Luxemburg / Frau wehrt sich nach Belästigungen: „Ich bin nicht körperlich verletzt, aber seelisch“
Der Ausflug einer Frau von Luxemburg-Stadt nach Esch hat sich am vergangenen Wochenende in einen Spießrutenlauf verwandelt. Anzügliche Blicke, Anfeindungen und Belästigungen musste sie aushalten – von ihren Erfahrungen berichtete sie später in sozialen Netzwerken. Das Tageblatt hat sich mit der Betroffenen unterhalten.
„Wenn ich Revue passieren lasse, was geschehen ist, werde ich wütend“, sagt Irène. Während sie spricht, schieben sich blonde Strähnen vor ihr Gesicht. Sie streicht die Haare mit einer jähen Bewegung zurück und runzelt ihre Stirn. Auf ihrem Schoß liegt ein schmaler Stapel Blätter. Es sind Notizen, die sie sich gemacht hat, um im Gespräch nichts zu vergessen. Irène wollte nur über Videocall mit einer Tageblatt-Journalistin sprechen – die Redaktion in Esch aufzusuchen, traute sie sich nicht. „Zu viel Angst“, sagt sie. „Es gibt sicher jetzt viele Leute, die mein Gesicht kennen.“
Mit dem Satz spielt Irène auf den Grund an, warum dieses persönliche Gespräch überhaupt stattfindet. Am vergangenen Wochenende veröffentlichte die Luxemburgerin auf Facebook und Instagram jeweils einen Post. Darin machte sie sich Luft wegen einer Reihe von Belästigungen, die sie am Samstag über sich ergehen lassen musste. „Es war ekelhaft“, erzählt Irène. Sie versucht, sich die Geschehnisse, so gut es geht, zu vergegenwärtigen. Zunächst sei sie mittags am Hauptbahnhof in Luxemburg-Stadt unterwegs gewesen, von dort aus habe sie später den Zug nach Esch genommen. „Ich wollte ein Museum besuchen, ich war gut gelaunt“, schildert Irène mit noch immer gerunzelter Stirn. Die Zeit am Bahnhof habe sie am Telefon verbracht. Neben den „üblichen Beleidigungen und Belästigungen“ sei sie wiederholt von Männern aggressiv angesprochen worden, sodass sie ihren Gesprächspartner zwischendurch nicht mehr verstanden habe. „Ich bin mir vorgekommen wie eine Beute, die auf dem Silbertablett serviert wird“, schildert Irène.
Verbale und körperliche Attacken
Im Zug sei es dann ähnlich weitergegangen. Sie habe Kopfhörer getragen, weil sie diese „Scheuklappen“ brauche – zum Ausschalten der sich ihr von links und rechts aufdrängenden Stimmen. „Doch ich habe trotzdem wahrgenommen, was gesagt wurde“, erzählt Irène. „Passe ton snap“, habe ein Mann ihr zugerufen, ein anderer habe sie lautstark mit den Worten „sale pute!“ beleidigt. Irène habe daraufhin versucht, einen Kontrolleur ausfindig zu machen, doch ihr Streifzug durch die Waggons sei erfolglos geblieben. „Mein Blick blieb an der respect-Kampagne hängen, die im Zug aushing“, erzählt die junge Frau. „Ich habe den Zettel in die Hand genommen und umgedreht – da waren aber keine nützlichen Hinweise darauf.“ Wie sie sich verhalten sollte, habe sie danach noch immer nicht gewusst.
Leider habe sich die Lage auch in Esch nicht verbessert. „Eh! T‘es une néerlandaise?“, habe ein wildfremder Mann sie auf der Straße gefragt. Ein anderer habe an ihrer Stelle geantwortet: „Elle est russe! C‘est encore pire.“ Daraufhin hätten die umstehenden Männer gelacht und mit dem Finger auf sie gezeigt. Mit den Worten „Ech schwätze Lëtzebuergesch“, setzte sich Irène zur Wehr.
Neben den verbalen Angriffen erlebte sie auch körperliche Grenzüberschreitungen. So sei ein Mann auf einem Roller in vollem Bewusstsein auf sie zugerast und habe sie angestoßen. Die Situation beschreibt Irène als eine Zumutung. Sie handelte, indem sie den Mann in scharfem Ton zurechtwies und wenig später drei Streifenpolizisten, die mit einem Hund unterwegs waren, über das Erlebte in Kenntnis setzte. „Einer hat mich gefragt, ob ich verletzt sei“, berichtet Irène. Danach hätten die Polizisten ihr zugesichert, dass sie der Sache auf den Grund gehen würden. Was daraufhin mit den Männern passierte, wisse sie nicht. Ihre Erzählung beschließt Irène mit den Worten: „Ich bin nicht körperlich verletzt, aber seelisch.“
Sich mit Worten wehren
„Es ist eine Zumutung für jede Frau“, unterstreicht die Luxemburgerin. „Denn ich bin nicht die Einzige, der solche Dinge passieren.“ Das hätten die Reaktionen auf ihren Post bewiesen. Sie hätten infolgedessen eine Unmenge an öffentlichen Kommentaren oder privaten Nachrichten von Leidensgenossinnen erreicht. „Es ist völlig egal, wie du aussiehst und wie alt du bist“, sagt Irène. Sie selbst habe am Samstag einen langen Rock und ein Shirt mit Rollkragen getragen. Für jede Frau gehöre es dazu, dass man ihr nachpfeife oder ihr Sachen hinterherrufe. Doch das lasse sie sich nicht gefallen. „Ich bin nicht die Zielscheibe für die Frustrationen von Männern“, bekräftigt Irène und ballt automatisch ihre Hände zu Fäusten. „Ich wehre mich mit Worten.“
Leider hat das nicht immer nur gute Folgen. Denn neben dem positiven Echo, das Irène in „überwältigendem Maße“ auf ihre Posts erhalten habe, seien auch wütende Gegenreaktionen nicht ausgeblieben. Irène liest einige Sätze vor, die sie aus ihrem Postfach fischte – es sind Beleidigungen übelster Art, die darauf abzielen, sie als Frau abzuwerten. „Geh zurück in die Küche“, schrieb ein Fremder ihr. Ein weiterer Nachrichtenverfasser unterstellte ihr, alles erfunden zu haben, denn sie sei „ja nicht schön“. „Es reicht“, sagt Irène. „Ich prangere das an.“
Irènes Post nutzten verschiedene User auch als Gelegenheit, Stimmung gegen Ausländer zu machen. „Diese Kommentare like ich nicht“, sagt Irène. Sie fände es schade, dass ihr öffentlicher Aufschrei so missbraucht würde. „Dabei kann auch ein Luxemburger Französisch reden“, merkt Irène an. Sie würde versuchen, die Kommentarspalte unter ihrem Post zu managen. Für sie sei es einfach wichtig gewesen, die Erfahrungen von Frauen zu einem Thema zu machen. „Es ist eine Freude, dass mein Post geteilt und deswegen nun darüber diskutiert wird“, sagt Irène. Auch wenn sie noch nicht absehen könne, was vielleicht noch daraus entstehe.
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„Vieux pépère tu as quelques sous pour moi ?“ So angesprochen vor der Escher Gare, am frühen Nachmittag, aus einer Gruppe von Männern heraus. Respekt null, Erziehung null, Frust über eigenes Versagen.
Bereits 2012 hatte eine junge Belgierin mit Hilfe von selbst gemachten Aufnahmen eine Film-Doku mit dem Titel „Femme de la rue“ realisiert, in der vor 9 Jahren in den Strassen bestimmter Brüsseler Viertel praktisch die selben Szenen zu sehen waren, wie sie „Sirène Weis“ heute in Esch erlebte. Die Film-Doku von 2012 brachte den belgischen Gesetzgeber dazu, verbale Belästigung unter Strafe zu stellen. Was zweifellos richtig und angebracht war, da es anders offenbar nicht mehr geht. Was mir persönlich aufstösst, ist lediglich die Tatsache, dass ich, zusammen mit den vielen anderen Zeitgenossen, deren Frauenbild und kulturelle Prägung ihnen ein solches Benehmen verbietet, ohne jeden Unterschied, einzig wegen unseres Geschlechts, nun in den selben Topf wie irgend welche Flegel geworfen werden, in deren Lebenswelt unbegleitete Frauen moralisch minderwertig sind und als Freiwild gelten. Kurioserweise verwehrt sich sogar die Betroffene selbst gegen jede Differenzierung, aus Angst, ihr Aufschrei könnte von Ausländerfeinden „missbraucht“ werden. Seit wann aber wäre das simple Benennen von Fakten potenziell „missbräuchlich“? „Femme de la rue“ ist meines Wissens immer noch im Internet verfügbar. Jeder kann sich dort ansehen, welcher, nennen wir sie „Peer-Group“ die überwältigende Mehrheit der Frauenbetatscher und Belästiger angehört. Unzweifelhaft handelt es sich um die selbe Klientel, mit der „Sirène Weis“ 9 Jahre später in Esch zu tun hatte. Selbst der Wortschatz ist der gleiche. Die Belästigung von Frauen im öffentlichen Raum zwischen den Zeilen ohne jeden Unterschied zum allgemeinen „Männerdelikt“ zu klonen erscheint mir daher höchst fragwürdig, insbesondere in einer Debattenkultur, die doch ansonsten nicht müde wird, alles und jedes bis auf Lungenkapillargrösse auszudifferenzieren.
@ Realist
Es ist ein „Männer“-Delikt. Oder haben Sie schon erlebt, dass eine Frau jemanden auf diese Weise angegangen ist?
Ausserdem erlebt frau es von Männern jeden Alters und von Inländern wie Ausländern – ohne Unterschied. Fremde junge und erwachsene Männer rufen es uns eher nach, fremde alte Männer kommen auf der Strasse näher, um es uns ins Gesicht zu sagen.
Frau kann es nicht näher differenzieren, denn es sind Schlips-, Jeans- und Joggingträger jeglicher Couleur und Nationalität. In diesem Artikel waren es zufällig französisch-sprachige Männer, aber das hat nichts zu sagen.
Die einzig mögliche Differenzierung: die meisten Männer tun es nicht. Sonst würden wir es auf der Strasse nicht mehr aushalten. Also können Sie nur eines machen, und das ist, es nicht persönlich zu nehmen.
Guten Tag,
ich kann Ihnen aus eigener Erfahrung nur Recht geben.
Mit besten Grüßen,
Christine Lauer
@Realist-.gut gesehen – @DanV auch richtig.