/ „Frauen haben vieles zum Positiven verändert“: Viviane Eschenauer war vor 40 Jahren eine der ersten Frauen bei der Polizei
Wir schreiben den 23 April 1979. Am „Härebierg“ hallen die Wörter „gitt bei d’Kachdëppen“ durch die Kantine. Was nach einem militärischen Befehl klingt, war eine Begrüßung von 20 jungen Frauen; von einem gentlemanhaften Verhalten keine Spur. Die 20 Damen teilten eine Gemeinsamkeit, sie schrieben ein neues Geschichtskapitel im Luxemburger Polizeiwesen. 2019 feiert die Polizei 40 Jahre Frauenpräsenz in den Reihen der Ordnungshüter. Das Tageblatt blickte mit Viviane Eschenauer, einer der ersten Polizistinnen, zurück ins Jahr 1979.
Von André Feller
Armeeminister Emile Krieps traf die Entscheidung, Frauen in den Polizeidienst aufzunehmen. Sprüche wie „Frauen gehören an den Herd“ oder „mat deene kanns du ni op eng Kläpperei fueren“ prägten traurigerweise den Alltag. Lieutnant-Commandant Ernest Thiel rief damals beim Festakt in seiner Ansprache die Soldaten und Offiziere zum behutsamen und taktvollen Umgang mit den Damen auf.
An Takt scheint es damals etlichen Männern gefehlt zu haben. Die Entscheidung des „bloe Krieps“, wie der Armeeminister im Volksmund genannt wurde, stieß oft auf Unverständnis. Nach vierzig Jahren im Dienste der Polizei lautet Viviane Eschenauers Schlussfolgerung: Die Frauenpräsenz in der Polizei hat vieles zum Positiven verändert, auch auf menschlicher Ebene.
Tageblatt: Frau Eschenauer, wieso entschieden Sie sich für den Beruf als Polizistin?
Viviane Eschenauer: Das war schon als Kind mein Traumberuf. Eines Tages zirkulierten Gerüchte, die Polizei wolle Frauen einstellen. Ob in der Verwaltung oder als Polizistin, war nicht bekannt. Eines Tages waren 20 Stellen öffentlich ausgeschrieben. Ich stellte gleich meine Kandidatur und absolvierte mit Erfolg die Aufnahmeprüfung in den Staatsdienst. Wir waren zwischen 200 und 300 Kandidatinnen, genau weiß ich es nicht mehr. Ich war eine der 20 Auserwählten.
Wie ging es weiter?
Am 23. April 1979 war Appell am Bahnhof in Diekirch, zusammen mit männlichen Rekruten. Von da ging es in die Militärkaserne auf dem „Härebierg“. Für die Frauen war es ein besonderer Moment: Wir wurden mit einem Festakt begrüßt, Minister, Politiker und alle hohen Offiziere waren anwesend. Und natürlich die Presse. Es war ein historischer Moment in Luxemburgs Polizeigeschichte. Nach der Feierstunde wechselte der Ton, immer wieder hörten wir aus den Reihen der Soldaten Sprüche nach dem Motto „Frau in die Küche“. Aber wir standen darüber, je weniger wir darauf eingingen, umso besser war es.
Das Wort Gleichberechtigung wurde damals noch kleingeschrieben. Waren die Frauen in der Ausbildung gleichberechtigt?
Ja und nein, wir waren nicht zum dreijährigen Militärdienst eingezogen. Frauen waren erst ab den 80er-Jahren in der Armee zugelassen. Für uns begann die Ausbildung mit dem „Stage“ in der Polizei. Die dreimonatige militärische Grundausbildung durchliefen wir dennoch, genau wie die männlichen Rekruten. Sport, Disziplin, Theorie, Umgang mit Schusswaffen und Munition, Selbstverteidigung, halt die militärische Ausbildung. Ich muss aber zugegeben, wir wurden öfters im positiven Sinne diskriminiert. Bei der sogenannten „Marche forcée“ durften die Frauen marschieren, die Jungs mussten laufen.
Wie sah eigentlich Ihre Uniform aus?
Sehr altertümlich, es war ein langer Rock bis tief unters Knie, eine weiße Bluse mit schwarzer Krawatte, Weste und Jacke. Dazu gehörte noch eine schwarze Handtasche. Später, in der Polizei, vertraten verschiedene männliche Kollegen die Ansicht, wir müssten einen Rock sowie Schuhe mit mindestens 5 cm Absatz tragen; damit die Beine schön aussehen. Da setzten wir uns zur Wehr. Wir forderten unsere Vorgesetzten auf, selbst mit Highheels zu laufen oder in die „Camionette“ zu steigen. Das Thema war schnell vom Tisch.
Der Beruf des Polizisten war ursprünglich eine reine Männerdomäne, raues Klima und harte Jungs. Wie hat sich die Präsenz der Frauen auf die Männer ausgewirkt?
Nach einigen Jahren hat sich das raue Klima gelegt. Die harten Jungs wurden weicher. Frauen redeten untereinander über Probleme, beispielsweise Lernschwierigkeiten beim Nachwuchs. Unter Männern wurden solche Themen nie angesprochen, das passte nicht ins Gesellschaftsbild. Dies änderte sich im Laufe der Zeit, Männer lernten, über ihr Privatleben und Probleme zu reden. Doch auch im Umgang mit unseren „Kunden“ hat sich vieles geändert. Die Polizei wurde menschlicher, ohne jedoch die Pflichten und das Gesetz aus den Augen zu verlieren. Einen Wandel brachte der Elternurlaub mit sich, heute nutzen viele Polizisten diese Möglichkeit, um ihrer Rolle als Vater gerecht zu werden. In einem Satz kann man sagen: Die Frau hat das Polizeiwesen revolutioniert.
Waren Personalmangel und Gleichberechtigung die einzigen Gründe, Frauen in der Polizei zu rekrutieren?
Ende der 70er-Jahre fand ein Gesellschaftswandel statt. Immer häufiger erstatteten Frauen Strafanzeige wegen häuslicher Gewalt. Gleichzeitig nahm die Zahl an weiblichen Delinquenten zu. Das war ein Problem für die männlichen Kollegen, die Delinquentinnen mussten bei einer Festnahme durchsucht werden. Diese Aufgabe übernahm öfter eine Putzfrau oder in manchen Fällen die Ehefrau oder Freundin eines Polizisten. Langfristig war diese Prozedur keine Lösung. Bei weiblichen Gewalt- und Sexualopfern war die Anwesenheit einer Frau ebenfalls vorteilhaft. Die Polizei musste dieser Entwicklung also Rechnung tragen.
Erinnern Sie sich noch an Ihren ersten Einsatz?
So genau weiß ich das nicht mehr. Meinen ersten offiziellen Dienst verrichtete ich in der Nachtschicht im Polizeirevier in der Stadt Luxemburg, so wie wir es zuvor gelernt hatten. Gleich in der Anfangszeit wurde ich mit dem Unfalltod eines Kleinkindes konfrontiert. Das war ein prägender Moment, genauso wie der berühmt-berüchtigte Raubüberfall auf die BIL, als mein Kollege Patrice Conrardy auf offener Straße erschossen wurde. Aber das gehört zum Beruf.
Für derartige Situationen gibt es heute einen psychologischen Dienst bei der Polizei. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
Der Beruf ist äußerst stressig, jederzeit ist man Gefahren ausgesetzt. Tödliche Unfälle, Überfälle und Vergewaltigungen gehören ebenso zum Alltag eines Polizisten. Und dann ist da noch die stets zunehmende Gewaltbereitschaft in der Bevölkerung. Früher wurde eine Schlägerei mit Fäusten ausgetragen, heute mit Messern und Waffen. Polizisten und mittlerweile auch Rettungsdienste sind Opfer von tätlichen Angriffen. Kurzum, die Belastung ist enorm, Suizid ein nicht zu vernachlässigendes Thema. Die Psychologen spielen eine bedeutende Rolle in unseren Reihen. Zudem nehmen Sie uns eine schwierige Aufgabe ab: das Überbringen von Todesnachrichten.
Wie wurde die Präsenz der ersten Polizistinnen in der Öffentlichkeit wahrgenommen?
Am Anfang war das speziell, wir waren ein neues Aushängeschild der Polizei. Die Menschen waren das Bild noch nicht gewohnt. Einmal legte mir eine ältere Mitbürgerin ans Herz, ich solle doch zuhause die Kinder erziehen. Wir gehörten übrigens zur ersten Generation, die ihre berufliche Laufbahn aufgrund des Nachwuchses nicht an den Nagel hängte. Im Laufe der Jahre hat sich die Bevölkerung daran gewöhnt.
„Et si keng Männer, mee och keng Schlappschwänz.“ In fetter roter Schrift prägte diese Überschrift 1979 den Tageblatt-Artikel über die Aufnahme der Frauen in die Polizei. Wie empfanden Sie diese Überschrift?
Es war eine Frechheit, ein Schlag ins Gesicht. „Schlappschwanz“ hat nichts mit dem Geschlecht zu tun. Zu unseren Anfangszeiten hörten wir oft den Spruch „mat deene kanns du net op eng Kläpperei fueren“. Man muss nicht 2 m groß sein, um gute Arbeit zu leisten. Heute ist das Kriterium der Mindestgröße abgeschafft.
Würden Sie heute den gleichen Beruf wählen wie 1979?
A
uf jeden Fall, für mich ist und bleibt Polizistin ein Traumberuf. Innerhalb der Institution stehen alle Wege und beruflichen Laufbahnen offen. Ich erlebte den Sektor Hauptstadt und Bahnhof hautnah, nahm am RIFO („Réseau intégré des forces de l’ordre“, heute 113) Notrufe entgegen. Eine Zeitlang arbeitete ich im Polizei-Pressedienst. Einen Teil meiner Laufbahn verbrachte ich in der „Sûreté“ (heute „Police judiciare“) im Bereich Wirtschafts- und Finanzkriminalität. Nach der Fusion von Polizei und Gendarmerie kehrte ich zurück in den Außendienst, zuerst in Steinfort, später in Capellen. Dort baute ich den lokalen Präventionsdienst auf, bildete Senioren und Seniorenberater aus. Die polizeiliche Laufbahn ist also sehr vielfältig.
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