/ Für eine Kultur der Kostenlosigkeit: „Wir müssen den Kapitalismus überwinden“
„Wir müssen den Kapitalismus überwinden“, forderte Autor Paul Ariès am Dienstag bei seinem Vortrag zum Thema „La gratuité est révolutionnaire“ im Kulturzentrum Altrimenti. Einen Weg dorthin stelle die Einführung kostenloser Dienstleistungen dar.
„Jede Zivilisation ist dem Untergang geweiht“, meint Paul Ariès. Auch unsere sei dem Zusammenbruch nahe. Trotzdem beruhe die dominante Strategie, also der Kapitalismus, darauf, den Planeten an die Wirtschaft anzupassen, statt den irdischen Beschränkungen Rechnung zu tragen. „Unter den 100 am meisten finanzierten Projekten sind viele, die den Planeten umbauen wollen“, kritisiert Ariès. Statt umweltfreundliche Technologien zu entwickeln, fließe viel Kapital in das Geo-Engineering, beispielsweise in die Ausbringung von „Tonnen Schwefel und Hydrogensulfaten“ in die Atmosphäre.
„Millionen von weißen Plastikbällen sollen in die Ozeane gebracht werden. Und gentechnisch modifizierte Bäume sollen mehr CO2 aufnehmen.“ Die Investoren würden die Renditen von solchen Projekten ausrechnen und sich die Hände reiben. Das kapitalistische System passe nicht nur den Planeten an seine Anforderungen an, auch „der Mensch entspricht nicht mehr den Bedürfnissen der Wirtschaft“.
Aus dem Homo sapiens werde immer mehr ein Homo pharmasensis. „Wir haben nicht mehr das Recht, krank zu sein oder zu altern. Und fast nicht mehr das Recht, zu sterben“, fügt der Autor hinzu. „Der Kapitalismus ist im Begriff, das Gefühl des Verliebtseins zu entschlüsseln und daraus ein Produkt zu machen.“ Dann könne auch daraus ein neues Geschäft entwickelt werden. Dieser dystopischen Zukunftsvision stellt der Autor die „Entmarktung“ des wirtschaftlichen Handelns gegenüber.
Bedingungsloses Grundeinkommen
„Die gute Nachricht ist, dass 90 Prozent der Weltbevölkerung gar nicht so leben will, wie der Kapitalismus es will und wie die oberen 10.000 es vorleben.“ Das, was der Kapitalismus verspricht, sei mit den irdischen Ressourcen gar nicht zu erreichen. Ariès’ Vision hingegen sei finanzierbar. „Der Planet ist reich genug, um 10 Milliarden Erdenbewohner zu ernähren.“
Die Vereinten Nationen hätten vorgerechnet, dass 30 Milliarden Dollar pro Jahr notwendig wären, um Krieg zu beseitigen. 70 Milliarden würde es pro Jahr kosten, um den Kampf gegen die Armut zu gewinnen. „Jedes Jahr werden 1.600 Milliarden Dollar für Kriegsgüter ausgegeben, 840 Milliarden für Werbeaktionen.“ Eine Alternative zum aktuellen System sei also möglich.
Die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens könnte ein Weg in eine bessere Gesellschaft sein, gibt der Autor zu. Doch sie sei nicht der Königsweg. Besser fände Ariès die kostenlose Bereitstellung von wichtigen Gütern. „Gratis Strom, Wasser und Transport ist realistischer, als man glaubt.“ Wenn die menschlichen Grundbedürfnisse kostenlos gestillt seien, wäre dies sechsmal billiger als ein Grundeinkommen, ist der Kapitalismuskritiker überzeugt.
„Wir müssen die menschliche Existenz ‚demonetarisieren‘.“ Doch dies reiche nicht aus. Der Reichtum müsse zusätzlich anders verteilt werden. Was die Besteuerung von Einkommen betrifft, so solle der Staat ab einem bestimmten Punkt „alles nehmen“. Der Lebensstil der Reichen würde den gesamten Planeten ruinieren.
Doch nicht nur lebensnotwendige Dinge sollten der Bevölkerung gratis zur Verfügung gestellt werden. Dies führe jedoch zu Unsicherheiten: Oft würden die Menschen zögern, wenn es darum gehe, eine Dienstleistung oder ein Gut kostenlos anzubieten. Die Qualität würde darunter leiden und Arbeitsplätze seien bedroht, lauten die gängigen Befürchtungen. Doch diese Ängste seien laut Ariès nicht gerechtfertigt. „Als die Bildung gratis wurde, führte dies nicht zu einer Verschlechterung, es wurden auch keine Lehrer entlassen“, gibt er als Beispiel an. Das Gleiche gelte für das Gesundheitswesen. Heute würde kein Lehrer oder Arzt die Tatsache kritisieren, dass Bildung und Gesundheit nicht von den Nutzern bezahlt werden müssen.
Wasserversorgung
„Am Anfang war das Wasser gratis“, erzählt Paul Ariès. Als gegen Mitte des 19. Jahrhunderts die moderne Wasserversorgung eingeführt wurde, war damit Schluss. Seither müssen die Verbraucher für die Bereitstellung von frischem und sauberem Trinkwasser bezahlen. In vielen Städten dieser Welt wird mit der kostenlosen Bereitstellung von Wasser experimentiert. „Die WHO fordert pro Erdenbewohner 40 bis 50 Liter kostenloses Trinkwasser pro Tag.“ Viele Städte, vor allem im Süden, würden dieser Forderung nachkommen. „30 Kubikmeter pro Jahr sind gratis, danach kostet es“, erklärt Ariès ein Modell. Das Wasser, das für den Haushalt gebraucht wird, kostet nichts, wer jedoch seinen privaten Swimmingpool füllen will, muss zahlen.
Die Erfahrungen mit dem kostenlosen Wasser seien durchwegs positiv. „Der Verbrauch ging signifikant zurück, die Kostenlosigkeit hat nicht dazu geführt, dass vermehrt Wasser verschwendet wurde.“ In Paris wurden die „madames pipi“ aus den öffentlichen Toiletten verbannt. Seither müssen die Nutzer kein Obulus mehr entrichten. „Die Nutzung ist in der Folge um den Faktor drei gestiegen, der Wasserverbrauch ging um 30 Prozent zurück.“
Öffentlicher Transport
„Jemand, der mit 25 Jahren noch immer Bus und Bahn fährt, ist ein Individuum, dem sein Leben misslungen ist“ – dieses Zitat schreibt Paul Ariès Margaret Thatcher zu. Die Idee, dass der öffentliche Transport nur für die ärmeren Bevölkerungsschichten sei, würde die Einführung einen kostenlosen Angebots behindern. Dieses würde dem „Recht auf Fortbewegung“ aber Rechnung tragen. Zusätzlich werde die Umwelt entlastet. „Die negativen Auswirkungen des Verkehrs sind zweimal teurer als die des Tabakkonsums“, meint Ariès. In Frankreich würden Staus pro Jahr und Person 934 Euro kosten, der kostenlose Verkehr aber maximal nur 400 Euro. „Das Problem ist also nicht die Finanzierung.“
In Luxemburg wurden die Einnahmen aus dem Ticketverkauf nur 10 Prozent der Kosten decken. „Schon heute wird der öffentliche Transport von Steuerzahlern finanziert.“ Die Befürchtungen des Personals seien ebenfalls unberechtigt. „Es wird nicht zu Entlassungen kommen, die Notwendigkeit einer menschlichen Präsenz bleibt bestehen.“ In Gegenden, in denen man mit einem kostenlosen öffentlichen Transport experimentiert habe, sei die Nutzung von privaten Pkws um ein Drittel zurückgegangen – „bei 2,5 Mal mehr Personenbewegungen“.
Ernährung
„Die große Frage der Menschheit lautet nicht, ob wir den Mars kolonialisieren können, sondern wie wir 8 bis 9 Milliarden Menschen ernähren können“, betont Ariès. Die „restauration sociale“ sei eine Möglichkeit, die Nahrungsmittelherstellung umweltfreundlicher zu gestalten und die Gesundheit der Bevölkerung zu verbessern. In Frankreich sind manche Kantinen gratis. „Sie haben Land aufgekauft und produzieren die Nahrungsmittel nach biologischen Kriterien.“ Überschüsse könnten an bedürftige Familien abgegeben werden.
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Mit Sicherheit ist unsere Zivilisation dem Untergang geweiht. Diese Ansätze, wie Ariès sie beschreibt, sind bewunderns-und nachahmenswert. Leider ist es eine Minderheit, die konsequent dieses anstebenswerte Leben des Miteinanders und Füreinanders praktiziert. In den wohlhabenden Ländern ist eher Egoismus, Mangel an Empathie und Solidarität festzustellen. Ja, wir müssen den Kapitalismus überwinden,, aber das setzt ein allgemeines Umdenken voraus. Leider sind Habsucht und Gier stark ausgeprägte Eigenschaften der Menschheit.
Eine Welt ohne Geld. Ein Traum. Aber leider auch eine Utopie. Die Hoffnung besteht dass das aktuelle System kollapsieren wird, aber wir werden mal wieder keine Lehre daraus ziehen. Beim Wiederaufbau wird wieder das Geld im Mittelpunkt stehen. Oder das Gold. Danke Paul Ariès dass Sie sich weiter Gedanken machen. Ihre Ideen sind nicht nur toll sondern wären DIE Lösung für ganz viele Probleme neben den ekologischen und sozialen auch unter anderem die der Kriminalität.
Den Kapitalismus überwinden. Ja, tolle Idee. Das wollte man in Venezuela auch mal.