Luxemburg / Fünf Jahre nach der Pandemie beschäftigt Long Covid Medizin, Wirtschaft und Gesellschaft

Akut erkrankt ist vorbei, Long Covid beschäftigt aber weiter und ist ein unterschätztes Problem
Fünf Jahre nach dem Ausbruch beschäftigt die Pandemie noch immer. Weltweit sind Millionen von Menschen an Long Covid erkrankt. In Luxemburg sind es aktuell 1.500. Sie leiden unter zahlreichen Symptomen, die nicht nur Auswirkungen auf ihren Alltag, sondern auch ihr Berufsleben haben.
Seinen richtigen Namen will er nicht in der Zeitung lesen. Das Thema Long Covid ist mit zu vielen Tabus behaftet – ganz zu schweigen von der Stigmatisierung der Betroffenen. Roger* (48), selbst Mediziner mit einer Spezialisierung auf Allgemeinmedizin, steckt sich 2021 an. Da hat er nach mehr als zehn Jahren in einer niedergelassenen Gemeinschaftspraxis noch nicht lange eine neue Stelle angetreten.
Er weiß auf den Tag genau, wie lange er vor der Infektion im neuen Job ist. „Ein Jahr und 17 Tage“ kommt wie aus der Pistole geschossen. Als er sich mit Fieber, Schnupfen, Müdigkeit und Gliederschmerzen, die allseits bekannten Symptome, krankmeldet, ist das in den Hochzeiten der Pandemie erst einmal nichts Ungewöhnliches. Er ist zum damaligen Zeitpunkt zweimal geimpft, wartet auf einen Termin für den ersten „Booster“.
Vorerkrankungen sind nicht bekannt. Dass damit ein persönlicher Supergau beginnt, ahnt er zu dem Zeitpunkt nicht. Bis dahin steht der Vater von drei kleinen Kindern mitten im Leben. Mehrere Wochen ist er krank. Richtig krank. Über Wochen bessert sich sein Allgemeinzustand nur unwesentlich. Die anschließend diagnostizierte Lungenembolie liefert zunächst eine Erklärung für den langsamen Gang der Genesung, dabei bleibt es aber nicht.
Beruflicher Wiedereinstieg scheitert
Den beruflichen Wiedereinstieg probiert er immer wieder im Lauf der darauffolgenden Monate und scheitert. Schon beim ersten Anlauf ist nach zwei Stunden klar: „Das Multitasking von früher ging gar nicht mehr“, sagt er. „Es war wie ein Nebel in meinem Kopf.“ Es fällt ihm schwer, die Erkenntnisse wissenschaftlicher Studien zu verarbeiten, Patientenakten zu lesen, Patienten zuzuhören oder Diagnosen und Therapiepläne aufzustellen.
Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen gehören wie Wortfindungsstörungen, Hypersensibilität bei Licht und Geräuschen oder diffuse Schmerzen zu den typischen Symptomen von Long Covid. Er ist nicht mehr so belastbar wie früher. „Es war, als sei der Stecker der körpereigenen Batterie gezogen“, sagt Roger*. Sich das einzugestehen, vor allem in einem Alter, in dem das unüblich ist, ist das eine. Er ist damals 45 Jahre alt.
Das Unverständnis der Außenstehenden, das ihm ab einem gewissen Zeitpunkt begegnet, wiegt viel schwerer. „Ich glaube es nicht”, „das ist psychisch” oder „Burnout” bekommt er oft zu hören. Dabei haben Versuche, auf die Arbeit zurückzukehren, immer einen kompletten Zusammenbruch zur Folge. In den schlimmsten Zeiten kann er noch nicht mal seine Kinder morgens zur Schule bringen. Das Gebäude liegt um die Ecke.
Am Rande der Gesellschaft
Long-Covid-Experten kennen das. „Diese Patienten führen irgendwann ein Dasein am Rande der Gesellschaft“, sagt Charles Benoy, (36), psychologischer Psychotherapeut und Leiter der Forschungsabteilung der Rehaklinik des „Centre hospitalier neuro-psychiatrique“ (CHNP) in Ettelbrück. Roger* fühlt sich so. Nach dem Hausarzt, Fachärzten und der Infektionsabteilung des CHL landet er schließlich in Ettelbrück.
Die dortige Rehaklinik arbeitet an der psychisch-sozialen Stabilisierung dieser Patienten. Seit 2021 hat Psychotherapeut Benoy 600 dieser Fälle gesehen. 300 davon sind allein in Ettelbrück immer noch in Behandlung. Rund 1.500 Menschen sind derzeit insgesamt im Land im Long-Covid-Programm. Die Zahl ist nach Angaben von Benoy wahrscheinlich viel höher. Er schätzt, dass es in Wirklichkeit 2,5-mal so viel sind und die Dunkelziffer sich damit erklärt, dass diese Menschen unter anderen Krankheitsbildern laufen.
„Long-Covid-Patienten unterstützen wir zuerst darin, dass sie ihren Alltag so aufteilen, dass die Belastung durch die Erkrankung möglichst gering ist“, sagt er. An oberster Stelle steht, sie im Arbeitsleben zu halten. Phasen kleinerer Belastung müssen sich mit Phasen regelmäßiger Ruhe abwechseln. „Wir üben das mit den Patienten gemeinsam“, sagt Benoy. Roger* übt das neue Leben ein, bleibt aber in seinem alten Job arbeitsunfähig und ist inzwischen als Invalide anerkannt.
Die „Pandemie in der Pandemie“
Internationale wissenschaftliche Studien gehen nach Angaben von Benoy davon aus, dass von den schweren Long-Covid-Erkrankten weltweit rund die Hälfte dieser Patienten nicht mehr in ihrem Beruf arbeiten können oder sogar ganz arbeitsunfähig bleiben. Das wirft gesellschaftliche Fragen auf, denn in Luxemburg beträgt das Durchschnittsalter der von schweren Long-Covid-Verläufen Betroffenen 45 Jahre.
Allmählich wächst ein Bewusstsein dafür. Forscher des Luxembourg Institute of Health (LIH) haben zuletzt Long Covid als „eine Pandemie innerhalb der Pandemie“ bezeichnet. Das berichtete die Luxemburg Times gerade erst vor wenigen Tagen, am 26. Januar 2025. Auch auf Ebene des Europarates ist das Problem erkannt. Am 31. Januar 2025 bedauert die Parlamentarische Versammlung des Europarates, dass (…) „Long Covid“ (…) zu einem „riesigen blinden Fleck“ geworden sei, da sich Politik und Gesundheitssektor auf andere Gesundheitsthemen konzentrierten.
Luxemburg ist Gründungsmitglied des Europarates. Schon in einem früheren Arbeitspapier vom Dezember 2024 warnt die Versammlung vor ernsthaften Folgen. Ohne die direkten Kosten der Gesundheitsversorgung kostet Long Covid die 28 OECD-Mitgliedstaaten wahrscheinlich zwischen 864 und 1.000 Milliarden US-Dollar pro Jahr aufgrund von Einbußen bei der Lebensqualität und der Erwerbsbeteiligung. Long Covid könnte außerdem die Zahl der Arbeitskräfte in den OECD-Ländern um fast drei Millionen verringern, heißt es in dem Papier und weiter: „Die Regierungen müssen daher in die Forschung investieren, um diese langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen zu verringern“. Das ist ein Appell zum Handeln.
* Der Name wurde von der Redaktion geändert.
Anlaufstellen für Long-Covid-Patienten
Am 21. Juli 2021 präsentiert die damalige Gesundheitsministerin Paulette Lenert (LSAP) das „Projekt Long Covid“. Bislang müssen Long-Covid-Patienten drei Schritte absolvieren, wie auf der Webseite des Gesundheitsministeriums nachzulesen ist. Der Hausarzt ist der erste Ansprechpartner. Anschließend vereinbart der Patient einen Termin beim Nationalen Dienst für Infektionskrankheiten (SNMI) des CHL. Wenn eine spezialisierte Betreuung erforderlich ist, wird der Patient an die Partnerstrukturen überwiesen, also entweder an das Rehazenter (Kirchberg) oder an das Domaine thermal Mondorf. Das soll sich ändern. Derzeit wird daran gearbeitet, diese Schritte für die Betroffenen zu vereinfachen, da zudem mittlerweile bekannt ist, dass körperliche Belastungen, um eine Fitness wiederherzustellen, in vielen Fällen kontraproduktiv sind. Das Budget für das Pilotprojekt, das am 1. August 2021 gestartet ist, belief sich damals auf 1,01 Millionen Euro.

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