Wetterexperte / Fegte am 29. Juni ein Tornado durch Bissen? So lief Philippe Ernzers Spurensuche vor Ort
Das Thema lässt Philippe Ernzer nicht los: ein möglicher Tornado in Bissen am 29. Juni. Der Luxemburger Wetterexperte hat sich auf Spurensuche begeben – und nun seine Analyse veröffentlicht.
Ein starkes Unwetter ist am 29. Juni über Luxemburg hinweggezogen. Das CGDIS verzeichnete an diesem Tag 2.770 Anrufe und 632 Einsätze. Die Folgen des heftigen Gewitters mit starkem Regen und Wind: überschwemmte Straßen, vollgelaufene Keller und umgestürzte Bäume. Und: Ein Tornado soll möglicherweise in Bissen gewütet haben. Wetterexperte Philippe Ernzer von Météo Boulaide und sein Team, die auch für die Wetterberichte des Tageblatt zuständig sind, untersuchten den Fall – und haben nun eine Analyse veröffentlicht. Im Gespräch mit dem Tageblatt erklärt Ernzer sein Vorgehen.
„Ein Drittel des Schadens durch das Unwetter ist durch den Wind entstanden“, sagt Ernzer. Dabei habe es sich meistens um sogenannte Gewitterfallböen gehandelt. Die Vegetation auf dem Boden würde dabei eigentlich immer in eine bestimmte Richtung fallen. Erste Bilder der Schäden in Bissen hätten aber nicht zu diesem Phänomen gepasst – weshalb Ernzer und sein Team sich kurzerhand selbst ein Bild machten. „Auch die Radardaten haben eine Signatur angezeigt, die nicht unbedingt auf normalen Wind hindeutet“, sagt Ernzer.
Sie haben sich den Ort nicht einmal angeschaut, das ist nicht besonders professionell
Kritisch für die Untersuchung war das Gelände eines Hundevereins in Bissen. Basierend auf den vom Verein erhaltenen Informationen konnten Ernzer und seine Kollegen die ursprünglichen Aufbauten der einzelnen Parcours-Hindernisse ausfindig machen. Der Vergleich mit dem jetzigen Zustand per Drohne macht klar, in welche Richtungen die Hindernisse und sonstige Gegenstände und Trümmer verweht wurden. Der Knackpunkt: „Die Gegenstände sind nicht alle in eine Richtung geflogen, sondern waren wild in der Gegend verteilt“, sagt Ernzer. Weitere Hinweise hätten Bäume auf einem Feld in der Hundeschule geliefert. „Als ich das gesehen habe, dachte ich mir: Du musst das jetzt genauer zusammenfassen.“
Eine Gegenargumentation
Der Bericht sei eine Gegenargumentation. Denn Meteolux habe behauptet, es hätte keinen Tornado gegeben – trotz gegenteiliger Indizien. „Sie haben sich den Ort nicht einmal angeschaut, das ist nicht besonders professionell“, sagt Ernzer. Es sei möglich, dass auch in Biwer ein Tornado sein Unwesen getrieben hat. „Der Deutsche Wetterdienst hat aufgrund von Radardaten und Bildern diese Vermutung aufgestellt“, sagt Ernzer. Doch dort könne keine Untersuchung mehr durchgeführt werden, weil alle Spuren mittlerweile verwischt seien. „Bissen wollte ich aber auf keinen Fall fallen lassen“, sagt Ernzer.
„Ich bin kein Spezialist, um Spuren auf dem Boden zu finden“, sagt Ernzer. Die Suche nach Tornados sei eine Wissenschaft für sich. Aber er kenne einige Muster, auf die man achtgeben müsse. „Deswegen stand ich in engem Austausch mit einem Tornadowissenschaftler aus Deutschland“, sagt Ernzer. Er habe sich in seiner Analyse außerdem auf amerikanische Wissenschaftsliteratur bezogen – und diese Beschreibungen würden perfekt auf die Ereignisse in Bissen passen.
Ernzer habe die Analyse wie eine wissenschaftliche Arbeit aufbauen wollen und sich dafür Feedback eingeholt. Denn: „Das Ziel ist, dass Fachleute daraus Schlüsse ziehen können“, sagt Ernzer. Es sei durchaus üblich, dass bei Vorfällen wie in Bissen solche Dokumente erarbeitet werden. In einer solchen Arbeit ziehe man Vergleiche mit anderen Analysen zu ähnlichen Phänomenen und ziehe auch theoretische Texte zurate. „Das ist alles ganz normal – nur für mich war es das erste Mal“, erklärt Ernzer.
Wichtig für meteorologische Statistik
Die Analyse sei aber unbedingt notwendig gewesen: „Wenn ich es nicht gemacht hätte, hätte es niemand gemacht.“ Und das Fragezeichen hinter dem möglichen Tornado in Bissen wäre für immer stehen geblieben. Allein wegen der meteorologischen Statistik sei es sehr wichtig, diese Frage zu klären. Normalerweise würde sich der staatliche Wetterdienst um eine solche Analyse kümmern – wie beim Tornado in Petingen vor fünf Jahren.
Um herauszufinden, ob es nun ein Tornado war oder nicht, muss man unbedingt zum Ort des Geschehens fahren
Anders als damals handele es sich in Bissen aber um keinen offensichtlichen Fall. Wegen Regen und Dunkelheit seien die Ereignisse versteckt gewesen. „Um herauszufinden, ob es nun ein Tornado war oder nicht, muss man unbedingt zum Ort des Geschehens fahren“, sagt Ernzer. Das dynamische Windmuster der Wetterfront sei für einen Tornado ausreichend gewesen. „In den USA werden diese Erscheinungen ‚spin-up tornadoes’ genannt“, sagt Ernzer. In Bissen habe es sich wahrscheinlich um einen solchen Fall gehandelt.
Sein Bericht werde gerade von deutschen Tornadoexperten überprüft. Das Portal tornadoliste.de unter der Leitung von Thomas Sävert liste alle Tornados in Deutschland und Luxemburg auf. Ernzer warte jetzt darauf, dass seine Analyse bestätigt und vielleicht sogar eine Tornadostärke festgelegt werde. Durch die Bestätigung des Experten würde die Analyse Ernzers zum möglichen Tornado in Bissen zusätzlich validiert werden.
Es sei wichtig, die Liste von Tornados so korrekt wie möglich zu führen. „In Luxemburg gab es mit Sicherheit schon Tornados, die niemand beobachtet hat“, sagt Ernzer. Die Dunkelziffer sei groß. Deswegen sei es in Fällen wie in Bissen – wo Indizien auf ein Tornado hinweisen – besonders wichtig, die Situation zu analysieren.
- Wie Luxemburgs Autobahntunnel mit Spezialfahrzeugen aus der Schweiz gereinigt werden - 26. Oktober 2024.
- Gewerkschaften wollen sich nicht von Ministerin Deprez den Mund verbieten lassen - 24. Oktober 2024.
- Luxemburgs einziger PET-Scanner wird immer anfälliger für Pannen - 17. Oktober 2024.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können.
Melden sie sich an
Registrieren Sie sich kostenlos