/ Für das Escher Jugendhaus regnet es in diesem Jahr Auszeichnungen – nicht ohne Grund
2019 ist das wohl bisher erfolgreichste Jahr für das “Centre de rencontre et d’information pour jeunes Esch”, kurz CRIJ Esch, das unter sich den “Point information jeunes” und das Escher Jugendhaus vereint. Am kommenden Mittwoch erhält die Organisation den bereits dritten Preis in diesem Jahr. Nach dem Jugendpreis und dem “Prix jeunes journalistes” folgt nun der “Prix Oppenheimer”.
Mit einem dritten Preis in so kurzer Zeit hatte keiner der Erzieher oder der Jugendlichen gerechnet. “Plötzlich klingelte das Telefon und wir wurden darüber informiert”, sagt Christelle Kodische, Leiterin des CRIJ Esch, sichtlich stolz. Der “Prix Oppenheimer” wird jedes Jahr an eine Person, eine Stadt oder eine Organisation verliehen, die vor den Gefahren warnen, die von Rassismus, Intoleranz und Xenophobie ausgehen. Das Escher Jugendhaus erhält ihn für sein Projekt “Si on en parlait?”.
Ein Projekt, das bereits 2017 begonnen hat. Damals bemerken Kodische und ihre Kollegen, dass die Jugendlichen, die das Jugendhaus und den “Point info jeunes” besuchen, wahllos Dinge auf ihrer Facebook-Wall teilen. “Uns wurde bewusst, dass die Jugendlichen von heute mit Facebook geboren wurden und eine Welt ohne soziale Medien überhaupt nicht kennen”, sagt Christelle Kodische. Jugendliche sind an die Spontanität der Medien gewöhnt, sie erhalten Informationen und verbinden damit Emotionen, die sie sofort teilen möchten. Dabei fehle ihnen aber oft das Bewusstsein dafür, was genau sie da eigentlich teilen. “Das waren zum Teil Dinge mit einer populistischen oder extremistischen Aussage”, sagt Kodische. Die Erzieher beschließen, die Jugendlichen darüber aufzuklären, welche Inhalte nicht geteilt werden sollten und weshalb.
Auschwitz-Überlebende und ehemalige Dschihadisten
Dabei gab es jedoch eine Schwierigkeit. Als Erzieherin habe sie selbst überhaupt keine Glaubwürdigkeit, wenn sie den Jugendlichen erkläre, dass es nicht cool ist, nach Syrien zu gehen und dort mit Waffen zu hantieren. “Schließlich war ich noch nie dort und hatte selbst nie eine Waffe in der Hand”, sagt sie.
Es galt also, die Jugendlichen mit Menschen zu konfrontieren, die solche Dinge wirklich erlebt haben. 2017 war Mourad Benchellali im Escher Jugendhaus zu Besuch. Er wurde im September 2001 in Pakistan gefangen genommen, war in einem Al-Qaida-Camp und verbrachte zwei Jahre in Guantanamo. Inzwischen ist er Ausbilder zur Wiedereingliederung und hat eine Organisation gegründet. Er erklärte Jugendlichen, wie man sich vom Dschihadismus indoktrinieren lässt und wie die Realität dahinter aussieht. Er erzählte seine Geschichte und die Jugendlichen waren davon sichtlich berührt.
Im Mai letzten Jahres kam zudem Paul Sobol zu Besuch, und das auf Nachfrage der Jugendlichen. Sie wollten einen Überlebenden aus Auschwitz kennenlernen. Das CRIJ Esch nahm daraufhin Kontakt mit der Organisation “Témoins de la deuxième génération” auf und der 93-jährige Paul Sobol kam ebenfalls, um seine Geschichte zu erzählen. “An die hundert Personen, darunter hauptsächlich Jugendliche, sind an dem Tag ins Jugendhaus gekommen, um ihm zuzuhören. Auch das hat die Jugendlichen sehr berührt”, erinnert sich die Leiterin des CRIJ. Das habe einen ganz anderen Effekt gehabt, als wenn die Erzieher von den damaligen Geschehnissen erzählt hätten.
Medien- und Informationserziehung
Der zweite Teil des Projektes war die Medien- und Informationserziehung, für die das Jugendhaus bereits im März dieses Jahres den “Prix jeunes journalistes” erhalten hatte. Ein Preis, der eigentlich nur Schulen vorbehalten ist. Christelle Kodische setzte sich jedoch dafür ein, dass auch das Escher Jugendhaus sich bewerben kann. “Bei vielen ist es noch nicht angekommen, dass wir in Jugendhäusern nicht nur Freizeitaktivitäten anbieten, sondern richtig wertvolle Projekte umsetzen”, sagt sie. Die Organisatoren des Journalistenpreises waren offen und erlaubten es dem Jugendhaus, mitzumachen.
Thema des Projektes war “So du mol eppes”, es ging um Meinungsfreiheit. Die Karikaturistin Camille Blesse und der Autor und Regisseur Gerald Dumont kamen im “Point info jeunes” vorbei, um den Jugendlichen beizubringen, wie Texte geschrieben und Karikaturen gemalt werden. Sie haben gelernt, wie eine Information aufgebaut wird und wie Quellen gesucht und überprüft werden. Jeder der Jugendlichen suchte sich ein Thema aus, schrieb einen Text und zeichnete eine Karikatur dazu. Am Ende mussten sie ihren Text vor einem Publikum vortragen. Resultat ist ein Buch, in dem sämtliche Zeichnungen und Texte zusammengefasst wurden.
Der dritte und letzte Teil des Projektes “Si on en parlait” findet Ende dieses Monats statt. Dann wird das Jugendhaus mit einer Gruppe Jugendlichen nach Auschwitz fahren. Eine Reise, die durch das Treffen mit Paul Sobol zustande gekommen ist. Darauf vorbereitet haben sich die Jugendlichen bereits in einer längeren Arbeitsphase. Sie waren im Resistenzmuseum, in Cinqfontaines, wo es ein Altersheim gibt, das damals als Zwischenstation für die Juden genutzt wurde. Zudem waren sie auch in Saarbrücken, wo sie mit anderen Jugendlichen aus der Großregion ein altes Camp der Gestapo renoviert haben.
Die Wende
Dass das CRIJ gerade jetzt so viele Preise erhält, ist für Christelle Kodische kein Zufall. “Die große Veränderung kam, als 2013 die Jugendhäuser nicht mehr unter der Verantwortung des Familienministeriums standen, sondern unter der des Bildungsministeriums”, sagt sie und bezeichnet dieses Ereignis als eine regelrechte Wende. Jugendhäuser wurden plötzlich nicht mehr nur als Freizeitbeschäftigung angesehen, sondern als einen Ort der Bildung. Das Bildungsministerium stellte einen Referenzrahmen für non-formale Bildung zur Verfügung. Darin waren Prioritäten gesetzt wie der Übergang in die Arbeitswelt oder eben die Teilnahme der Jugendlichen an Projekten. “Besonders wichtig ist es, dass die jungen Menschen immer im Herzen der Projekte stehen”, sagt Kodische.
Das Jugendhaus in Esch arbeitet einerseits an den Bedürfnissen, die die Jugendlichen äußern, andererseits an den Bedürfnissen der Jugendlichen, die die Erzieher identifizieren, wie zum Beispiel im Falle der Medienerziehung. Die Wende hatte auch eine Wirkung auf die Jugendlichen: “Früher waren viel mehr Jugendliche im Jugendhaus, aber eigentlich um nichts wirklich zu tun. Heute kommen weniger, aber sie arbeiten an spannenden Projekten”, sagt Kodische. Das ermöglicht den Erziehern eine qualitativ hochwertigere Arbeit, die am Ende eben so hochwertig ist, dass Preise gewonnen werden.
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