahm als solcher keine Briefe an, die an Lewis Carroll adressiert waren, um der Scharade weiter Vorschub zu leisten. Der portugiesische Autor Fernando Pessoa besaß einen ganzen Stammbaum an Heteronymen, die sich teilweise sogar aufeinander bezogen. Elena Ferrante ist bis heute ein gut gehütetes Pseudonym einer sehr erfolgreichen, neapolitanischen Schriftstellerin, die es 2016 sogar unter die 100 einflussreichsten Personen des TIME Magazine schaffte. Und der französische Schriftsteller Jean Desvignes hat eine ganze Armada an Schriftsteller*innen samt Biografien erfunden, die als Vertreter der von ihm vertretenen Gattung des Post-Exotismus fungieren. Man kennt ihn hauptsächlich als Antoine Volodine, ebenfalls ein Heteronym.
Tragen und trugen diese Leute nun zur Verbreitung von Fake News bei? Nein. Stellt sich „die Luxemburger Kulturszene“, wie das Wort meint, also nicht der Verlag oder das Mierscher Theater, in dem Fabio Martones Stück „Ondugen“ derzeit aufgeführt wird, sondern die ganze Kulturszene, „selbst ein Bein“? Auch nicht. Wenn überhaupt, dann hat Hydre Editions es mit der Figur des Fabio Martone geschafft, zu zeigen, dass Literatur nicht nur zwischen zwei Buchdeckeln wohlportioniert stattfinden muss. Dass Theater nicht nur auf einer Bühne passiert, sondern es auch auf die Seiten einer Zeitung schaffen kann.
Kunst hat die Angewohnheit, die Leute zu düpieren, die glauben, sich ihrem Wirkungsfeld entziehen zu können. Und der kulturellen Präsenz in der öffentlichen Debatte hat diese Scharade auch nicht geschadet. Ich kann mich zumindest nicht an ein Buch erinnern, dem das Luxemburger Wort binnen einer Woche zwei Artikel gewidmet hat – wohlgemerkt, ohne es zu rezensieren. Auf die Buchbesprechung freue ich mich am meisten, vielleicht hat die Redaktion bis dahin ja ihren verletzten Stolz überwunden und nähert sich dem Werk mit der gebotenen Offenheit. Und einem erweiterten Horizont hinsichtlich der Möglichkeiten von Fiktion. Denn das wäre gutes, kulturjournalistisches Handwerk – etwas, was man von der größten Tageszeitung des Landes ja wohl noch erwarten darf.
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