Interview / Für COSL-Sportdirektor Thews fällt der Vorhang – „Sport ist nicht der Löser der politischen Probleme der Welt“
Der Vorhang fällt. Heinz Thews ist seit rund 20 Jahren Technischer Direktor des Nationalen Olympischen Komitees. Die Winterspiele in Peking werden seine letzte Mission sein, danach geht der allseits beliebte und anerkannte Teammanager in Rente. Zehn Tage vor der Eröffnungszeremonie hat sich das Tageblatt mit ihm unterhalten.
Tageblatt: Herr Thews, Peking 2022 sind Ihre letzten Olympischen Spiele als COSL-Sportdirektor, danach geht es in Rente. Welche Gefühle schwingen da mit?
Heinz Thews: Diese Frage habe ich schon einmal gehört und ich glaube, dass meine Gefühlswelt sich damit beschäftigt, wenn die Schlussfeier läuft. Vorher wird das wohl nicht passieren, denn es ist wichtig, dass unsere ganze Konzentration den Spielen gilt. Es gibt noch einige Hürden zu umschiffen. Wenn ich wieder in Luxemburg bin, berichte ich aber sehr gerne über meine Gefühle.
Die Winterspiele stehen vor der Tür. Wie ist der Stand der Dinge in puncto Organisation?
Ich fliege noch am Freitag nach Peking (das Interview wurde am 19. Januar geführt, Anm. d. Red.). Die Teamregistrierung ist am 23. Januar. Den Athleten schlottern bereits die Knie. Durch die Omikron-Variante, die sich ja rasant verbreitet, haben viele Angst, dass sie nach der Landung in China positiv sein könnten. Bei den chinesischen Behörden wird die Corona-Lage derzeit die ganze Zeit angepasst. Bis zum Beginn der Spiele wird es wohl noch einige Veränderungen geben. Das Personal in den Hotels und die Helfer sind genau wie die Sportler Teil der „closed loop“ (auch noch Bubble genannt, Anm. d. Red.), sodass es keine Fluktuation von außen geben wird. Sie alle werden im Hotel wohnen, um das Risiko einer Ansteckung zu vermeiden.
Gibt es eigentlich noch etwas, das Sie im Vorfeld überraschen kann?
Das gibt es todsicher. Es wird noch einige Überraschungen geben, aber die kennen wir aktuell noch nicht.
Die kulturellen Unterschiede zwischen einem Durchschnittseuropäer und einem Chinesen sind relativ groß. Haben Sie das in Ihrer täglichen organisatorischen Arbeit gemerkt?
Man sagt ja oft, dass die Asiaten und besonders die Chinesen sehr sortiert sind, aber nicht flexibel. Das ist aber nicht ganz so. Sie sind nämlich sehr flexibel und pragmatisch, aber innerhalb von Regeln. 2008 bei den Sommerspielen in Peking sind wir auch davon ausgegangen, dass wir Probleme bekommen könnten, wenn mal etwas festgezurrt ist, aber damals haben wir gesehen, dass in China Dinge sehr schnell entschieden werden können. Allerdings steigt auch in Peking die Anspannung. Die Corona-Zahlen sind beängstigend und die Chinesen lesen ja auch die Nachrichten. Und deshalb wird China alles versuchen, damit es keine Fälle in der „closed loop“ geben wird. Bis zum Start der Spiele muss ich mich aber noch durch den chinesischen Papierkrieg kämpfen. Es gibt permanente Updates und wir kommen nicht nach mit dem Lesen.
Inwiefern ist Ihr Nachfolger Raymond Conzemius bereits in Ihre Arbeit mit eingebunden?
Wir haben das seit März 2021 aufgeteilt, aber auch einige Sachen gemeinsam gemacht. Raymond Conzemius hat sich vor allem um die European Winter Youth Games in Vuokatti (20. bis 25. März, Anm. d. Red.) gekümmert, während ich die Organisation der Olympischen Winterspiele in Peking übernommen habe. Beide Sachen gleichzeitig zu machen ist einfach nicht machbar.
Matthieu Osch und Gwyneth ten Raa werden die luxemburgischen Farben in China vertreten. Was kann man vom Ski-Duo erwarten?
Wir haben zwei Sportler mit sehr interessanten Voraussetzungen. Matthieu war bei den Winterspielen 2018 in Pyeongchang in einer ähnlichen Ausgangssituation wie Gwyneth jetzt. Er wurde damals sehr früh für Olympia nominiert und kann diese Erfahrungswerte an Gwyneth weitergeben. Matthieu hat sich in den vergangenen vier Jahren sehr ernsthaft dem Training gewidmet und fährt jetzt mit einem ganz anderen Potenzial zu den Olympischen Spielen. Die Erwartungshaltung ist, dass er sich deutlich verbessert im Vergleich zu Pyeongchang, und dass er versucht, anzugreifen. Gwyneth ist 16 Jahre alt und war in diesem Jahr erstmals bei den FIS-Wettbewerben zugelassen. Sie hat ein paar bemerkenswerte Leistungen in den letzten Monaten gebracht und man spürt, dass sehr viel Potenzial vorhanden ist. Gwyneth hat eine natürliche Angriffshaltung, will vorne mitfahren und hat eine gute Einstellung. In Peking wird sie Erfahrung sammeln können, die ihr dabei helfen wird, sich in Zukunft zu verbessern.
Luxemburg ist bekanntlich kein Wintersportland und wird es auch nie werden – schon allein aus geografischen Gründen. Mal ganz provokativ gefragt: Wie sinnvoll ist es, Wintersport zu fördern?
Das Investment ist nicht zu vergleichen mit dem, was andere Länder machen. Der Ansatz ist hierzulande immer athleten- und umfeldgesteuert. Zu Beginn wird viel in den Sport investiert, weil sie ihn lieben und etwas erreichen wollen. Dann kommt irgendwann der entscheidende Punkt: Wenn die Bedingungen, die man im eigenen Land hat, verhindern, dass man sich weiterentwickeln kann, muss man Luxemburg verlassen. Das haben alle Athleten getan, die heute für Olympische Spiele in Frage kommen. Matthieu Osch und Gwyneth ten Raa sind relativ früh in ein Ski-Internat in Österreich beziehungsweise der Schweiz gegangen. Bei diesem Schritt beraten wir die Sportler. Wenn sie dann in den Leistungsbereich vordringen, werden sie genauso unterstützt wie die Sommersportler. Und auch bei denen sind einige dabei, die ins Ausland gehen müssen, weil in Luxemburg die Rahmenbedingungen nicht reichen. Ich glaube, wir haben eine sehr gesunde Einstellung, denn wir gucken sehr genau, wie sich die Sportler selbst sehen und wie sie sich entwickeln wollen. Wenn alle Voraussetzungen stimmen, dann haben wir auch die Möglichkeit, Athleten aller Sportarten gleich gut zu unterstützten.
Wir haben wirtschaftliche Beziehungen mit China und immer wenn ein Sportevent stattfindet, wird dann von den Athleten gefordert, dass sie die Kohlen aus dem Feuer holen sollenCOSL-Sportdirektor
Die Vergabe der Winterspiele an Peking hat für Kritik gesorgt. Sie sind nicht nachhaltig, da Kunstschnee herbeigeschafft werden muss. China tritt zudem die Menschenrechte mit Füßen. Werden olympische Werte hier noch ansatzweise respektiert?
Jeder hat da seine persönliche Meinung und teilweise hört es sich an wie eine Schallplatte. Ich setze mich persönlich mit den Thematiken auseinander, aber der Sport hat ein ganz anderes Mandat. Sport ist nicht der Löser der politischen Probleme der Welt. Man hört immer wieder von Boykotts. Es sollen Zeichen gesetzt werden. Die Frage, die ich mir dabei stelle: Wir haben wirtschaftliche Beziehungen mit China und immer wenn ein Sportevent ist, wird von den Athleten gefordert, dass sie die Kohlen aus dem Feuer holen sollen. 2008 in Peking habe ich das erlebt … vielleicht mit einem frischeren und naiveren Auge. Damals habe ich es immer genossen, mit der jungen chinesischen Elite zusammenzusitzen. Sie haben sehr offene Fragen gestellt und mit einigen von ihnen bin ich heute noch in Kontakt. Vielleicht bringen solche Begegnungen mehr als ein Boykott. Ich habe in meiner Amtszeit jedenfalls mehrmals erlebt, dass Sportevents eine Wirkung erzielen können.
Viele Städte, die sich für Olympische Spiele bewerben wollen, scheitern sehr oft an den hohen Auflagen des IOC oder am eigenen Volk, das sich gegen eine solche Mammut-Organisation und die damit verbundenen Kosten stemmt. Werden aus diesen Gründen in Zukunft immer mehr autoritär geführte Staaten Ausrichter von Großevents sein?
Die Realität sieht anders aus. Die Sommerspiele, die von den Auflagen her deutlich höher angesiedelt sind als die Winterspiele, werden in Paris, Los Angeles und Brisbane ausgetragen. Aktuell kann man deshalb nicht behaupten, dass die Spiele von nicht-demokratischen Ländern organisiert werden. Viele europäische Großveranstaltungen werden in der Tat oft in osteuropäischen Ländern ausgetragen. Das hat vor allem etwas mit Wirtschaftlichkeit zu tun. In hoch entwickelten Demokratien wird oft genauer hingeschaut, wie das Geld ausgegeben wird. Ich glaube aber, dass das „bidding“ weiterhin offen ist. Das IOC hat sich angepasst und deshalb laufen diese „biddings“ auch ganz anders ab als vor 20 Jahren. Die Auflagen in puncto Nachhaltigkeit und Nutzung von bestehender Infrastruktur für die Bevölkerung der Gastgeberländer sind mehr und mehr drin. Aber das IOC muss sich weiterhin Gedanken machen.
Das IOC will keine politischen Spiele. Auf der anderen Seite werden die Spiele aber politischer durch die Auswahl von Gastgeberländern wie jetzt im Fall von China.
Ich denke, dass das IOC versucht, die Spiele fair über die Welt zu verteilen und auch damit liebäugelt, die Spiele bald nach Afrika zu vergeben. In der Tat muss man sagen, dass es derzeit so aussieht, als würde es immer schwieriger werden, Spiele in Mitteleuropa aufzurichten. Berlin und Hamburg sind mit ihrer Bewerbung gescheitert, weil die Bevölkerung sich gegen das Projekt entschieden hat. Auch in dieser Hinsicht muss sich das IOC Gedanken machen.
Werden Sie nach Peking zu einem richtigen Rentner oder haben Sie bereits Pläne, dem nationalen Sport weiter zur Verfügung zu stehen?
Ich plane aktiv, wie es nach dem Ende meiner Zeit als Technischer Direktor des COSL weitergehen soll. Im Moment höre ich mir viel an, entschieden ist aber noch nichts. Ab März wird mein zeitliches Pensum auch deutlich geringer sein. Ob ich in Luxemburg bleiben werde, steht auch noch nicht fest. Ich bin gespannt, was auf mich zukommen wird, aber am meisten gespannt ist meine Frau.
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