/ „Firwat si mir net zu Berlin?“: Theaterstück „3 Schwësteren“ im Kasemattentheater
Daliah Kentges’ Inszenierung von Anton Tschechows Klassiker in einer freien Bearbeitung auf Luxemburgisch von Ian De Toffoli beweist, dass der Bühnenstoff zeitlos ist.
Von Anina Valle Thiele
Sie sind jung, schön und betucht, doch desillusioniert. Lethargisch leben sie in den Tag hinein und jagen geplatzten Träumen hinterher. „Ich bin 27, und mein Gehirn ist schon verkrüppelt“, sagt Irina Prosorow (Lis Dostert), „man beherrscht 3-5 Sprachen und beklagt sich doch den ganzen Tag“, meint Mascha Prosorow (Anouk Wagener). Tschechows Dramen leben weniger von der Handlung als vom Wort, der Stimmung und vom Arrangement der Dialoge. Seine Stücke mäandern zwischen Anspruch und Wirklichkeit, Sehnsucht und Realität.
Die „Drei Schwestern“ (Uraufführung 1901 in Moskau) sind Seelenporträts einer paralysierten Gesellschaft, die symptomatisch für die Müdigkeit der russischen Intelligentsia zu Beginn des 20. Jahrhunderts stehen. Drei Schwestern stellen sich grundsätzliche Fragen wie die, ob Arbeit allein ein befriedigendes Leben garantieren kann.
Regisseurin Daliah Kentges hat die Handlung komprimiert und gnadenlos ins Jetzt gezogen. Ian De Toffoli projiziert Tschechows Klassiker in seiner freien luxemburgischen Adaption auf eine heutige Millenniums-Generation von verwöhnten jungen Frauen, die auf eine bessere Welt hoffen und Luftschlösser bauen. Des langweiligen Lebens überdrüssig, klammern sie sich an ihren Wohlstand und wünschen sich in De Toffolis Textinterpretation nicht zurück nach Moskau, sondern nach Berlin.
Die kleine Bühne des Kasemattentheaters ist spiegelverkehrt angeordnet und in warmes Lila getaucht; als Kulisse dient ein modernes Wohnzimmer mit einem Bett: ein Stillleben wie aus dem IKEA-Katalog. Als Sound zum ursprünglich kammermusikalisch komponierten Stück läuft „Alles Neu“ von Peter Fox, „Alles renkt sich wieder ein“ (Gustav) oder „Burger Queen“ von Placebo. Zu Hip-Hop steuern die Schwestern auf den Untergang zu. Belangloses Geschwätz bestimmt ihren Alltag. „Du bass déck ginn!“ – „Ech och – ech si mockelig ginn …“ Wohlstandsgeplänkel vermischt sich mit der Sorge, bedeutungslos zu sterben. Die für Tschechow charakteristische Dialogkunst des Aneinandervorbeisprechens, an der sich spätere Generationen inspirieren sollten, entfaltet ihre Wirkung.
Luxemburgische Wohlstandsblase
Irina Prosorow träumt von der eigenen Selbstständigkeit, alle drei eint sie die Sehnsucht nach Berlin. Der Traum einer jungen Luxemburger Generation, die an dem Sehnsuchtsort ihre Erfüllung findet: „In Berlin-Kreuzberg – da ist es, wo wir uns am wohlsten fühlen!“ Die ideale Gesellschaft ist für die Schwestern eine, in der „nur noch die arbeiten gehen, die wirklich Bock darauf haben.“ Wenn Überfremdungsängste überhandnehmen, werden etwas wohlfeil politische Statements untergebracht: „Man sagt nicht Flüchtlingswelle!“ Wir werden nicht von Flüchtlingen überschwemmt. Doch wo Wohlstand ist, ist Angst: „Verschiedene sind schon lang da und wollen sich nicht integrieren.“
Die Übertragung in eine luxemburgische Wohlstandsblase der Gegenwart funktioniert. Was ist Scheitern? „Einst war ich Schriftstellerin, heute bin ich Beamte beim Staat.“ De Toffoli verleiht dem Unbehagen jener Ausdruck, die ihr Künstlerdasein zugunsten einer gesicherten Existenz geopfert haben. In Luxemburg sei Scheitern und sich Wohlstand sichern ein und dasselbe, denn es bedeute Stillstand. Die Übertragung von Tschechows Klassiker auf die Luxemburger Realität amüsiert und weckt mitunter Unbehagen, so wenn die Asphyxie der Gesellschaft beschrieben wird: „Rausgehen geht nicht, denn da draußen kennt mich jeder!“
Die drei Luxemburger Schauspielerinnen sind unterschiedlich stark in ihren Rollen. Während Anouk Wagener in ihrer Rolle als Mascha durch ein nuanciertes Schauspiel von Verbitterung über Skepsis bis hin zum Überdruss überzeugt, wirkt Lis Dostert blass und konturlos in der Rolle der Irina. Einige ausgefallene Regieideen schaffen eine hohe Ästhetik, wenn etwa Olga (Eli Johannesdottir) lasziv in einem leeren Bilderrahmen steht. Das begleitende Heft zur Inszenierung bietet zudem einen Mehrwert. In Steckbriefen geben die drei Schwestern Auskunft über ihren Lieblingsautor oder ihren Sehnsuchtsort. De Toffoli hat die Selbstauskünfte humoristisch auf die Spitze getrieben: Olga gibt an, in Berlin leben zu wollen; ihr größter Fehler? „Aus Berlin zurückgekommen zu sein!“ Mascha schwelgt in Sehnsucht. Ihr Lieblingsfilm? „Der Himmel über Berlin“! Irina wäre in einem früheren Leben am liebsten „Lady Di“ gewesen …
Neben einigen Redundanzen (Berlin als Sehnsuchtsort) und der etwas zu starken Loslösung vom Ursprungstext ist es schade, dass es in „3 Schwësteren“ keinen dramaturgischen Höhepunkt gibt; die Handlung plätschert vor sich hin. Das sinnentleerte Leben der Schwestern läuft ins Leere: Was das Leben ausmacht? „Sie schlafen, fressen und saufen und dann kratzen sie ab.“ Zufriedenheit? Ist letztlich nur ein Wort für Stillstand! Das letzte Standbild zeigt die drei Schwestern in einem Rahmen. Die luxemburgische Adaptation erweist sich dennoch als kurzweiliges Stück, das in seiner Übertragung auf ein sattes, beengendes Luxemburg gut funktioniert und zeigt, dass Tschechows über 100 Jahre alter Stoff noch immer aktuell ist.
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