LuxFilmFest (5) / Ganoven, Gewalt und unverhoffte Gegenschläge: Die neun Kurzfilme „made in/with Luxembourg“ im Überblick
Mit neun Kurzfilmen „made in/with Luxembourg“ wartet das diesjährige LuxFilmFest auf. Die Filme, die während einer über dreistündigen Kinovorstellung am Montag gezeigt wurden, erzählen mal Alltägliches, mal Unwahrscheinliches. Manche legen Wert auf Komik, andere sind hochdramatisch – eine Botschaft vermitteln sie aber alle.
Turteltauben im Sturzflug: Die Isländerin Greta und der Franzose Thanos, der griechische Wurzeln hat, kennen sich erst seit einem Monat, aber sie sind sich sicher, dass sie den Bund fürs Leben eingehen möchten. Nach einem ungelenken Schäferstündchen im Auto marschieren sie deswegen schnurstracks zum Hochzeitsplaner Rupert. Schnell mutiert dieser Termin jedoch zu einer Pseudo-Krisenintervention, denn beim Gespräch werden die persönlichen wie kulturellen Differenzen zwischen den Frischverliebten mehr und mehr offengelegt und die Stimmung zwischen ihnen verdüstert sich im Sekundentakt. Thanos möchte ein Fest der Superlative mit feinem Essen und kirchlicher Zeremonie feiern, während Greta eigentlich mit einer Heirat im kleinen Kreis und mit musikalischer Begleitung durch isländische Sänger zufrieden wäre. Dann kommt noch die Kinderfrage auf – und zu allem Überfluss erreicht Thanos plötzlich die Nachricht, dass sein Vater gestorben sei. Das romantische Märchen, das seinem Happy End entgegenschießt, wird zur Antiklimax, die mit einer Bruchlandung endet. Diese ist verpackt in einer humorvollen Pointe, die auch den Titel mit einbezieht. Wie es in Zeiten der Globalisierung zu zwischenmenschlichen Konflikten kommen kann, wenn kulturell geprägte Erwartungen und Annahmen miteinander kollidieren, macht „And He Said Yes!“ von Gintaré Parulyté (mit Elísabet Jóhannesdóttir, Grégoire Colin, Philippe Caroit) spielerisch deutlich.
In fünfzehn Minuten erzählt „Bellevue“ von Jonathan Becker (mit Luc Schiltz, Sophie Mousel, Luc Schaefer, David Clavel, Myriam Muller) eine Geschichte, die das Potenzial zum Blockbuster hätte: Ein Mann, seine Ehefrau, deren muskulöser Geliebter und ein totgesagter Gangster, mit dem die scheinbare Femme fatale ebenfalls eine Affäre hatte, befinden sich gemeinsam in einem Haus (zugegeben, das mag wie der Anfang eines Witzes klingen, und tatsächlich birgt „Bellevue“ einige „comic reliefs“). Während die Hauptfigur an einen Fernseher gefesselt wird, versuchen die anderen drei herauszufinden, was mit der kostbaren Napoleon-Statuette passiert ist, die sich in seinem Besitz befand. Schön zeigen die Dialoge, wie die Figuren zwischen gegenseitigem Misstrauen und kurzzeitiger Verbrüderung schwanken – bis noch eine weitere Person auf der Bildfläche auftaucht und die Geschehnisse eine andere Wendung nehmen. Ob der Mensch seinem Mitmenschen immer zum Wolf wird, scheint damit zumindest ein Stück weit dahingestellt.
Die dreizehnjährige Olivia hat keine glatten Haare, sondern eine Frisur, die man allgemein als „Afro“ bezeichnen würde. In der Schule wurde sie deswegen schon ausgelacht, und einmal fasste eine wildfremde Frau ihr sogar an den Schopf, ohne sie davor um Erlaubnis zu fragen. In „Meng Hoer (My Hair)“ von Max Jacoby (mit Olivia Jacoby) schildert Olivia diese unschönen Erfahrungen – und erzählt, wie sie gelernt hat, über diesen Reaktionen zu stehen und ihre Haare so zu mögen, wie sie sind: stark gekraust und wunderbar voluminös.
Ein Mann sitzt zusammengekauert auf dem Boden, unweit von ihm schwebt eine gleißende Lichtquelle. Er fürchtet sich vor ihr, doch schließlich nimmt er doch seinen ganzen Mut zusammen und springt mitten in sie hinein. Wie er kurz darauf herausfindet, hat sich der Schritt gelohnt: Auf der anderen Seite erwartet ihn das Glück. Der sinnbildliche Charakter des zweiminütigen Animationsfilms „Bright“ von Camille Haumont scheint so klar und hell wie das Licht, das in seinem Mittelpunkt steht. Manchmal muss man eben mutig sein und den Sprung wagen, besonders, wenn man sich dabei etwas Positivem zuwendet.
Atmosphärisch, spannungsgeladen und mit der perfekt passenden Musik ausgestattet ist „Porzellan“ von Felix Keilen (mit u.a. Lilian Prent). Die Story: Eine junge Schaustellerin arbeitet an einem Schießstand. Kurz bevor sie Feierabend machen möchte, braust ein Auto heran. Ein älterer Mann steigt aus und bittet um ein Gewehr, da er für seine Tochter einen Teddybären schießen möchte. Nachdem es dem Fremden auf Anhieb gelingt, eine Rose zu schießen, versucht er, drei kleine Herzen zu treffen, um den anderen Preis zu ergattern. Als er sein Ziel jedoch mehrmals verfehlt, wird er ungehalten. Die Stimmung heizt sich zunehmend auf, bis die junge Frau merkt, dass sie in ernster Gefahr ist. Durch den Einbruch extremer Gewalt gerät ihre Welt mit einem Schlag aus den Fugen und die Normalität, in der sie lebt, wird fundamental infrage gestellt.
Als ein Höhepunkt des Abends erweist sich „Nucléaire“ von Roxanne Peguet (mit Magaly Teixeira, Konstantin Rommelfangen, Jules Waringo). Mit großer Sensibilität zeichnet der Kurzfilm den Zwiespalt eines Mannes nach, der mit einer Frau verheiratet ist – doch einen anderen Mann liebt. So geht Tun während einer durchfeierten Nacht mit seinem Arbeitskollegen Alex fremd, verschweigt seiner Gattin Mélissa jedoch den Seitensprung. Sie spürt ihrerseits schon seit geraumer Zeit, dass sich ihr Mann von ihr entfernt, und vermutet, dass zwischen ihm und Alex etwas läuft. Schmerzhaft ist es, mit anzusehen, wie Tun und Mélissa aneinander geraten und sich gegenseitig auf Übelste beschimpfen: Homophobe wie frauenfeindliche Äußerungen fallen, und man versteht, wie sehr beide in lange verinnerlichten, diskriminierenden Denkmustern gefangen sind. Tun entscheidet sich doch schließlich dazu, Mélissa die Wahrheit zu sagen und mit Alex einen Neubeginn zu wagen. Im Augenblick höchster Spannung endet der Kurzfilm – ganz so wie das echte Leben verweigert sich „Nucléaire“ einer allzu glatten Auflösung des Konflikts.
Witzige und pointierte Kritik am Irrsinn des Neoliberalismus übt „Nice Not to Meet You“ von Sirvan Marogy (mit Frederik von Lüttichau, Philipp Christopher, Michael Mike Davies, Caspar Rundegren, Hannah Solveij Gramß). Klaas ist ein zurückhaltender Einzelgänger, der seine Arbeit in der Firma gewissenhaft und gut macht. Bei einer Team-Building-Session wird er jedoch vom angeheuerten Experten – einem aalglatten Typen – nach vorne gerufen und so unter Druck gesetzt, dass ihm schließlich der Kragen platzt und er mit erfrischender Ehrlichkeit das stupide Verhalten seines Gegenübers und die Abwegigkeit der Mechanismen, nach denen der Betrieb funktioniert, entlarvt. Hier heißt es: David gegen Goliath – und zur Freude der Zuschauer kann David (zumindest diesmal) den Sieg davontragen.
Ein wenig mag die Welt, in die man in „Caroline sur le toit“ von Alejandro Bordier (mit Eugénie Anselin, Valérie Bodson, Joël Delsaut) eintaucht, an jene erinnern, die Boris Vian in seinem Roman „L’Ecume des jours“ entwirft. Fantasievoll, absurd und vor allem brutal erscheint sie angesichts der im Kurzfilm erzählten Vorkommnisse: Der Bürgermeister und seine Frau bereiten sich auf die Feierlichkeiten zum Nationalfeiertag vor, als sie von der Menschenmenge, die sich vor ihrem Haus versammelt hat, darauf aufmerksam gemacht wird, dass sich auf dem Dach eine Frau befindet. Diese heißt Caroline, und sie beginnt zu erzählen, wie sie von den anderen Bewohnern des Dorfs während ihres ganzen bisherigen Lebens nie beachtet wurde. Wie sie vernachlässigt und übergangen wurde. Die Schaulustigen feuern Caroline plötzlich an, die – berauscht von der Aufmerksamkeit – nach Applaus lechzt. Ohne es zu wissen, stiehlt sie dem verdrossenen Bürgermeister die Show. Das Blatt wendet sich, als Caroline der sensationslüsternen Masse das große wie morbide Finale – ihren Selbstmord – vorenthält. Schließlich verliert die Dorfgemeinschaft das Interesse an der verzweifelten Frau, die nur mit einer radikalen Antwort auf diese erneute Enttäuschung zu antworten weiß. Kompakt und komplex ist die Gesellschaftskritik, die Alejandro Bordier hier übt.
„Kowalsky“ von Emile V. Schlesser (mit Josiane Peiffer, Raoul Schlechter, Nilton Martins, Daniel Halici, Tatiana Santos, Darlene Sanots, Shayan Mehrafza) erzählt von einer toxischen Mutter-Sohn-Beziehung, bei der jeder der Beteiligten ausschließlich auf seinen Vorteil aus ist – und dabei zeigt, dass er auch vor Verbrechen und Tücken nicht zurückschreckt, um zu seinem Ziel zu gelangen. So fragt Kowalsky junior seine Mutter, ob sie ihm nicht ihren wertvollen Schmuck überlassen möge, denn die Scheidung von seiner Frau und „die Sache mit dem Betrieb“ hätten ihn viel Geld gekostet. Als seine Mutter ihm seine Bitte jäh abschlägt und ihn dazu mit Vorwürfen bombardiert, beschließt der Mann, heimlich bei seiner gesundheitlich geschwächten Mutter einzubrechen. Sie erwischt ihn in flagranti in der Nacht und stürzt dann unglücklich. Kurz darauf verkaufen die Kowalskys das von Schimmel befallene Haus, dabei täuscht die Mutter ihren Sohn, indem sie eine körperliche Beeinträchtigung fingiert. Wie vergiftet Familienverhältnisse sein können, ohne dass Außenstehende unbedingt etwas davon vermuten würden, zeigt „Kowalsky“ eindrücklich.
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