Luxemburg / Für Tiny Houses fehlen Regelungen – Gemeinde Strassen will das als erste im Land ändern
Den Traum, in einem Dorf aus Tiny Houses zu leben, muss Alain Holtz (54) vorerst begraben. Dabei waren er und die Minimalisten der „Community“ so nah dran. Abgesehen davon, dass es sich so gut anfühlte, hätten sie sich in einer Grauzone bewegt. Es gibt keinen gesetzlichen Rahmen für diese Wohnform im Land. Die Gemeinde Strassen will nun als Erste den Weg dafür freimachen.
Alain Holtz (54) fährt volles Risiko. Sein Tiny House ist bestellt, aber er hat noch keinen Platz, wo er es aufstellen könnte. Im Frühjahr 2023 soll es geliefert werden, womit der erste Teil seines Traums real wird. Er stößt erst vor eineinhalb Jahren zur „Tiny-House-Community”, ist aber umso infizierter. In solch einem „Minihaus“ will er später seine Rente angehen, naturnah und umgeben von Wiese und Wald wohnen und das mit Gleichgesinnten teilen.
Vorher sieht sein Leben ganz anders aus. 1995 baut er ein Einfamilienhaus in Ettelbrück mit 200 Quadratmetern Wohnfläche. Das sind Ansprüche ans Wohnen, die sich viele im Land erfüllen. So viel Wohnfläche wie möglich, technisch und optisch bestens ausgestattete Küchen und Bäder und als Krönung den Swimmingpool im Garten. Man zeigt, was man hat.
Gedanken über Quadratmeter, zu viel oder zu wenig, oder gerade richtig, macht er sich damals nicht. Der begeisterte Hobby-Jogger, der als Versicherungsmakler arbeitet, badet gerne nach dem Sport. „Wie viel Wasser dabei verschwendet wird, war mir nicht klar“, sagt er. Im Tiny House wird er allein mit einer Trockentoilette pro Person 12.000 Liter Wasser einsparen. Ihm ist klar: „Wir können nicht so weitermachen wie bisher.“
Den ökologischen Fußabdruck klein halten
Den eigenen ökologischen Fußabdruck so klein wie möglich halten, ist Gedankengut, dem sich die Tiny-House-Fans verpflichtet fühlen. Bei Holtz hat sich der Umschwung schon lange vorher angebahnt. Die erste Veränderung kommt 2015. In dem Jahr zieht er in ein 100 Quadratmeter großes Apartment in der City der Pattonstadt, ohne Balkon oder Terrasse. Es ist eine bewusste Entscheidung.
Genauso bewusst ist der Umzug ins Tiny House, mit dem er sich noch einmal verkleinert. Das Gefühl, auf etwas zu verzichten, löst die Vorstellung nicht aus. Er hat lange genug darüber nachgedacht. Vor vier Jahren reißt ihn ein gutartiger Gehirntumor aus dem Gewohnten. Er wird operiert, aber die Geschichte hinterlässt nicht nur eine Narbe. „Da habe ich angefangen, zu überlegen, was mir wirklich wichtig ist, was ich eigentlich brauche“, sagt er.
Seine Ehefrau Lis (40) unterstützt ihn in seinem Vorhaben. Sie ist schon länger auf dem Weg der Fragen nach Grundsätzlichem. Für ihre Arbeit auf einem pädagogischen Biobauernhof gibt sie die sichere Stelle und ein gutes Einkommen bei einem halbstaatlichen Betrieb auf. Eine Fernsehreportage über Tiny Houses ist schließlich der letzte Kick. Holtz sucht Kontakt zur Community und macht die Erfahrung, dass es mehr Fragen als Antworten gibt.
Stellplätze sind Mangelware
„Ich war naiv und dachte, dort kann mir jemand sagen, wo ich einen Stellplatz bekomme“, sagt er. Das und ein gesetzlicher Rahmen sind jedoch Mangelware. Auf einem Campingplatzgelände bei Echternach sieht es schließlich gut aus. Letztendlich scheitert das Projekt Tiny-House-Dorf mit zwölf Interessierten an unterschiedlichen Vorstellungen des Geländeeigentümers und an der Bereitschaft der Gemeinde, sich dafür zu öffnen. „In einem Tiny House leben zu wollen, ist eine Wahl“, sagt Holtz. „Es geht nicht darum, billig zu wohnen, sondern um eine Philosophie.“
Das betont auch ein CSV-Bürgermeister im Land. Nico Pundel (56) will mit Tiny Houses in seiner Gemeinde als Pionier vorangehen. Strassen wächst seit Jahren unaufhörlich. Mit über 10.000 Einwohnern ist der Baudruck groß. Möglichst alle brachliegenden Baugelände sollen bebaut werden.
Das will der Staat mit Steuerstrafen notfalls erzwingen. Eigentümer von Bauland haben oft aber ganz anderes im Sinn. „Sie wollen das Terrain für ihre Kinder aufheben“, sagt Pundel – zumal das Ar in Strassen derzeit 230.000 bis 250.000 Euro kostet. Der Rathauschef sieht einen Ausweg zwischen staatlichen Sanktionen und elterlicher Unterstützung. Er und sein Schöffenrat haben nicht lange gezögert und sich an die Arbeit gemacht.
Strassen übernimmt Pionierrolle
Das aktualisierte Strassener Bautenreglement ist vor wenigen Tagen an den „Ordre des architectes et des ingénieurs-conseils” (OAI) und die Tiny-House-Community zur letzten Prüfung verschickt worden. Die politisch Verantwortlichen haben es grundlegend überarbeitet. „Mit unseren aktuellen PAGs und den kommunalen Bautenreglementen sind die Minihäuser nicht vereinbar”, sagt Pundel. Das bestätigt das Innenministerium auf Anfrage des Tageblatt.
„Die Teilbebauungspläne (PAP) der Gemeinden (…) sind oft so ausgelegt, dass Tiny Houses aufgrund ihrer (geringen) Dimensionen nicht genehmigungsfähig sind“, antwortet das Ministerium. Allerdings scheint auch dort ein Umdenken einzusetzen. Das Ministerium prüfe derzeit die Möglichkeit, „Vorschläge (in Form eines ‚Règlement-type’) zu erarbeiten und den Gemeinden zu unterbreiten, (…) sodass diese Wohntypologie auch generell in Wohngebieten genehmigungsfähig wäre“, heißt es in der Antwort.
In Strassen ist man schon wesentlich weiter. Nach den Allerheiligenferien soll der Entwurf bereits ans Innen- und Logement-Ministerium gehen, um den Weg zur Legalisierung freizumachen. „Ich habe dem Bürgermeister in Strassen für seine Courage gratuliert“, sagt Community-Vorstand Holtz. Trotzdem bleibt er realistisch. „Tiny Houses lösen die Wohnungsproblematik im Land nicht“, sagt er. „Das ist lediglich ein Puzzlestück.“
Gemeindechef Pundel macht sich auf der anderen Seite genauso wenig vor. „Es ist eine Wohnform für jedermann – für jedes Alter und für jede Schicht, die es in unserer Gemeinde gibt.“ Die weiteren Entwicklungen werden zeigen, ob es in diese Richtung geht. Strassen macht in jedem Fall Nägel mit Köpfen. 500.000 Euro sollen im nächsten Budget bereitstehen, um Minihäuser anzuschaffen. Private Tiny Houses sind ebenfalls willkommen auf den Stellplätzen, die die Gemeinde dann zur Verfügung stellen will.
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Op de Camping dermatt, ferdég.