Luxemburg: Senioren und das Coronavirus / Familie und Gespräche sind große Kraftquellen
Wie haben Senioren, die zu Hause oder in CIPA-Häusern leben, den mehrwöchigen Lockdown im März und die folgenden Monate der Pandemie erlebt? In der zweiten Erhebungsphase der vom „Fonds national de la recherche“ geförderten „Crisis“-Studie fragten Forscherinnen der Universität Luxemburg und des „RBS Center fir Altersfroen“ nach dem Befinden von Seniorinnen und Senioren. Themen wie Zukunftsängste, Lebenszufriedenheit, Widerstandsfähigkeit und ein Generationenkonflikt kamen dabei zur Sprache. Dennoch zeichnet der zweite Teil unserer Reportage über die Studie ein überraschend positives Bild über das Erleben der Krise, trotz Phasen von sozialer Distanz zur Familie und Freunden.
Am 1. Juni startete die „Crisis“-Studie der Universität Luxemburg. Die ForscherInnen um Dr. Isabelle Albert wollten dabei den Umgang von Gesellschaft und Pflegeeinrichtungen mit älteren Menschen ab 60 Jahren während des mehrwöchigen Lockdowns und in den Monaten danach untersuchen. Sie konzentrierten sich hierbei auf Faktoren wie mentale Widerstandsfähigkeit (Resilienz) bei Krisenbewältigung, Einsamkeit, Risikolage, Selbsteinschätzung, Selbstbewusstsein und Kommunikation.
In einer ersten Etappe der Studie wurden die Seniorinnen und Senioren Anfang Juni telefonisch und online durch das Umfrageinstitut TNS Ilres befragt. Auch Bewohner eines CIPA („Centre intégré pour personnes âgées“) wurden kontaktiert. In einer zweiten Phase wurde dann die Telefonbefragung der zu Hause lebenden Seniorinnen und Senioren Ende September Anfang Oktober wiederholt kurz vor Beginn der zweiten Corona-Welle in Luxemburg. Von den Ergebnissen der zweiten Studienphase berichteten Altersforscherin Professor Anna Kornadt und Psychologin Dr. Isabelle Albert im Tageblatt-Interview Ende November. Beide Forscherinnen lehren und arbeiten am Institut für Lebensspannenentwicklung, Familie und Kultur der Universität Luxemburg.
„Die älteren Menschen in unserer Befragung gaben häufig an, dass Familie, Partner und die Gespräche mit den Menschen, die ihnen wichtig sind, ihnen geholfen haben, durch die Corona-Krise zu kommen“, schildert Kornadt. Sowohl die Menschen, die zu Hause lebten, als auch die Bewohner von CIPA-Häusern nannten Familie und Kinder als große Kraftquellen in der Krisenzeit. Außerdem erklärten beide Gruppen der Befragten, dass Religion, Gebet und Glaube ihnen eine entscheidende Stütze in schwierigen Momenten waren, berichtet Kornadt weiter.
Offenbar trug auch die eigene Lebenserfahrung zu einem positiven Blick auf die Krisensituation bei beiden Gruppen der Studienteilnehmer bei. „Die Menschen haben uns erzählt, sie hätten bereits viele Krisen in ihrem Leben gemeistert, sodass sie jetzt zuversichtlich waren, auch diese Krise meistern zu können“, ergänzt Kornadt.
In zwei Punkten unterschieden sich jedoch die Antworten der älteren Menschen. Senioren, die zu Hause leben, erklärten, dass sie mehr Sport im Alltag treiben würden, während jene, die in einer CIPA-Einrichtung leben, angaben, „sich mehr auf das geschriebene Wort zu stützen – lesen, schreiben und sich informieren“.
Weniger unternehmen
Als die Forscherinnen im Juni, kurz nach Ende des ersten Lockdowns, die älteren Menschen zu ihren Aktivitäten befragten, erklärten die meisten von ihnen, dass sie „weiterhin weniger unternehmen, um sich selbst, aber auch um andere zu schützen“, erklärt Psychologin Isabelle Albert.
Fast 70 Prozent der Befragten erklärten damals, dass sie kulturelle Aktivitäten weiterhin zurückgefahren haben. Rund zwei Drittel der Senioren (ca. 60 Prozent) sagten, dass sie Anfang Juni wenig ins Restaurant oder ins Café gehen würden.
Und auch in Sachen soziale Kontakte stellten die Forscherinnen deutliche Unterschiede fest. Zwei Drittel der Studienteilnehmer, die telefonisch oder online befragt wurden, trafen sich auch nach Inkrafttreten der Lockerungen im Juni weniger mit Freunden und anderen Menschen. Die Angst vor einer Ansteckung für sich und die Familie überwog für viele Senioren die Sehnsucht, sich persönlich zu treffen.
Immerhin rund ein Viertel der Befragten gaben an, dass sie auch nach dem Lockdown weniger persönlichen Kontakt zu Kindern und Enkeln pflegten. „Außerdem erklärten rund 20 Prozent der Senioren, dass sie weiterhin Arztbesuche (20 Prozent) oder Physiotherapie (rund 15 Prozent) reduziert halten“, erklärt Isabelle Albert.
Angst um die Zukunft
„Die Ängste der von uns befragten Senioren bezogen sich mehr auf die wirtschaftliche Zukunft des Landes als auf ihre persönliche finanzielle Situation“, unterstreicht Albert.
In der Umfrage fiel außerdem auf, dass die älteren Menschen mehr Angst hatten, dass sich eine nahestehende Person mit dem Coronavirus ansteckt als sie selbst. Gleichzeitig waren sich etwa die Hälfte der Befragten bewusst, dass eine Ansteckung im hohen Alter gleichzeitig „einen schweren Verlauf mit sich bringen könnte“, gibt Albert zu bedenken.
Offenbar haben allein lebende Senioren gelernt, besser mit der Situation zurechtzukommen. Nur ein Teil von ihnen gab an, sich während des Lockdowns einsam gefühlt haben. Die Einsamkeit bei Bewohnern von Seniorenhäusern war ähnlich ausgestaltet. Vor allem bei den über 80-jährigen Befragten machte sie sich deutlich. Unabhängig von ihrem Alter und der Wohnsituation hätten viele dieser Personen allerdings die Gesellschaft von Familie und Freunden vermisst, so die Forscherinnen.
Widerstandsfähigkeit in Krisenzeiten
„Rund vier Prozent der Heimbewohner haben gesagt, dass sie vor der Krise mit ihrem Leben unzufrieden waren. Seit Beginn der Krise stieg dieser Wert auf ein Viertel der befragten Bewohner an und lag damit deutlich über dem Prozentsatz bei den unabhängig Lebenden“, erklärt Psychologin Albert. Hingegen gab nur jeder Zehnte der zu Hause lebenden Seniorinnen und Senioren nach Ende des Lockdowns an, mit dem Leben unzufrieden zu sein.
Nichtsdestotrotz haben sich rund 70 Prozent der befragten CIPA-Bewohner vor und nach der Krise als „zufrieden“ mit ihrem Leben bezeichnet. Als Gründe dafür nannten die Forscherinnen die soziale Unterstützung, die die Menschen in der schweren Zeit erfahren haben, und ihr Einverständnis für die Maßnahmen, die getroffen wurden. Deutlich zurück ging die Lebenszufriedenheit bei den Befragten, die nicht mit den in der Pandemie geltenden Regeln einverstanden waren.
Eine weitere Frage, die die Forscherinnen in der zweiten Erhebungswelle im Oktober stellten, lautete: Wie schaffen es manche Senioren, besser durch die Krise zu kommen als andere Teilnehmer? „Über 80 Prozent der Befragten gaben an, dass sie sich schnell von den schwierigen Momenten der Corona-Krise erholen würden. Fast alle Teilnehmer erklärten, dass sie die Krise bisher ohne schwerwiegende Probleme durchgemacht haben.“ Aber nicht alle kamen gut durch diese Zeit. Etwa ein Fünftel aller Befragten erklärte, „Schwierigkeiten zu haben, die Corona-Krise zu überwinden und seit der Corona-Krise wieder zur Normalität zurückzukehren“, berichtet Albert.
Altersdiskriminierung und Generationenkonflikt
„Rund 20 Prozent der Studienteilnehmer haben sich während der Pandemie aufgrund ihres Alters unfair behandelt gefühlt“, sagt Altersforscherin Kornadt über die Ergebnisse der ersten Erhebung im Juni. „Es gibt zwei Aspekte der Altersdiskriminierung.“ Einerseits werde man als „Risikogruppe“ abgestempelt, als der verletzliche Teil der Gesellschaft, um dem man sich kümmern muss. Andererseits machte sich ein Generationenkonflikt bemerkbar: „Wir werden als Schutzbedürftige angesehen, aber gleichzeitig gefällt es den Leuten nicht, uns schützen zu müssen“, fasst die Altersforscherin das Spannungsfeld zusammen.
„Unsere Erhebungen zu den beiden Zeitpunkten kurz nach der ersten und kurz vor der zweiten Corona-Welle zeigen insgesamt ein vorsichtig optimistisches Bild der Erfahrungen und des Erlebens der Menschen ab 60 Jahre in der Corona-Krise“, sagt Albert. Aber: „Auch wenn sich ein positives Gesamtbild ergibt, zeigt sich, dass ein Teil der Befragten die Situation als schwierig erlebt und Probleme bei der Bewältigung der Herausforderungen durch die Krise hat.“ Damit sei es unbedingt notwendig, frühzeitig angemessene Hilfe und Unterstützung zu leisten.
Möglicherweise liefern weitere Studien der Universität Luxemburg wichtige Erkenntnisse zu Methoden für angemessene Hilfe und Unterstützung. Wie Anna Kornadt und Isabelle Albert betonen, möchten sie ihre Forschungen in diesem Bereich vertiefen und beispielsweise untersuchen, wie sich die Corona-Krise auf die Familienbeziehungen auswirkt.
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Untersuchungen über Untersuchungen, wie es im/in der einzelnen Heimbewohner/in aussieht, weiss nur der/ die Betreffende/r. Was nützen da alle grossartigen wissenschaftlicen Studien? Dese Menschen sind von der Aussenwelt abgeschnitten. Und der Personalmangel verbessert ihre Lage nicht. Bis diese Altersforscher/innen ihre teure Studien abgeschlossen haben, wird Corona möglicherweise überwunden sein und eine Vielzahl an Senioren daran gestorben sein. Handeln sollte die Devise sein.