Forum / Frieden schaffen durch immer mehr Waffen? Luxemburg sollte das 2%-Dogma der NATO infrage stellen
Luxemburg rüstet auf. Seit Oktober verfügt unsere 900 Mann starke Armee über zwei neue Militärfahrzeuge. Sogenannte „Command Liaison and Reconnaissance Vehicle“, kurz CLRV. Weitere zehn werden im März 2025 ausgeliefert. Die letzten der insgesamt 80 bestellten CLRV sollen bis Oktober 2026 ankommen. Alle ausgerüstet mit schweren Maschinengewehren.
Damit nicht genug. In Bestellung sind 38 Jaguar-Radpanzer, zwölf gepanzerte Truppentransporter, benannt nach dem Fabelwesen Griffon, sowie fünf gepanzerte Serval-Spähwagen. Damit soll unsere Streitmacht bis 2030 gefechtsbereit sein. Für insgesamt 2,6 Milliarden Euro. Voraussichtlich.
Gepanzerte Fahrzeuge wiegen viele Tonnen. Ein CLRV deren 9,2. Mit Nutzlast 11,5 Tonnen. Verbrauchen deshalb Unmengen Sprit. Kein Biotreibstoff, sondern Diesel. Das Pariser Klimaabkommen klammert den Impakt der militärischen Aktivitäten auf den Treibhauseffekt aus. Dieser bleibt dennoch real. Wird bloß den Staaten nicht angerechnet. Obwohl allein ein Kampfflugzeug mindestens sechs Liter Kerosin pro Kilometer Flug verbraucht. So viele Liter, wie die verteufelten Diesel-Autos für 100 Kilometer benötigen.
Gerüstet für welchen Krieg?
Wer will sich mit solchen Petitessen abgeben, wenn das warnende Beispiel des russischen Überfalls auf die Ukraine die Europäer zu erhöhter Verteidigungsfähigkeit anhält?
Dennoch sei die Frage erlaubt, ob Regierung und Heerführung sich nicht über den Verlauf moderner Konflikte irren. Waffensysteme einkaufen für den Krieg von gestern? Eine Tradition jeder Generalität, deren erste Ambition eine „bessere“ Vorbereitung auf frühere, meistens verlorene Kriege bleibt.
Gerade der Krieg in der Ukraine zeigt, dass selbst modernste Panzer, wie der deutsche Leopard, von mit Suchkopf ausgestatteten Drohnen oder Raketen sekundenschnell in Schrotthaufen verwandelt werden.
Alle gepanzerten Fahrzeuge mit den schönen Tiernamen, die Jaguar, Griffon oder Serval, sind mit tragbaren Panzerfäusten zu knacken. Putins versuchter Überfall auf Kiew, mit dem Ziel dort ein prorussisches Regime einzusetzen, scheiterte an der schnellen Zerstörung der vordringenden russischen Panzer-Kolonnen durch agile ukrainische Kämpfer. Die auf simplen Motorrädern, manchmal bloß Mopeds, mit tragbaren Raketen die russischen Stahlmonster reihenweise abschossen.
Der Schlagabtausch zwischen Hamas, Hisbollah, Huthi oder dem Iran mit Israel erfolgt durch die Lüfte. Selbstgebastelte Raketen sowie Drohnen werden oft von der israelischen Luftabwehr abgefangen, schlagen dennoch manchmal tödlich ein. Die israelische Luftwaffe eliminiert mit gezielten Bomben oder ferngesteuerten Drohnen „Terroristen“. Dabei sterben als „Kollateralschäden“ unbeteiligte Zivilisten, darunter erschreckend viele Frauen und Kinder.
„Ohnmacht“
Unsere kleine Armee war und bleibt eine Bodentruppe. Die Luftwaffe beschränkt sich auf einen in Belgien stationierten Truppentransporter sowie einige Hubschrauber. Alles eher symbolisch, wie, ohne Despektierlichkeit, eigentlich unsere gesamte Streitmacht. Eine nicht zum „Streiten“ geeignete „Macht“. Besser: Eine „Ohnmacht“.
Luxemburgs Regierungen sehen sich dennoch in der Pflicht, das von der NATO verordnete Rüstungsziel von Militärausgaben in der Höhe von mindestens 2% des Bruttoinlandproduktes (BIP) einzuhalten.
Der vorherige Verteidigungsminister François Bausch erreichte immerhin, dass Luxemburg keine zwei Prozent des BIP, sondern „bloß“ zwei Prozent unseres Nationalproduktes (BNP) ausgeben soll. Unser BIP, das ebenfalls von 230.000 Grenzgängern erwirtschaftet wird, betrug 2022 77,5 Milliarden Euro. Zieht man davon den Beitrag der nicht im Lande ansässigen Beschäftigten ab, bleibt ein BNP von 52,2 Milliarden Euro. Anstatt 1,450 Milliarden müsste Luxemburg demnach 1,050 Milliarden Euro ausgeben.
Unser Land ist effektiv nicht so reich, wie manche Statistiken vorgaukeln. Deswegen gehören unsere Militärausgaben pro Kopf Bevölkerung zu den höchsten innerhalb des Atlantischen Bündnisses, mit über 1.000 Euro je Einwohner.
Militärausgaben von jährlich über einer Milliarde Euro bleiben eine gewaltige Anstrengung für ein Land, das keine eigenen Waffen produziert. Alles Kriegsmaterial einkaufen muss, ohne dass ein Euro davon in der nationalen Wirtschaft verbleibt.
Das NATO-Ziel der 2% begreift ein Unterziel. Mindestens ein Fünftel des Militärhaushaltes sollen in die Beschaffung neuer Waffensysteme fließen. In den meisten Ländern entfällt auf Personalkosten, Unterhalt von Flughäfen, Häfen oder Kasernen der Löwenanteil der Militärausgaben. Unsere 900 Männlein und Weiblein in Uniform, darunter die Militärkapelle, schlagen wegen ihrer geringen Zahl entsprechend weniger zu Buche. Bereits jetzt gibt Luxemburg über die Hälfte seines Militärbudgets für Waffen- und Munitionskäufe aus.
Der Druck zu höheren Rüstungsausgaben der USA auf die NATO ist nicht uneigennützig. Amerika verfügt über die größte Waffenindustrie der Welt, ist global führender Exporteur von Kriegsmaterial. Laut EU-Kommission flossen bisher an die 70% der europäischen Militärhilfe für die Ukraine in den Einkauf von US-Waffensystemen.
Fremdenlegion?
Luxemburg hat ein zusätzliches Problem. Laut NATO-Vorgaben müsste unser Land in den kommenden Jahren immer mehr Waffensysteme kaufen. Verfügt jedoch nicht über genügend Soldaten, um diese sinnvoll zu bedienen. Es sei denn, wir legten uns eine Art „Fremdenlegion“ zu, mit Grenzgängern und Immigranten, um die fehlenden „Lëtzebuerger“ auszugleichen.
Die demographische Realität des Landes belegt das Aussterben der „echten“ Luxemburger. Wie es der Calot-Bericht von 1978 voraussagte. Zwar stieg in den letzten 40 Jahren die Bevölkerung Luxemburgs rasant an. Durch Einwanderung. Gleichzeitig vervielfachte sich die Zahl der Grenzgänger. Nur noch ein Viertel der Aktiven besitzt die luxemburgische Nationalität. Bei den Einwohnern sind es knapp über die Hälfte. Diese enge luxemburgische Mehrheit kommt nur zustande, weil der Zugang zur luxemburgischen Nationalität stark erleichtert wurde. Während bis zu den Jahren 2010 jedes Jahr einige Hundert neue Luxemburger naturalisiert wurden, sind es nunmehr jedes Jahr mehrere Tausend. Allein 6.800 Neuzugänge im Jahr 2021. Von 680.000 Einwohnern Luxemburgs haben drei Viertel einen Migrationshintergrund. Die „nationalstämmigen“ Mitbürger sind eine schrumpfende Minderheit.
Keine gute Perspektive für die Rekrutierungsziele der Armee und der Polizei. Die Armee sollte laut dem Rekrutierungsplan 2020-2026 um jährlich 30 Soldaten und 15 Zivilisten aufgestockt werden. Dieses Ziel wurde bislang nur für das zivile Personal erreicht.
Auch mit der Rekrutierung von zusätzlichen Polizisten hapert es. Zwar stieg die Zahl der Beschäftigten bei der Polizei von 2.300 Mitarbeitern im Jahr 2019 auf derzeit über 3.200 Uniformierte und Zivilpersonal. Eine Verstärkung um fast 1.000 Mann in fünf Jahren. Doch das Ziel von 200 zusätzlichen Polizisten jedes Jahr bleibt unerreicht. Nebenbei: Trotz der massiven Verstärkung der Polizei hat die Sicherheit der Bürger nicht zugenommen. Die Zahl der Delikte wächst. Führen mehr Polizisten bloß zur Registrierung von mehr Straftaten?
Realismus gefragt
Das offizielle Luxemburg nimmt diese realen Probleme nicht wahr. Die neue Verteidigungsministerin Yuriko Backes übt ihr gelerntes Metier der Diplomatin aus. Anscheinend ohne eigene Meinung wiederholt sie gehorsam die offiziellen NATO-Sprüche. Bausch zeigte zumindest noch Sinn für etwas Realismus, was das Erreichen des 2-Prozent-Dogmas anbelangt.
Der Premierminister mit dem irrigen Familiennamen verkündete, Luxemburg werde bis 2030 seinen Militärhaushalt nach NATO-Vorgaben aufstocken. Diese vielen Milliarden Euro werden für andere, notwendige Politiken fehlen. Ohne dass bis dahin im Falle eines Konfliktes eine selbst auf 1.200 Mann aufgestockte nationale „Streitmacht“ einen nennenswerten Beitrag zur europäischen Verteidigung liefern könnte.
Das NATO-Land Island ist flächenmäßig viel größer als Luxemburg. Besitzt mit 400.000 Einwohnern eine kleinere Bevölkerung. Da die Isländer auf eine eigene Armee verzichten, bleibt Island vom 2%-Dogma entbunden. Die luxemburgische Politik sollte sich am isländischen Beispiel orientieren und sich innerhalb der NATO für realistischere Verteidigungs-Beiträge unseres Landes einsetzen.
Quer um die Welt steigen die Ausgaben für Rüstung und Krieg. Wobei die NATO insgesamt 60% aller Militärbudgets stellt. Also nicht unbedarft ist gegenüber den „bösen Russen“. Doch der globale Rüstungswettlauf, mit oder ohne Luxemburg, macht die Welt leider nicht sicherer.
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