Unesco (Teil 3) / „Fléizen“ in Luxemburg: „Die Leute waren früher nicht auf den Kopf gefallen“
Bei gleich drei Kandidaturen ist Luxemburg aktuell mit dabei, um gelebte Traditionen, Handwerk sowie Wissen aus der Natur von der „United Nations educational, scientific and cultural organization“ (Unesco) als immaterielles Kulturerbe anerkennen zu lassen. Eine Bewerbung bezieht sich auf die traditionelle Bewässerung in Europa und wurde gemeinsam von sieben Ländern eingereicht. Luxemburg ist mit dabei – obwohl das sogenannte „Fléizen“ im Großherzogtum beinahe in Vergessenheit geraten ist. Aber eben nur beinahe.
Ein sonniger Wochentag im April. Auf einer in einem Hang gelegenen Wiese zwischen Esch-Sauer und Eschdorf steht Luc Kieffer – in grünen Gummistiefeln. Der 27-jährige Mitarbeiter vom Naturpark Obersauer will heute zeigen, wie man „fléizt“. Und dabei könnten die Füße schonmal nass werden. Denn hinter dem luxemburgischen Begriff, unter dem viele sich nicht wirklich etwas vorstellen können, verbirgt sich eine traditionelle Form der Bewässerung von Grünflächen. „Fast überall im Ösling findet man an den Bächen Spuren, dass dort ‚gefléizt‘ wurde“, erzählt Luc Kieffer.
Auch in anderen Teilen von Luxemburg haben Menschen früher das Wasser aus natürlichen Quellen durch selbst gebuddelte Gräben auf die Wiesen in der Umgebung weitergeleitet. Einziges Werkzeug: Das sogenannte Wiesenbeil und pure Muskelkraft. „Gefléizt“ wurde vor allem in den Monaten rund um den Frühlingsbeginn, wenn das aus dem Boden stammende Quellwasser eine gewisse Temperatur hatte. Frank Richarz vom „Naturpark Öewersauer“ erklärt: „Das Wasser wurde auf die Wiesen umgeleitet, um Frost und Schnee schmelzen zu lassen. Das Gras fing dann früher an zu wachsen und konnte demnach länger wachsen.“ Das bedeutete mehr Futter für das Vieh und so auch mehr Milch und Fleisch. Eine umweltschonende Art und Weise für einen höheren Ertrag.
Auf der in einer Waldschneise gelegenen Grünfläche in der Nähe von Esch-Sauer kann man Luc Kieffer, Frank Richarz und auch Tom Schmit vom Obersauer Naturpark beim „Fléizen“ zusehen. Seit Ende des vergangenen Sommers verbringen sie immer mal wieder Zeit auf der Wiese, öffnen die Zugänge zu den noch aus alten Zeiten vorhandenen Gräben und üben sich so in der traditionellen Bewässerungstechnik. „Einiges erklärt sich ja von selbst und viel haben wir auch einfach ausprobiert. Zum Beispiel wie breit oder wie tief die Gräben sein müssen“, erklärt der 30-jährige Tom Schmit.
Altes wertschätzen
Wie schon seinen Kollegen ist auch ihm aufgefallen, dass das Gras rund um die Vertiefungen grüner ist und dichter wächst. „Deshalb finde ich es so interessant, das nachzuahmen. Man merkt, dass die Leute früher nicht auf den Kopf gefallen waren“, stellt Tom Schmit mit einem breiten Grinsen fest. Rund 40 Gräben verteilen sich fischgrätenartig über den Hang, durch sieben davon läuft mittlerweile wieder Wasser. Damit ist die Grünfläche auf dem Privatgrundstück eines Landwirtes aus der Umgebung die einzige, auf der aktuell aktiv „gefléizt“ wird. Denn die Technik ist in Luxemburg fast ganz in Vergessenheit geraten.
„Soweit wir wissen, wird sonst nirgends mehr ‚gefléizt‘. Sollte das doch der Fall sein, kann man sich gerne bei uns melden“, erklärt Luc Kieffer lachend und spielt darauf an, dass helfende Hände immer gern gesehen sind. Genug gearbeitet hat in seinem Leben der 73-jährige Nico Ney. Denn der aus Nothum stammende Sohn einer Bauernfamilie hat als Junge selbst „gefléizt“. „Zwischen 1960 und 1965 haben wir damit aufgehört. Es war ja keiner mehr da, um es zu machen, ich bin dann arbeiten gegangen“, erinnert sich Nico Ney als er in der Nähe von Esch-Sauer auf der Wiese steht, auf der nun wieder mit der Methode von früher gearbeitet wird.
Mit der Industrialisierung in der Landwirtschaft wurde damals zunehmend chemischer Dünger verwendet – was weitaus weniger Aufwand bedeutete als das Anlegen der Gräben. Außerdem waren diese für die immer mehr genutzten Traktoren ein Hindernis. Irgendwann wurde in Luxemburg kaum mehr „gefléizt“. Nico Ney allerdings erinnert sich noch gut daran und hat für die Männer vom „Naturpark Öewersauer“ noch einige Tipps parat: „Dein Graben da, der muss gerader sein. Sodass das Wasser sauber durchlaufen kann.“
Wissen weitergeben
In solchen Momenten merkt man, dass der Naturpark mit der Wiederaufnahme des „Fléizens“ ein Ziel bereits erreicht hat: Es wird wieder über die Praxis und Technik geredet und das Knowhow wird von einer Generation an die nächste weitergeben. „Es ist dieser Austausch über das Wissen, das nirgends niedergeschrieben ist – über eine Praxis, die es überall in Luxemburg gab und die doch in den vergangenen 80 Jahren fast ausgestorben ist“, erklärt der Mitarbeiter des Naturparks, Frank Richarz.
Und dieser Gedanke steckt auch hinter der Beteiligung an einer internationalen Kandidatur, um die traditionellen Bewässerungssysteme in Europa von der Unesco weltweit als immaterielles Kulturerbe anerkennen zu lassen. Ende 2020 wurde in Luxemburg eine Arbeitsgruppe gegründet, in der mit Unterstützung des Kulturministeriums unter anderem das Team des „Naturpark Öewersauer“ gemeinsam mit Privatpersonen wie dem zum Thema „Fléizen“ forschenden Alwin Geimer oder dem daran interessierten Marcel Probst die Kandidatur bei der Unesco vorbereitet hat.
Unesco-Kandidaturen: Die dreiteilige Serie
Das sogenannte „Fléizen“, die Transhumanz und die Fähigkeiten, Praktiken sowie das Wissen von Hebammen könnten bald drauf stehen: auf der repräsentativen Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit der „United Nations educational, scientific and cultural organization“ (Unesco). Denn gemeinsam mit anderen Ländern hat Luxemburg drei Kandidaturen bei der Unesco eingereicht, um immaterielles Kulturerbe international anerkennen zu lassen. In einer dreiteiligen Serie werden diese im April im Tageblatt vorgestellt.
Ende März nun wurde das 300-seitige Dokument bei der Unesco eingereicht. Bei der Arbeitsgruppe geht man davon aus, dass auf die Bewerbung eine positive Antwort folgen wird. Mit einer Rückmeldung ist allerdings frühestens Ende 2023 oder gar erst Ende 2024 zu rechnen. Doch ganz egal, wie die definitive Antwort aussehen wird – eines hat man mit der Kandidatur, aber auch der Wiederaufnahme des „Fléizens“ bereits erreicht: Dass die traditionelle Wiesenbewässerung in Luxemburg nicht in Vergessenheit gerät.
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An e puer Joer wäert dann de Bagger komme fir Kultur ze maachen.