/ Folklore 2022: Die Europäische Kulturhauptstadt sucht nach Projekten
Eigentlich ist es eine gute Nachricht. Die Direktion von „Esch 2022“ will noch vor den Sommerferien die Büros in der Gebläsehalle auf Belval beziehen. Vor einem Jahr wäre das noch undenkbar gewesen. Damals plante der DP-Wohnungsbauminister den Abriss der Halle und die nationale Denkmalschutzbehörde war der festen Meinung, das Dach und die Fassade seien in einem schlechten Zustand. Wegen „Sicherheitsbedenken“ gab der Staat nicht einmal den Schlüssel für Besichtigungen heraus. Seitdem wurde nichts an der Halle renoviert. Daher ist es schon beachtlich, wie schnell sich „Tatsachen“ ändern können, wenn der politische Druck hoch genug ist. Die rezenten Entwicklungen rund um die Europäische Kulturhauptstadt und die Neuaufteilung der Ministerressorts nach den Parlamentswahlen haben demnach auch positive Auswirkungen auf „Esch 2022“.
Nach den „Entlassungen“ der Koordinatoren Janina Strötgen und Andreas Wagner sei jetzt wieder Ruhe bei „Esch 2022“ eingekehrt, heißt es allenthalben. Die neue Generaldirektorin Nancy Braun und der Künstlerische Leiter Christian Mosar haben in den vergangenen Wochen Bekanntschaft mit dem Süden geschlossen. So haben sie entdeckt, dass das Rathaus der Gemeinde Sanem nicht in Sanem, sondern in Beles steht, wie Braun kürzlich im Vorfeld einer Pressekonferenz erzählte. Das Auftreten der beiden Neuen unterscheidet sich grundsätzlich von dem ihrer Vorgänger. Sie sind weniger Künstler als Verwalter. Und sie scheinen sich den Vorgaben des von Politikern und hohen Beamten dominierten Verwaltungsrats bedingungslos zu beugen. Diese Ergebenheit unterscheidet sie grundsätzlich von Strötgen und Wagner, die mittlerweile seit über sechs Monaten arbeitslos sind und sich auf den Gerichtsprozess gegen „Esch 2022“ vorbereiten.
In zwei Tagen werden Nancy Braun und Christian Mosar gemeinsam mit der grünen Kulturministerin Sam Tanson und dem CSV-Vorsitzenden der „Esch 2022 asbl.“, Georges Mischo, den Projektaufruf vorstellen. Man wünsche sich mehr „populäre Kultur, Folklore und assoziative Aktivitäten aus dem Alltag“, sagte Christian Mosar dem
Luxemburger Wort.
Wie Nancy Braun gestern auf Nachfrage bestätigte, müssen sich aber auch die Künstler, die bereits im Bid Book stehen, neu bewerben, weil viele dieser Projekte nicht durchdacht gewesen seien. Betroffen davon ist zum Beispiel die Performance x-mal Mensch Stuhl von Angie Hiesl. Auch der Komponist und Audio-Designer Daniel Teige zeigte sich „verwirrt“ über die Entscheidung der neuen Direktion. Beide wissen noch nicht, ob sie sich ein weiteres Mal bewerben wollen. Die Ai-Weiwei-Ausstellung wurde gar ganz verworfen, wie Nancy Braun bestätigte.
Das ist insofern problematisch, als solche wegweisenden Projekte maßgeblich dazu beigetragen haben, dass die europäische Jury der Stadt Esch und der Südregion den Titel Europäische Kulturhauptstadt 2022 erst verliehen hat. Manche dieser Künstler haben schon viele Stunden Vorarbeit geleistet und riskieren nun, dass ihr Projekt doch nicht angenommen wird. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob diese Vorgehensweise überhaupt rechtens ist.
Endlich gehe es bei „Esch 2022“ wieder um Kultur, wurde zuletzt behauptet. Die Frage ist nur, um welche Kultur? Denn wenn jetzt auch der letzte Bürgermeister der Teilnahme seiner Gemeinde zugestimmt hat, nur weil sein an Mitgliederschwund leidender Verein nun vielleicht einen Zuschuss für sein „Dëppefest“ versprochen bekommen hat, wird das jedenfalls weder die Einheimischen vom Hocker reißen noch Touristen dazu bewegen, in drei Jahren die Minetteregion zu besuchen.
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