Luxemburg / Familienangehörige der zwei vermissten Menschenrechtsaktivisten in Mexiko melden sich zu Wort
Mit dem Verschwinden von zwei Menschenrechtsaktivisten in Mexiko steht ein in Luxemburg ansässiges Unternehmen in Verbindung. In einer Videopressekonferenz, die die NGO „Association Action Solidarité Tiers Monde“ (ASTM) am 15. März 2023 organisiert hat, werden schwere Vorwürfe erhoben. Die Affäre zeigt, unter welchen rückständig und fast schon feudal wirkenden Verhältnissen Eisenerz in Mexiko abgebaut wird.
Seit zwei Monaten fehlt jede Spur von Ricardo Lagunes und Antonio Diaz. Lagunes ist Menschrechtsanwalt. Diaz vertritt die indigene Bevölkerung der Gemeinde Aquila, in der sich die Mine Las Encinas, die Ternium betreibt, befindet. Das Unternehmen hat seinen Hauptsitz in Luxemburg. Beide waren auf dem Rückweg von einer Versammlung, wo es darum ging, dass der Konzern mit rund 20.000 Mitarbeitern weltweit seine Vereinbarungen nicht einhält.
Das Umfeld, vor dem sich das Drama abspielt, ist komplex. Es geht um Geld, um Lizenzgebühren für das Land, das der Konzern ausbeutet. Beim Nachrichtenportal amerika21 wird Indigenenvertreter Díaz in einem Bericht vom 27. Januar 2023 damit zitiert, dass der Konzern gerne die Freiheit hätte, „sich alles zu nehmen”, was er will. Die Gemeinde ihrerseits pocht auf die Einhaltung der Verträge.
Aus dem Bericht geht ebenfalls hervor, dass Ternium erst nach einem Streik 2012 eingewilligt hatte, den indigenen Kollektivlandbesitzern von Aquila Lizenzgebühren zu zahlen. Aktiv ist das Unternehmen schon viel länger in der Region. Zwischen Bergbau und Bevölkerung hat sich zwischenzeitlich eine organisierte Kriminalität entwickelt, die mit Schutzgelderpressungen einen Teil des Kuchens abhaben will.
Unsicheres und von Gewalt geprägtes Umfeld
Die indigene Bevölkerung reagiert seitdem mit bewaffneten Selbstverteidigungskomitees auf diese Situation. Es ist eine Spirale der Gewalt, in der Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung sind und staatliche Stellen mehr oder weniger machtlos zu- oder wegsehen. Ternium ist Lateinamerikas größter Stahlproduzent und hat im abgelaufenen Geschäftsjahr 2022 einen Umsatz von 16,5 Milliarden US-Dollar ausgewiesen.
Der Konzern fördert in Las Encinas täglich zwischen 12 und 15 Tonnen Eisenerz zur Stahlproduktion. Die Familien der beiden Vermissten erheben schwere Vorwürfe. „Der mexikanische Staat ist eine treibende Kraft hinter den Bergbaukonzessionen, die vergeben werden, ohne die indigene Bevölkerung zu konsultieren”, sagt die Ehefrau des vermissten Menschenrechtsanwalts Lagunes, die wie andere Familienmitglieder aus Mexiko zugeschaltet war. „Hier gilt die mexikanische Verfassung nicht.“
Die beiden Männer sind nicht die ersten und einzigen, die in Mexiko in unsicheren politisch-wirtschaftlichen Gemengelagen verschwinden. „Am 9. März 2023 belaufen sich die gemeldeten Zahlen von Vermissten auf mehr als 112.140 und es sind 56.000 Todesfälle, deren Leichen nie identifiziert wurden, bekannt“, berichtet Arturo Moreno Lagunes, der Vater von Menschenrechtsanwalt Lagunes. „Konzerne wie Ternium müssen Verantwortung übernehmen.“
Konzern weist alle Vorwürfe zurück
Der Konzern reagiert auch prompt, nachdem das Verschwinden bekannt wird. Telefonisch und per Whats App werden die betroffenen Familien von Konzernmitarbeitern mit nichtssagenden Floskeln abgespeist. Ganz davon abgesehen, dass der Konzern jegliche Verantwortung zurückweist. „Das diente einzig und allein dem Zweck, einen möglichen Imageschaden und weitere Nachfragen beim Unternehmen abzuwehren“, sagt Keivan Diaz, der Sohn des verschwundenen Lehrers und Indigenenvertreters Diaz.
Wie perfide die Strategie ist, zeigt, dass Ternium dabei die vermeintlich hohe Analphabetisierungsquote der Indigenen einkalkuliert und versucht, daraus Nutzen zu ziehen, wie Diaz berichtet. Seinen Angaben zufolge haben Treffen zwischen dem Unternehmen und politischen Autoritäten des mexikanischen Bundesstaates unter Ausschluss der Öffentlichkeit und der Familienmitglieder stattgefunden.
Resultiert ist daraus bis jetzt nichts. Die von den USA aus operierende Menschenrechtsanwältin Alejandra Gonza vertritt die Familien und ist nach eigener Aussage in Kontakt mit der luxemburgischen und mexikanischen Regierung sowie den zuständigen Stellen der UN. „Wir brauchen jetzt Taten”, sagt sie. Die Appelle sind klar. „Wir fordern Ternium auf, alles Erdenkliche zu tun, um meinen Bruder und Antonio Diaz zu finden“, sagt Antoine Lagunes, ein weiteres Familienmitglied.
Luxemburgs Wirtschafts- und Außenministerium reagieren mit Briefen
Nachdem das Thema bereits UN-Ebene erreicht hat, meldet auch die NGO ASTM, die den Fall in Luxemburg publik macht, Forderungen an. Sie tut dies vor dem Hintergrund, dass das aktuelle luxemburgische Mandat im UN-Menschenrechtsrat eine Priorität hat: den Schutz von Menschenrechtsaktivisten. In Luxemburg haben sich Wirtschaftsminister Franz Fayot und Außenminister Jean Asselborn eingeschaltet.
Briefe der Ministerien gingen sowohl an die OECD-Kontaktstelle in Mexiko als auch an Ternium. Das Unternehmen hat auf die übliche Weise geantwortet und nach ASTM-Informationen erneut alle Verantwortung zurückgewiesen. Allerdings ist der Brief nicht öffentlich. Dessen Veröffentlichung aber fordern alle. Die Schlussfolgerung liegt nahe.
„Briefe schreiben kann nicht das einzige Mittel für eine Regierung sein, um diese Sache aufzuklären”, sagt ASTM-Co-Koordinator Jean-Louis Zeien. „Wir fordern die Einführung eines nationalen Lieferkettengesetzes, das auch die Holdings solcher Unternehmen zur Einhaltung der Menschenrechte verpflichtet”. Und deren Nichteinhaltung sanktioniert.
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