Nach Fage-Absage / Fedil-Direktor kritisiert Land der kurzen Wege und geschlossenen Türen
Fedil-Direktor René Winkin geht mit der Regierung hart ins Gericht. Im Tageblatt-Interview kritisiert er Luxemburg als Land der kurzen Wege und geschlossenen Türen. „déi gréng“ seien intern gespalten, das Resultat eine Industriepolitik der Widersprüche.
Tageblatt: Herr Winkin, was läuft bei der Regierung schief? Hat Premier Bettel seine Mannschaft nicht im Griff?
René Winkin: Eins ist klar: Bei der Industriepolitik müsste es besser laufen. Das ist jetzt keine allgemeine Bewertung der Regierung. Aber es ist offensichtlich, dass das hier keinen guten Eindruck macht.
Warum?
Wenn man das aktuelle Geschehen verfolgt, kriegt man einen guten Eindruck davon, wie es momentan aussieht. Das ist nicht aus einem Guss.
Fedil und „déi gréng“ sind nicht gerade einer Meinung in Sachen Fage.
Natürlich sind „déi gréng“ durch ihre Ressorts mehr im Mittelpunkt. Es ist schade, dass die Politik teilweise zweigleisig fährt. Auf der einen Seite ist die Regierung und auf der anderen z.B. die Fraktionspräsidentin Josée Lorsché. Sie nimmt sich die Freiheit, in der Öffentlichkeit zu sagen, was sie von Fage hält – oder dass sie nichts davon hält. Das ist, als würde ich meine Meinung zum FC Liverpool sagen. (lacht) Es geht nicht darum, den Leuten einen Maulkorb zu verpassen. Aber es ist unglücklich, dass zweigleisig gefahren wird.
Ist die grüne Umweltpolitik eine Gefahr für Luxemburgs Industrie?
Wir hatten auch negative Erfahrungen, als die Grünen noch nicht in der Regierung waren. Was bei Fage auffällt, ist, dass wir vom Vizepremier und der Umweltministerin eine unterschiedliche Kommunikation hören. In diesem Fall sind das eben zwei Mitglieder von „déi gréng“. Es geht jetzt um die Frage: Wie sieht die Industriepolitik aus?
In dieser Frage spielt der Rifkin-Prozess eine Rolle. Die Fedil hat ihn unterstützt – was erwarten Sie sich?
Der Rifkin-Prozess hat die Prinzipien der Digitalisierung und des Ressourcenverbrauches aufgeworfen. Das tragen wir mit. Das zeigt sich auch in der Politik, die wir unterstützen: Klimapolitik, Abfallpolitik, Wasserverschmutzung und -verbauch. Der Rifkin-Prozess hat allerdings keine klaren Vorgaben für die Industriepolitik. Ja, mehr Digitalisierung. Aber für die Industrie gibt es keine genauen Richtlinien. Ich glaube nicht, dass der Prozess dafür gedacht war. Es ging eher um eine generelle Vision für Luxemburg.
Wer soll diese Vision in Richtlinien umzusetzen? Muss die Politik der Industrie Vorschriften geben oder ist es an der Industrie, die Richtung vorzugeben?
Ich würde die weiteren Schritte nicht am Rifkin-Prozess festmachen. Hier geht es um Industriepolitik. Es ist klar, dass es politische Wünsche gibt. Es ist unausweichlich, dass sich die Regierung damit befasst. Wobei es schade ist, dass alle fünf Jahre eine neue Zusammenstellung kommt, die das anpasst. Eine solche Umstellung ist auch für die Stabilität der Industriepolitik nicht förderlich. Das erwarte ich auch nicht – zwischen den Parteien gibt es bei Industrie-Fragen keine Monster-Unterschiede.
Aber?
Wir wollen mitreden, weil es unsere Mitglieder betrifft. Die wollen vielleicht ausbauen und fragen sich, ob sie überhaupt erneut in Luxemburg investieren können. Wir wollen uns bei der Entstehung neuer Kriterien miteinbringen.
Wie meinen Sie das?
Schauen Sie sich die Kriterien der Umweltministerin an. Sie sieht Probleme bei Unternehmen, die importieren, exportieren, mit Pendlern arbeiten und billig einkaufen. Falls es sich dabei wirklich um ihre Sicht handelt, hoffe ich, dass andere Minister einschreiten und sagen: „So geht das nicht.“ Für mich ist das Endresultat am wichtigsten. Frau Dieschbourg kann mit ihrer Ansicht kommen und andere Personen kommen mit einer anderen. Das Endergebnis muss aber weiter gehen als: „Ich habe mir das so vorgestellt, es wäre nett, wenn das so sein könnte.“ Das muss schlussendlich auch zu der Handelsbilanz passen.
Dieschbourg hat Ihnen „Greenwashing“ im Dossier Fage vorgeworfen. Wie ressourcenintensiv ist die Produktionsmethode Fage denn wirklich?
Es sei denn, Frau Dieschbourg will den Leuten verbieten, Joghurt zu essen, gibt es zwei Produktionsmethoden: So wie Frau Dieschbourg sich das vorstellt, in einem kleinen Schuppen, oder man macht das industriell. Experten sagen, dass man in einem Schuppen bei einem Liter Milch acht bis zwölf Liter Wasser braucht. In einem industriellen Betrieb sind das ungefähr zwei Liter Wasser. Das ist der Ressourcenverbrauch. Außer es wird gesagt, dass wir keinen Joghurt produzieren. Vielleicht wird es einmal die Technologie geben, dass man das Wasser in einem geschlossenen Kreis mehrmals nutzt. Momentan ist das nicht so.
Es ging auch um Wasser, das aus der Fabrik in die Alzette gepumpt wird.
Das, was da herauslaufen würde, wäre mehrmals abgesichert gewesen. Das Risiko, dass plötzlich Milch durch die Alzette läuft, wäre extrem gering gewesen.
Es ging eher darum, dass die Temperatur der Alzette steigen würde.
Laut meinen Informationen gibt es eine EU-Direktive, die die Qualität des Oberflächenwassers definiert. Das Wasser aus der Fage-Kläranlage hat diese Qualität – Salzwerte und Temperatur mit einbegriffen. Aus der Fabrik läuft etwas raus, von dem ich fast behaupten würde, dass es eine bessere Qualität als das Wasser in der Alzette hat.
Josée Lorsché sagt aber, dass die sieben Alzette-Gemeinden elf Millionen Euro investieren, um die Wasserqualität der Alzette zu verbessern.
Aber das Wasser der Joghurtfabrik würde der europäischen Direktive entsprechen. Ich weiß nicht, ob die Kläranlagen der Gemeinden auf die gleichen Werte kommen – vielleicht. Eine industrielle Kläranlage kann man besser optimieren als die einer Gemeinde, deren Schmutzwasser nicht so einheitlich ist. Aber die Ministerin sagt ja, das wäre so eine große Gefahr für die Alzette. Es ist ihr Job, dafür zu sorgen, dass das nicht der Fall ist. Dafür ist der Kommodo da.
Beim Kommodo geht es auch um die Lebensqualität der künftigen Gesellschaft. Die jüngere Generation muss mit den Konsequenzen der Umweltpolitik leben. Glauben Sie, dass jetzt der Moment für drastische Maßnahmen ist?
Ja, klar. Aber wenn Sie der Meinung sind, dass das Projekt Fage ein Problem für die Jugend ist, dann muss diese aufhören, Joghurt zu essen. Eine Joghurtfabrik wie die von Fage ist die beste Methode, Joghurt zu produzieren. Die Industrie hat einen Nachteil: Die Menschen wollen gerne ein Handy, einen Fernseher, Joghurt – und die müssen hergestellt werden. Das passiert nicht mit null Energie und nicht mit null Wasser. Das Einzige, das man fordern kann, ist also, dass die Industrie das so gut wie möglich macht.
Haben Sie das Gefühl, dass die Industrie das auf die bestmögliche Art und Weise macht?
Das muss man von Fall zu Fall schauen. Bei der Fage-Fabrik handelt es sich um die effizienteste Produktionsmethode. Wenn man es zehnmal klein macht, ist es in der Summe weniger produktiv. So ist das meistens in der Industrie. Natürlich kann man den Prozess immer verbessern.
Sucht die Industrie nach ökologischen Verbesserungen?
Wir kriegen jetzt eine CO2-Steuer und haben ein Emissionshandel-System. Verschmutzung hat einen Preis. Allein durch die marktwirtschaftlichen Kriterien wird dieser gedrückt.
Diese Maßnahmen gehen von der Politik aus.
Ja. Die Industrie beteiligt sich aber an dem Prozess und weiß, dass sie diesen Zielen gerecht werden muss. Die Fedil arbeitet mit ihren Betrieben an freiwilligen Initiativen, wie zum Beispiel bei der CO2-Frage. Wir schauen, welcher Betrieb die Möglichkeit hat, zu elektrifizieren.
Gehen die Betriebe darauf ein?
Ja, wir haben Firmen, die im erneuerbaren Bereich arbeiteten. Leider gibt es auch ein paar, die daran gehindert werden. Wir haben einen Betrieb in Lentzweiler, der Bio-Masse verarbeiten will. Das Gebäude ist aber nicht von der Nachbarschaft erwünscht. Die Industrie ist auch dabei, Dächer mit Solarzellen auszustatten. Es gibt Betriebe, die versuchen, selbst produzierten Strom in den Eigenverbrauch mit einzuschleusen.
Es ist Ihre Aufgabe, sich für Industrie und Investoren einzusetzen. Können Sie überhaupt Umwelt- und Sozialbedürfnisse beachten?
Das ist für uns relativ einfach. Ich habe in der Fedil kein Mitglied, das sagt: „Die Klimaziele müsst ihr abschießen.“ Das Gleiche gilt für den sozialen Bereich. Wir haben beim Home-Office in kürzester Zeit Einigungen gefunden. Natürlich gibt es immer Betriebe, bei denen es finanziell nicht gut läuft. Aber wir haben keine Sozialkonflikte – sogar in der aktuellen Situation. Beim Flugverkehr, dem es sehr schlecht geht, existiert trotzdem ein Sozialdialog. Wir haben Initiativen, die sich mit der Digitalisierung, der Energieeffizienz und Ausbildungen beschäftigen.
Trotzdem gibt es ein Hin und Her in Luxemburgs Industriepolitik.
Wäre ich Handelsvertreter oder Regierungsmitglied eines Nachbarlandes, würde ich die aktuelle Situation voll ausschlachten. Ich würde hingehen und sagen: „Interessieren Sie sich für Luxemburg? Vergessen Sie es!“ Wir haben Konkurrenz in dem Bereich. Wir wollen Unternehmen nach Luxemburg bringen, die Holland oder Belgien auch haben wollen. Auch wenn wir sonst nett miteinander umgehen, hat man der Konkurrenz den Ball zugespielt. Wenn Luxemburg den Ruf hat, dass Prozeduren zu lange dauern, haben wir ein Problem.
Luxemburg wird doch für kurze Wege gelobt, auch zur Politik.
Die Wege sind vielleicht kurz, aber die Türen zu. (lacht) Wir behaupten nicht, dass in Luxemburg alles falsch läuft. Wir wissen, dass es sich hier um ein einziges Dossier handelt, das Probleme bereitet hat – auch wenn es nicht das erste war. Man kann nur hoffen, dass es nicht noch mal so abläuft. Prinzipiell funktioniert das System: Dupont hat ein neues Gebäude genehmigt bekommen, Heintz van Landewyck hat eine neue Fabrik gebaut, Goodyear ebenfalls. Das zeigt, dass Luxemburg von keiner Krankheit befallen ist. Die Verwaltung arbeitet gut mit den Mitteln, die ihr zur Verfügung stehen. Ein Image spiegelt ja nicht unbedingt die Realität wider. Aber wenn es so weitergeht, ist es nicht schwer, eine Geschichte zu weben, die nicht von Luxemburg erzählt wird.
René Winkin
René Winkin fing 1991 als Wirtschaftsattaché und Berater bei der „Fédération des industriels luxembourgeois“ (Fedil) an. 2006 wurde er zum Generalsekretär ernannt und kümmerte sich um die Abteilung für Industriepolitik. Nebenbei war er als Generalsekretär des „Groupement pétrolier luxembourgeois“ aktiv.
Von 2004 bis 2010 fungierte er als Vizepräsident des „Conseil supérieur pour un développement durable“ und arbeitete als Dozent für Wirtschaftswissenschaften am nationalen Institut für öffentliche Verwaltung. Seit 2015 ist René Winkin Direktor der Fedil.
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„Aus der Fabrik läuft etwas raus, von dem ich fast behaupten würde, dass es eine bessere Qualität als das Wasser in der Alzette hat.“
Da könnte der gute Mann Recht haben.Wenn die Alzette in Ettelbrück die Sauer verbittert ist Ende mit Lustig. Bis Wasserbillig kaum Fische.Eine dunkle Brühe. Wie schon erwähnt,wenn Fage nach Belgien zieht wird dasselbe Wasser verbraucht und die gleichen LKW zirkulieren.Nur die Einnahmen werden belgisch sein.Gleichzeitig wird Luxemburg zubetoniert zwecks Wohnungs-und Straßenbau. Ein Widerspruch in Grün.
Ja und weiter? Wollen wir unsere Industriepolitik an einem Yoghurtfabrikanten festmachen, der wahrscheinlich nur wegen, man vermutet ja nur, unseren schönen Nasen sich hier niedergelassen hat. Innovation und Pioniergeist sieht anders aus, der Herr von der Fedil hat auch keine Ideen, wir könnten den Kochbrüdern einen neuen Ofen spenden anstatt auf den Mond zu fliegen. Wir könnten Wasserstoff in Zusammenarbeit mit Linde, Air liquide, Enovos produzieren, wir haben ja Wasser im Überfluss. Tja auch nicht innovativ genug, bin zu alt um neue Ideen zu haben, es reicht nicht Erfolgsgeschichten von mobilen Friseuren auf RTL zu senden.
….von wegen Land der kurzen Wege aber langen Baustellen….siehe Nordstrasse!Und Fage wird wohl IKEA-Nummer 2!