Kundgebung / Für das Recht auf Wohnen – und gegen die „Reformkosmetik“: 1.000 Menschen demonstrieren in Luxemburg
Mit rund 1.000 Teilnehmern war die erste nationale Kundgebung für ein Recht auf Wohnen in Luxemburg ein Achtungserfolg. Die Veranstalter forderten die Regierung dazu auf, schneller und konsequenter gegen die Wohnungsnot und die rasante Preisentwicklung vorzugehen. Die Demonstration am Samstag war nur ein erster Schritt. Weitere Protestaktionen sollen folgen.
Während in der LuxExpo The Box auf Kirchberg die Wohnmesse „Home Expo“ eröffnete, fanden sich auf dem hauptstädtischen Glacis rund 1.000 Menschen zur ersten nationalen Kundgebung für ein Recht auf Wohnen ein. Der Veranstalter „Mieterschutz Lëtzebuerg“ konnte am Samstagnachmittag auf die Unterstützung von mehr als 20 Organisationen zählen, darunter der OGBL, politische Parteien aus dem linken Spektrum und Vereinigungen, die im Bereich der Integration von Migranten und Flüchtlingen aktiv sind. Ihre Route hatten sie mit Bedacht ausgewählt. Vom Glacis zog der sich über mehrere hundert Meter erstreckende Protestzug durch die avenue de la Porte-Neuve in die Oberstadt, wo die Demonstranten mit Stöcken auf Kochtöpfe trommelnd und mit Trillerpfeifen lärmend an den schicken Terrassen und Edelboutiquen vorbeizogen, um sich schließlich auf dem Platz zwischen dem alten Postgebäude und dem neuen Luxustempel Royal Hamilius der „Abu Dhabi Investment Authority“ zur eigentlichen Kundgebung zu versammeln. Selten wurden die Antagonismen der luxemburgischen Gesellschaft so sichtbar wie an diesem Samstagnachmittag.
Ein Problem, das alle betrifft
In den vergangenen Jahren habe sich die Wohnungsnot zu einem wirklichen Problem entwickelt, das alle Bürger Luxemburgs betreffe, sagte der Präsident von „Mieterschutz Lëtzebuerg“, Jean-Michel Campanella, in seiner Ansprache. Die Menschen müssten einen immer größeren Anteil ihres Einkommens fürs Wohnen aufbringen, bei manchen liege dieser Anteil inzwischen bei 60 Prozent. Ein Ende dieser Entwicklung sei wegen der immer schneller steigenden Wohnungspreise nicht in Sicht. Immer häufiger würden Schlafhändler die Situation ausnutzen, indem sie Mietern Monatsverträge vorlegen oder sie in Kellern unterbringen. Besonders alleinerziehende Haushalte seien nicht mehr vor Ausbeutung geschützt. Seine Aussagen bezeugte Sara, eine junge Mutter, die von ihrem Vermieter vor die Tür gesetzt wurde, weil dieser das Mehrfamilienhaus renovieren will, um Luxuswohnungen dort einzurichten. Der Zugang zu einer Wohnung auf dem freien Markt bleibe ihr verschlossen, weil sie keinen unbefristeten Arbeitsvertrag hat. Für eine Sozialwohnung liege die Wartezeit bei fünf Jahren, erzählte Sara, die die Regierung und ihre Sozialarbeiter öffentlich um Hilfe bat. Die alleinerziehende Mutter Christelle bedauerte, dass in Luxemburg keine Wohnungen für Frauen, die Opfer psychischer oder physischer Gewalt werden, verfügbar seien. Die Frauenhäuser sind häufig überfüllt, weil die Frauen wegen der Wohnungsnot keine andere Unterkunft finden.
Die Wohnungskrise habe sich hierzulande zu einer sozialen Krise entwickelt, die sie wütend mache, weil sie, anders als die Corona-Krise, hausgemacht sei, skandierte OGBL-Präsidentin Nora Back. Seit Jahrzehnten hätten Regierungen im Bereich des Wohnungsbaus versagt, weil sie dem Markt freie Hand gelassen hätten. Dadurch sei der Boden zu einer Ware geworden, die der Spekulation dient. Durch Steuerbefreiungen und Steuererleichterungen habe Luxemburg den Spekulanten sogar noch den Weg geebnet. Im Gegenzug müssten sich immer mehr Menschen lebenslang verschulden, um ein Dach über dem Kopf zu haben. Die Wohnungsnot sei inzwischen bis in die Mittelschicht vorgedrungen, betonte Back. Der OGBL sprach eine Warnung an Premierminister Xavier Bettel (DP) aus, dass die Regierung mit der „Reformkosmetik“ aufhören soll. Die Krise sei so groß, dass Pflaster nicht mehr helfen würden, sagte Back im Hinblick auf die geplanten Reformen des Mietgesetzes und des „Pacte logement“, die dem OGBL nicht weit genug gehen. Der eklatante Mangel an Sozialwohnungen müsse unverzüglich behoben werden, forderte Nora Back. Auch Campanella verlangte, dass die Regierung beim Bau von Sozialwohnungen schneller und konsequenter vorgehen müsse. Finanziert werden könne der soziale Wohnungsbau durch eine hohe Besteuerung der Immobilienspekulation, von der die zuletzt viel kritisierten „Fonds d’investissement spécialisés“ nur die Spitze des Eisbergs darstellen, schlug die OGBL-Präsidentin vor.
Probleme der Wohngemeinschaften in Esch
Auch die WG-feindliche Politik der Stadt Esch/Alzette kam am Samstag erneut zur Sprache. Bereits vor zwei Wochen hatte die Initiative „Save Co-housing in Esch“ eine Protestaktion am Escher Rathausplatz organisiert. Die 53-jährige Nicole berichtete am Samstag, dass sie wegen der Einschränkung von Wohngemeinschaften im neuen „plan d’aménagement général“ (PAG) ihr Zimmer in Esch verloren habe. Deswegen sei ihr auch das staatlich garantierte Mindesteinkommen Revis gestrichen worden. Ein ironisches Dankeschön richtete die verzweifelte Frau an den Escher CSV-Bürgermeister: „Merci Här Mischo, dass ech alles verluer hunn.“ Emanuel Kamura, Sprecher von „Save Co-housing in Esch“, monierte, dass die Stadt Esch nicht darüber bestimmen könne, wer mit wem zusammenwohnt. Ein „lien affectif“ dürfe keine Voraussetzung sein, um sich eine Wohnung zu teilen. Genau wie Marianne Donven von „Oppent Haus“ ging Kamura auf die Problematik von Geflüchteten ein, die häufig nicht bei Privatpersonen unterkommen können, ohne ihr garantiertes Mindesteinkommen zu verlieren.
Schutzsuchende und anerkannte Flüchtlinge leiden in Luxemburg besonders unter der Wohnungsnot, wie ein Sprecher des Netzwerks Ryse Luxembourg darlegte. Wenn sie überhaupt auf dem Wohnungsmarkt fündig werden, müssten sie häufig in elenden Bedingungen leben. Ganze Familien teilen sich ein Zimmer. Ohne festen Arbeitsvertrag sei es hierzulande fast unmöglich, eine Wohnung zu finden. Wegen mangelnder Sprachkenntnisse sei es aber schwierig, eine Anstellung zu bekommen. Viele Geflüchtete befinden sich in einem Teufelskreis. Und selbst wenn ihnen der Ausbruch gelingt, reicht es oft nicht, wenn nur ein Partner eine Arbeit hat, wie Marianne Donven schilderte. Ein Koch aus einem ihrer beiden Restaurants müsse seit zwei Jahren mit seiner Familie in einer Einzimmerwohnung leben. Weil seine Frau keinen Arbeitsvertrag hat, würde kein Vermieter sie annehmen.
Auch Grenzregion betroffen
Die Wohnungsnot beschränkt sich inzwischen aber nicht mehr nur auf Luxemburg, sondern habe auch die Grenzregion erreicht, erklärte Viviane Fattorelli, Bürgermeisterin der französischen Grenzgemeinde Audun-le-Tiche. Eine von fünf Wohnungen im Gemeindeverband „Communauté de communes Pays Haut Val d’Alzette“ werde heute an Luxemburger verkauft. Weil die Preise und Mieten immer weiter steigen, müssten viele Einheimische wegziehen. Der soziale Graben zwischen Pendlern und Nicht-Pendlern werde wegen der Lohnunterschiede in Luxemburg und Frankreich zusehends größer. Immer mehr luxemburgische Unternehmen würden ganze Häuser in der französischen Grenzregion aufkaufen, um ihre Angestellten dort unter oftmals schlechten Bedingungen zu logieren, sagte Fattorelli.
Die Veranstalter deuteten diese erste nationale Kundgebung für ein Recht auf Wohnen als Erfolg. „Der Kampf beginnt erst“, sagte Jean-Michel Campanella. Nora Back bezeichnete die Protestaktion als „stark“ für den ersten Schritt einer „Bewegung, die nicht mehr aufzuhalten ist“. Die 21 Vereinigungen, die an der Kundgebung beteiligt waren, werden sich in den kommenden Wochen erneut treffen, um weitere Schritte und Aktionen zu planen.
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