Fußball / FLF-Nationalspielerin Jessica Berscheid: „Es war uns wichtig, die Köpfe nie hängen zu lassen“
Vor zehn Tagen schrieb die FLF-Auswahl ein Stückchen Luxemburger Geschichte. Dass die Teilnahme an der WM-Qualifikation kein Zuckerschlecken werden würde, dessen waren sich die Luxemburger Damen bewusst. Innenverteidigerin Jessica Berscheid zog nach dem 0:4 (Nordirland) und dem 0:10 (England) eine erste Bilanz und blickte bereits auf die nächsten Spiele im Oktober.
Tageblatt: Es ist inzwischen eine Woche her, dass Sie mit der FLF-Auswahl der Nummer acht der Welt, England, gegenüberstanden. Ist mittlerweile wieder Alltag angesagt?
Jessica Berscheid: Ja, so langsam ist wieder etwas Normalität eingekehrt. Am Tag nach der Partie ging mir bei der Arbeit schon ein paar Mal der Gedanke durch den Kopf, dass ich ein paar Stunden zuvor gegen Profispielerinnen und große Namen angetreten bin. Ich werde auch noch immer auf die Begegnungen angesprochen. Ich mache derzeit eine Erwachsenenlehre als Verkäuferin in einem Sportwarenladen, da liegt es auf der Hand, dass es das Thema Nummer eins ist.
Sie haben zweimal 90 Minuten auf internationalem Level hinter sich. Wie intensiv waren die Wochen zuvor – und die eigentliche Arbeit auf dem Platz?
Es war definitiv anstrengend. Wir waren dank unseres Fitnesstrainers Kevin Rutare viel besser vorbereitet, als es sonst der Fall war. Da gehört viel Disziplin dazu, denn wir haben auch alle zu Hause unsere Einheiten absolviert. Ich denke, dass wir in Nordirland in der ersten Hälfte etwas vom Niveau überrascht worden sind. Das haben wir in den zweiten 45 Minuten besser gelöst. Wir haben uns auch gut von diesen Strapazen erholt. Gegen England waren es dann noch einmal drei Klassen Unterschied. Die Beine waren schwer und ich war wirklich froh, als die Partie abgepfiffen wurde. Das war schon ein anderer Rhythmus, den wir nicht gewohnt sind. Jede von uns hat für diese Auftritte sehr viel Freizeit opfern müssen. Ich habe das Glück, dass meine Chefin mich dabei unterstützt und ich vor Samstagsspielen früher gehen darf, oder die Arbeitszeiten angepasst werden. Jetzt haben wir auch endlich „congé sportif“ für die Qualifikationsspiele bekommen. Es ist wirklich anstrengend. Nach acht Stunden Arbeit und Training kommt es vor, dass ich erst um 23 Uhr zu Hause bin – und am Tag darauf wieder genau das Gleiche. Das sind lange Tage, aber man macht es gerne.
Das Resultat gegen England fällt aufgrund der drei Gegentreffer ab der 90. Minute mit 0:10 hoch aus. Welche Schlüsse haben Sie nach dieser Partie gezogen?
Ein 10:0 tut weh und fällt auch zu hoch aus. Wir waren in der Nachspielzeit nicht mehr komplett fokussiert – was auf diesem Niveau direkt bestraft wird. Diese 90 Minuten waren nicht nur anstrengend für die Beine, sondern auch für den Kopf. Man muss bis zur letzten Sekunde voll dabei sein. Das ist uns am Ende auf kollektiver Basis nicht mehr gelungen. Drei Gegentreffer in vier Minuten hätten nicht sein müssen … Aber da werden wir unsere Lehren ziehen. Unser Trainer Dan Santos meinte, dass wir dadurch unsere Chance verschenkt hätten, uns auf gute Weise zu präsentieren.
Was lernt man bei solch einer Niederlage denn noch?
Man lernt, mit einem hohen Tempo umzugehen, das man sonst nur im Fernsehen kennt. Man passt sich an und merkt, wie man spielen muss. Unser ganzes Benehmen hat sich verändert, da wir eine Vorbildfunktion haben. Wir wollen unsere professionelle Seite zeigen. Zudem wurde enorm viel Wert auf Teamgeist gelegt. Es war uns wichtig, die Köpfe nie hängenzulassen und erhobenen Hauptes anzutreten. Eine lief für die andere. Das sind alles Kleinigkeiten, die man lernt und die uns besser machen.
Es war wohl jedem bewusst, dass diese WM-Qualifikation für die Frauen-Elf eine große Herausforderung werden würde. Wie schwer ist es tatsächlich, auf diesem Niveau zu bestehen?
Dass wir weder in Nordirland noch gegen England etwas herausholen könnten, war von Anfang an klar. Wir werden Zeit brauchen, um uns zu entwickeln. Das bedeutet nicht, dass wir nicht auch unsere Stärken haben. Aber es sind eben riesige Niveauunterschiede. Für den Kopf, für die Beine … Diese Begegnungen gehen an jede Körper- und Nervenzelle.
Diese Teilnahme kam zu einem Moment, in dem der Aufschwung des Frauenfußballs in Luxemburg deutlich spürbar ist. Was bekommt man als „alter Hase“ davon mit?
Überall entstehen neue „Jeunes filles“ oder „Cadettes“-Mannschaften. Früher haben wir immer nur in den Teams der Jungs mitgespielt. Aber inzwischen ist die Anzahl an Mädchen enorm gestiegen. Es wird darüber geredet und in den Vereinen werden die Frauen endlich richtig unterstützt – in manchen sogar mehr als die Männer. Es sind manchmal Kleinigkeiten, die viel bewirken können. Unsere U17 hat ihr Gruppenspiel gewonnen. Dafür hätte sich vor ein paar Jahren niemand interessiert. Wenn ich mit jungen Mädchen spreche, sage ich ihnen immer: Traut euch!
Sie gehören zu den Spielerinnen, die in jungen Jahren den Weg ins Ausland gesucht haben. Würden Sie das allen empfehlen?
Auf jeden Fall. Auch wenn das Niveau in Luxemburg mittlerweile höher ist als damals. Aber wenn ich noch einmal entscheiden müsste, würde ich es wieder tun. Ich bin mit 16 nach Deutschland gegangen. Damals war es ein ganz anderes Niveau, an das ich mich erst gewöhnen musste. Ich wurde dadurch sowohl körperlich als auch mental fitter. In diesem Sommer bin ich nach Luxemburg zurückgekommen, da es an der Zeit war, Arbeit, Schule und Fußball zu kombinieren. Ich fühle mich sehr wohl in Mamer und bin positiv überrascht: So gut hatte ich das nämlich nicht in Erinnerung.
Beim Blick auf die anderen Ergebnisse der verschiedenen Gruppen in der WM-Qualifikation wird deutlich, dass es auch andere Teams schwer hatten. War diese Teilnahme aus nationaler Sicht ein absolutes Muss?
Ich kann mich genau an diesen Tag erinnern, als uns Dan Santos darauf ansprach. Er erklärte uns, dass wir die komplette Unterstützung des Präsidenten hätten – aber jede von uns mit dieser Teilnahme einverstanden sein müsste. Irgendwann muss man anfangen, auch wenn es schwer ist. Wir können zufrieden sein, wenn wir am Ende einen Punkt haben. Aber dieser Schritt ist wichtig, denn nur so kommt man weiter. Wir mussten erst einmal auf den Hintern fallen, um zu sehen, woran wir arbeiten müssen.
Der erste Schritt ist getan. Was sind die nächsten Ziele?
Irgendwann Punkte zu holen und Tore zu schießen. Es gibt in unserer Gruppe mit Lettland und Nordmazedonien zwei Gegner, an denen wir uns wirklich messen können. Die sind in etwa auf Augenhöhe. Unser Ziel muss es sein, dagegenzuhalten und mitzuspielen. Die Chance dafür bietet sich uns bereits in einem Monat. Wir werden mit jeder Partie besser.
An der Unterstützung der Zuschauer mangelte es bei der Premiere im Stade de Luxembourg jedenfalls nicht. Hätten Sie sich das erwartet?
Auch wenn man vorher schon internationale Spiele bestritten hat, war das noch einmal etwas ganz anderes. Bereits beim Abschlusstraining im Stadion schießen einem die Gedanken an das Spiel durch den Kopf. Man sagt sich: Es kommen Leute, um dich zu sehen und zu unterstützen. Das ist echt beeindruckend. Ich denke nicht, dass wir schon einmal vor so vielen Menschen gespielt haben. Es ist schön zu sehen, dass sich die Wahrnehmung draußen geändert hat. Es macht mich stolz, dazuzugehören.
U17 feiert Kantersieg
FLF-Damentrainer Dan Santos hatte in den vergangenen Tagen ein volles Programm. Wenige Tage nach den internationalen Begegnungen der Frauen begann die U17-Qualifikationskampagne. Die Gruppenphase der FLF-Mädchen wird in Luxemburg ausgetragen. In der ersten Partie gab es trotz besserer Spielanlagen eine 0:2-Niederlage gegen Weißrussland – beide Tore fielen nach Standardsituationen. Deutlich besser lief es dann am Montagabend im Käerjenger Dribbel gegen Georgien. Die FLF-Elf setzte sich 10:0 durch. Die Tore gingen auf das Konto von Caroline Magalhães (3x), Luisa Bras (6x) und Rachel Kirps. Dadurch haben die Luxemburgerinnen noch die Chance, die Gruppe 1 der League B auf Platz zwei abzuschließen und sich möglicherweise so für die nächste Runde zu qualifizieren. Die entscheidende Partie gegen Kosovo findet am Donnerstag um 18.00 Uhr in Bissen statt. (chd)
Steckbrief
Jessica Berscheid
Geboren am 30. Juli 1997
Position: Innenverteidigerin
Vereine: Wintger, SV Bardenbach, Bitburg (beide D), Wallonia Sibret (B), Bitburg (D), seit Sommer 2021 Mamer
Nationalmannschaft: 24 Spiele, damit auf Platz vier der FLF-Rekordnationalspielerinnen
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