Editorial / FCK den Hass auf Aktivismus
Der Himmel ist blau, die Möwen kreisen, im Hintergrund rauscht das Meer und es riecht nach Pommes: Es ist ein entspannter spätsommerlicher Nachmittag an der belgischen Küste, an dem ein junger Mensch in einem Restaurant nach seinem Handy greift. Zugegeben, der voyeuristische Blick zum Nachbartisch ist unangebracht, doch genauso ist es die Hülle, in der sein Mobiltelefon steckt: Darauf prangt in großer, weißer Schrift „Fuck Greta“. Es gilt die Unschuldsvermutung – vielleicht ist das bloß die Anspielung auf eine verhasste Bekanntschaft oder Ex-Freundin. Wer nicht hinterm Mond lebt, zweifelt jedoch zu Recht daran, denn der Hass auf eine andere Greta grassiert seit Jahren: die Umweltaktivistin Greta Thunberg.
Im Netz verticken zahlreiche Online-Plattformen Hass-Artikel gegen die heute 21-Jährige, die sich seit Kindesbeinen gegen die Klimakrise einsetzt und der Politik die Stirn bietet. Während Menschen sich die Anti-Greta-Produkte vermutlich voller Schadenfreude bestellen – ja, sie zeigen es dieser Spaßverderberin jetzt so richtig! –, jagt weltweit eine Umweltkatastrophe die nächste. Erst am Samstag rief die griechische Hafenstadt Volos den Notstand aus: In den vergangenen Tagen wurden massenweise tote Süßwasserfische in den Hafen gespült, die wegen Sauerstoffmangel verstorben sind. Es ist die Spätfolge schwerer Überschwemmungen in der Region Thessalien im Vorjahr. Expert*innen bezeugen: Neu ist das Phänomen nicht, doch hat das Ausmaß jetzt noch nie dagewesene Dimensionen erreicht.
Trotzdem scheinen Hass und Hetze gegen Umweltaktivist*innen inzwischen salonfähig bis lustig – Letzteres ist eine Frage des Humors. Würde es bei der Handyhülle und Aufklebern für die Stoßstange des eigenen SUV bleiben, wäre der Restaurantbesucher aus dem belgischen Küstenort keine Zeile wert. Auch wären die Hassbotschaften, die Klimaktivist*innen wie Thunberg treffen, zwar immer noch geschmacklos, aber nur bedingt bedrohlich für die Gesamtgesellschaft. Doch „too bad“, denn in Wahrheit sind diese Aktionen bloßer Ausdruck des tiefgreifenden Hasses gegenüber Umweltschützer*innen jeder Art. Sie deuten vage an, welchen Bedrohungen die Aktivist*innen auf unterschiedlichen Ebenen ausgesetzt sind – von der verbalen Gewalt bis hin zum Mord.
Stimmberechtigte strafen weiter munter die Grünen – immer noch Sinnbild für Umweltpolitik – ab, wie kürzlich bei den Landtagswahlen in Thüringen. Dort muss die Partei jetzt ihre Sitze im Landtag räumen. Einzelpersonen und Organisationen, die sich für Tierrechte starkmachen, erhalten Drohungen der entsprechenden Lobbys. Andere Umweltschützer*innen bangen wegen ihres Engagements um ihre Freiheit, wie aktuell der umstrittene Umweltaktivist und Meerestierschützer Paul Watson.
Der Gründer der „Sea Shepherd Conservation Society“ wurde im Juli in Grönland verhaftet, nachdem die japanischen Autoritäten bereits 2012 einen internationalen Haftbefehl gegen ihn verhängt hatten. Ihm wird unter anderem Sachbeschädigung bei zwei Vorfällen mit einem japanischen Walfangschiff vorgeworfen. Am 5. September entscheidet ein Gericht über die Auslieferung an Japan, wo Watson eine mehrjährige Haftstrafe droht. Weltweit solidarisieren sich Menschen mit Watson und fordern seine Freilassung.
Manchmal bringen Lobbys, Regierungen und Co. unbeugsame Tierschützer*innen und Umweltaktivist*innen radikaler zum Schweigen. Aus dem Jahresbericht 2023 der NGO „Global Witness“ geht hervor: Vergangenes Jahr wurden weltweit 177 Morde an Aktivist*innen registriert, die sich gegen umweltzerstörende Industrien auflehnten. 36 Prozent davon gehörten der indigenen Bevölkerung an.
Natürlich ist sachliche Kritik und eine faire Debatte über die entsprechenden Themen nicht mit dem Mord an Klimaktivist*innen gleichzusetzen. Auch sollte der Kult um jede Person aus Prinzip immer mit Vorsicht genossen werden. Vor dem Hintergrund der genannten Fakten wirkt es aber fast schon grotesk, „Fuck Greta“ zu schreien, oder?
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