Nationale Ethikkommission / Front soll Vorrang bei Impfung gegen SARS-CoV-2 genießen
Die nationale Ethikkommission hat in ihrem Gutachten zur Impfstrategie der Regierung empfohlen, dass angesichts der voraussichtlich begrenzten Verfügbarkeit von Impfstoffen Mediziner, Krankenpfleger und andere Angestellte, die in direktem Kontakt mit Covid-19-Patienten stehen, Vorrang bei der Impfung gegen SARS-CoV-2 erhalten sollen. Unklar ist aber noch, wie es danach weitergehen soll. Die Ethikkommission befürchtet, dass es in den kommenden Wochen und Monaten zu lebhaften öffentlichen Diskussionen über die Impfstrategie kommen könnte.
Im Kampf gegen die Corona-Pandemie stelle die Aussicht auf die baldige Verfügbarkeit von Impfstoffen ein Licht am Ende des Tunnels dar, hatte die Gesundheitsministerin Paulette Lenert (LSAP) am vergangenen Freitag bei der Vorstellung der Impfstrategie der Regierung gesagt. In Luxemburg soll es keine Impfpflicht geben und die Impfung werde kostenlos sein, hatte Premierminister Xavier Bettel (DP) verkündet. Ab wann die beiden Impfstoffe (der Unternehmen Pfizer/Biontech und Moderna), die bislang eine Zulassung in der Europäischen Union beantragt haben, von der Europäischen Arzneimittelagentur EMA validiert werden und in welchen Mengen die Vakzine in einer ersten Phase verfügbar sein werden, ist aber noch unklar. Pfizer und Biontech hatten erst Ende vergangener Woche angekündigt, dass sie ihr Ziel, 100 Millionen Dosen ihres Impfstoffs noch in diesem Jahr auszuliefern, wegen Problemen in der Lieferkette halbieren müssten. Relativ sicher scheint nur, dass in den ersten Wochen nach der Zulassung noch nicht ausreichend Dosen vorhanden sein werden, um gleich den gesamten impfbereiten Teil der Bevölkerung zu immunisieren. Deshalb hatte die Regierung am 17. November die nationale Ethikkommission angerufen, um eine Priorisierung der Personengruppen zu erstellen, für die eine vorrangige Impfung nach ethischen Kriterien vertretbar wäre.
Die Ethikkommission kommt in ihrem Gutachten zu dem Schluss, dass es angesichts der begrenzten Verfügbarkeit von Impfdosen sinnvoll sei, die ersten Impfungen den Medizinern, Krankenpflegern und sonstigen in Krankenhäusern sowie Alten- und Pflegeeinrichtungen beschäftigten Personen anzubieten, die in engem Kontakt mit Covid-19-Patienten stehen und deswegen am meisten gefährdet seien, erklärte die Präsidentin der nationalen Ethikkommission, Julie-Suzanne Bausch, Philosophieprofessorin am und stellvertretende Direktorin des „Lycée classique de Diekirch“, gestern Morgen auf einer Pressekonferenz. Insbesondere in Frankreich habe man entschieden, die älteren und verletzlichen Menschen zuerst zu impfen, während in Deutschland die Angehörigen von Gesundheits- und Pflegeberufen Vorrang genießen. Die nationale Ethikkommission habe beide Ansätze analysiert und sei zu dem Schluss gekommen, dass die französische Herangehensweise angesichts der Ungewissheit über die Verfügbarkeit der Impfdosen nur bedingt geeignet sei. „Was passiert, wenn wir nicht genügend Dosen haben? Wenn wir mit den Alten und Verletzlichen beginnen, müssen wir dann diskriminieren? Müssen wir dann die Ältesten und Verletzlichsten bevorzugen?“, fragte Bausch. Solche Entscheidungen würden immer schmerzhaft und katastrophal enden. Deshalb habe die Ethikkommission sich dazu entschieden, dort zu impfen, wo Covid-19 am gefährlichsten sei. Und dies sei nun mal in den Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern und dort insbesondere auf den Covid-19- und Intensivstationen. Da diese Einrichtungen nur dank der Mediziner, Krankenpfleger und anderen Personals wie beispielsweise Reinigungskräften funktionieren könnten, sei es am logischsten, dass man diese Menschen zuerst impft, unabhängig von ihrer sozialen oder hierarchischen Stellung im hausinternen Gefüge, räsonierte Julie-Suzanne Bausch. Auf diese Weise könne ein „Cordon sanitaire“ errichtet werden, der auch verletzliche Personen besser schütze. Ein weiteres Argument, die Menschen „an der Front“ zu bevorzugen, liege darin, dass sie, anders als viele andere Arbeitnehmer, eben nicht die Möglichkeit hätten, im Homeoffice zu arbeiten, sondern ihres Berufes wegen dazu verpflichtet seien, mit Covid-19-Patienten in Verbindung zu stehen. Konkret seien von den insgesamt 18.000 Beschäftigten im Gesundheits- und Pflegesektor schätzungsweise 1.000 Menschen direkt mit Covid-19-Patienten in Kontakt. Laut Bausch ist diese Kategorie zahlenmäßig weitaus geringer als die Personengruppe der Alten und Verletzlichen. Einen Vergleichswert konnte die Ethikkommission gestern auf Nachfrage nicht vorlegen.
Erst in einer zweiten Phase soll der „Perimeter“ erweitert werden und die Impfung soll den Menschen angeboten werden, die im Gesundheits- und Pflegesektor arbeiten, ohne in direktem Kontakt zu Corona-Infizierten zu stehen. Das Gutachten der Ethikkommission stelle nur eine Momentaufnahme dar, präzisierte Bausch. Noch sei alles im Flow, die Krankheit sei weiter präsent und die Zukunftsperspektiven für den Winter seien trotz Lockdown ungewiss. Daher werde die Ethikkommission sich auch künftig noch mit der Impfstrategie gegen SARS-CoV-2 befassen.
Größtmögliches Glück für möglichst viele Menschen
Beim Erstellen des Gutachtens habe die Ethikkommission sich in ihren Gedankengängen am Utilitarismus orientiert, erläuterte die Präsidentin. Allerdings habe dabei nicht der „rationalistische Utilitarismus“ im Vordergrund gestanden, sondern es seien konsequentialistische und eudämonistische Argumentationsstränge herangezogen worden, betonte Julie-Suzanne Bausch, die sich auf die britischen Vordenker des klassischen Liberalismus, Jeremy Bentham und John Stuart Mill, berief. Angesichts dessen, dass der Idealzustand einer Gesellschaft ohne Covid-19 oder zumindest einer Gesellschaft mit wirksamen Medikamenten und ausreichend effizientem Impfstoff kurzfristig nicht erreicht werden könne, komme man in diese utilitaristische Logik, in der man mit begrenzten Mitteln versuche, sich dem Zustand des größtmöglichen Glücks für die höchstmögliche Anzahl von Menschen anzunähern. Auf diese Weise soll die Einhaltung der ethischen Prinzipien des Wohlbefindens, der Gleichbehandlung, der ausgleichenden Gerechtigkeit und der Reziprozität gewährleistet werden.
14 Tage hatte die Ethikkommission Zeit, um ihr Gutachten auszuarbeiten. Zwei Wochen seien nicht genug, um den nötigen Abstand zu bekommen, doch auch die Ethikkommission stehe unter Druck und müsse in diesen Zeiten der Ungewissheit – wie viele andere Institutionen und Behörden auch – auf Sicht navigieren, sagte Bausch. Die Krankheit sei ein Fakt und habe selbst Fakten geschaffen, unterstrich die Präsidentin der Ethikkommission. Covid-19 könne im schlimmsten Fall tödlich und in manchen Fällen ganz langwierig sein. Die Krankheit könne Spätfolgen haben und großes Leiden verursachen. Deshalb könne die Kriegsrhetorik, die unter anderem der französische Präsident Emmanuel Macron im Kampf gegen das Virus gebraucht, durchaus zutreffen. SARS-CoV-2 sei ein erbarmungsloser Aggressor, der bislang nur durch die Einhaltung der Hygieneschutzmaßnahmen und physischer Distanz auf Abstand gehalten werden könne, meinte Bausch. Mit der Impfung werde nun eine neue „Waffe“ gegen das Virus in Aussicht gestellt.
Was jedoch passieren sollte, wenn sich Angehörige der priorisierten Berufsgruppen als „Pazifisten“ erweisen und die freiwillige Impfung als „Waffe“ gegen das Virus ablehnen, kann die Ethikkommission noch nicht genau sagen. Dazu bedürfe es fast schon eines weiteren Gutachtens, stellte Julie-Suzanne Bausch auf Nachfrage einer Journalistin fest. Impfverweigerer sollten auf jeden Fall aus ethischer Sicht nicht bestraft werden. Eine mögliche Lösung könnte sein, dass sie sich in einen Bereich versetzen lassen, in dem sie nicht in direktem Kontakt zu Covid-19-Patienten stehen.
Die Ethikkommission befürchtet, dass es in den kommenden Wochen und Monaten noch zu lebhaften öffentlichen Diskussionen über die Impfstrategie kommen könnte. Neben möglichen rechtlichen Diskussionen über die Einführung einer Impfpflicht im privatwirtschaftlichen Bereich stellt sich auch die Frage nach weiteren Priorisierungen, insbesondere wenn erst mal alle Erwerbstätigen des Gesundheits- und Pflegepersonals sowie die Angehörigen der Kategorie der Alten und Verletzlichen geimpft sind. Danach könne man wohl nicht mehr nur alleine nach Berufsgruppen entscheiden, sondern müsse darauf achten, dass vor allem jene Menschen sich impfen lassen dürfen, die unter Bedingungen arbeiten, die der Verbreitung von SARS-CoV-2 förderlich sind, meinte Julie-Suzanne Bausch gestern. Insgesamt orientiere die Ethikkommission sich bei der Priorisierung am Perimeter, der definiert, wie weit bestimmte Menschen vom Virus entfernt sind.
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Die Front, diese Kriegsrethorik! Im Westen nichts Neues…
Die Philosophin hat sicher aber schon gewusst,dass die Risikogruppen,also Alte und gesundheitlich Angeschlagene am meisten gefährdet sind.Es geht darum die zu schützen bei denen das Virus schwere bis tödliche Folgen haben kann. Was nützt eine geimpfte „Front“ wenn diese dann aber noch immer Spreader ist.
Dass Pflegepersonal in Kliniken geimpft werden sollte steht ausser Frage,denn die Menschen die gepflegt werden müssen sind ja schon infiziert(Coronapatienten). Aber wie steht es mit anderen Patienten die eingeliefert werden müssen.Es gibt ja auch noch andere Probleme als Corona. Dann ist da das Lehrpersonal welches täglich mit Kindern in Kontakt kommt usw. usw. Ich bin kein Impfgegner aber ich stelle meine Ration zur Verfügung bis keine Engpässe mehr sind.Danach melde ich mich freiwillig.
@ HTK
Fuchs , das war sein Name , oder ? Auch er ging schlau und grosszügig jeder Gefahr aus dem Wege !