Bombenangriffe / Gaza und Dresden: Die Ambivalenz der historischen Vergleiche
Die Erinnerung an die Bombardierung deutscher Städte im Zweiten Weltkrieg wird häufig von Rechtspopulisten und Rechtsextremisten vereinnahmt. Mittlerweile werden Vergleiche mit den Angriffen Israels auf Gaza gezogen.
Sonntagmittag in Dresden. Eine Gruppe von laut Medienberichten etwa tausend Rechtsextremen hat sich am Hauptbahnhof versammelt. Einige tragen Fahnen, andere Kränze und Blumengebinde. Als sie sich gegen 14 Uhr in Bewegung setzen, gehen die mit den Blumen voraus. Auf den Fahnen wird schnell ersichtlich, um wen es sich bei dem sogenannten Trauermarsch handelt. „Freies Sachsen“ und „Freies Thüringen“ ist zu lesen, „Dritter Weg“ und NPD. Die rechte Szene hat sich versammelt, um in der sächsischen Elbmetropole an den Bombenangriff vom 13. Februar vor 79 Jahren zu erinnern. Sie nehmen Kurs auf die Innenstadt.
Ungefähr zur selben Zeit hat sich in anderen Teilen der Stadt der Gegenprotest formiert. Es sind etwa 5.000 Gegendemonstranten. Sie machen mit Musik und Slogans wie etwa „Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda!“ lautstark auf sich aufmerksam. Vereinzelt gibt es Versuche einer Gruppe linker Aktivisten, den „Trauermarsch“ der Rechtsextremen zu blockieren. Sie werden jedoch von der Polizei eingekesselt. Etwa 1.800 Beamte, einige davon hoch zu Ross, sind im Einsatz. Ein martialisches Aufgebot.
Die Polizei kann den Sicherheitsabstand zwischen Neonazis und linken Gegendemonstranten einhalten. Der Pressesprecher der Ordnungshüter nennt den Ablauf von „Trauermarsch“ und Gegendemo „friedlich“. Es waren weniger Demonstranten als bei den Anti-rechts-Demos der vergangenen Wochen auf der Straße – und die Anzahl der Neonazis war deutlich geringer als noch vor ein paar Jahren: 2005 etwa soll es mit rund 6.500 Teilnehmern der größte Neonazi-Aufmarsch Europas gewesen sein.
Dresdens Oberbürgermeister Dirk Hilbert hat mit zur Gegendemo aufgerufen. „Wir dürfen das Gedenken an den 13. Februar nicht den Ewiggestrigen überlassen“, sagt der FDP-Politiker. Diese seien nicht willkommen. Hilbert hat sich ein ums andere Mal dagegen gewehrt, die Geschichte umzudeuten. Der sogenannte Trauermarsch in Gedenken an die alliierten Bombenangriffe von 1945 ist schon seit langem umstritten. Seit den 90er Jahren mobilisiert die extreme Rechte. Vom 13. bis 15. Februar 1945 starben nach den Untersuchungen von Historikern etwa 25.000 Menschen in der damals etwa 630.000 Einwohner zählenden Stadt. Die Neonazis fantasieren bis heute von 350.000 Toten und von einem „Bombenholocaust“, wodurch sie den Massenmord an sechs Millionen Juden im Zweiten Weltkrieg verharmlosen.
Die alliierten Luftangriffe auf deutsche Städte waren eine Reaktion auf den Angriffskrieg der Deutschen Wehrmacht und das unermessliche Leid, das das Nazi-Regime über Europa gebracht hat. Mindestens eine halbe Million Zivilisten verloren bei den Bombardements ihr Leben. Zum Ziel britischer und amerikanischer, aber auch sowjetischer Kampfflieger wurden nicht nur Metropolen, sondern auch mittlere und kleinere Städte, fast jede Stadt mit mehr als 50.000 Einwohnern. – So auch Pforzheim.
Die nordbadische Industriestadt wurde am 23. Februar 1945 angegriffen, keine drei Monate vor Kriegsende. Nachdem deutsche Bomber vor allem britische Städte zerstört hatten, spielte zwar auch Rache eine Rolle. Schließlich hatte die Wehrmacht halb Europa verwüstet. Ohne Hitlers Krieg hätte es nicht die alliierten Angriffe gegeben. Doch gab es auch strategische und kriegsrechtliche Begründungen für die Angriffe: Dresden war ein Verkehrsknotenpunkt zur Ostfront, und in Pforzheim wurden Zünder und Präzisionsinstrumente hergestellt.
Regen aus Schwefel und Feuer
Doch rechtfertigte dies den Tod der vielen Zivilisten? Schließlich war die feinmechanische Industrie zuvor aus der Stadt ausgelagert worden. Während Köln zu 70 Prozent verwüstet wurde, waren es in Berlin mehr als eine halbe Million Wohnungen (29.000 Todesopfer), in Hamburg 300.000 – in der Hansestadt kamen bereits in der Bombennacht vom 27. auf den 28. Juli 1943 mehr als 30.000 Menschen ums Leben, insgesamt bis 3. August 1943 rund 34.000. Der militärische Codename der Luftangriffe auf Hamburg hieß Gomorrha und bezieht sich auf die biblische Geschichte von Sodom und Gomorrha, in der Gott die beiden Städte durch einen Regen aus Schwefel und Feuer vernichtet. Doch keine deutsche Stadt verlor im Verhältnis zur Bevölkerungszahl mehr Menschen durch die Luftangriffe als Pforzheim: Mit rund 17.600 Getöteten starb fast jeder dritte Einwohner, der zu dieser Zeit in der Stadt war.
„Der Abend hatte ruhig begonnen. Bis man kurz vor acht Uhr Sirenen hörte. Plötzlich war alles ganz hell“, hat der Autor dieser Zeilen später von seinem Vater erzählt bekommen. Dieser hatte als Fünfjähriger den Angriff aus einem Dorf in der Nähe von Pforzheim verfolgt. „Die Engländer schossen Leuchtkörper ab. Mit ihnen markierten sie ihre Ziele“, erinnerte er sich. Es war ziemlich genau elf vor acht, als die ersten Flugzeuge des Bomber Command der britischen Royal Air Force am Himmel erschienen waren. Die „Leuchtkörper“, wie sie mein Vater nannte – zuerst habe er gedacht, es seien brennende „Christbäume“ –, bildeten einen gelben und weißen Ring, innen grün. Dann fielen die Bomben.
Innerhalb von 22 Minuten überflogen insgesamt 378 Flugzeuge, davon 368 Bomber, über Pforzheim und warfen Spreng-, Brand- und Phosphorbomben sowie Luftminen ab, sogenannte Wohnblockknacker, mit einem Gesamtgewicht von 1.575 Tonnen. Die unzähligen Brände entwickelten sich in der aus Fachwerkhäusern bestehenden Altstadt und den angrenzenden Vierteln zu einem gigantischen Feuersturm, der sich durch die Stadt fraß. Viele Menschen konnten sich nicht mehr in die Luftschutzkeller retten, sie erstickten oder verbrannten. In einige der Keller war brennender Phosphor geflossen, auch in die Flüsse Enz und Nagold. Die improvisierten Bunker und die Gewässer, wo viele ertranken, waren zu Todesfallen geworden.
Auf den Straßen lagen überall Leichen, entsetzlich verstümmelt. Pforzheim wurde bis auf wenige Straßenzüge dem Erdboden gleichgemacht. Überall Schutt und Ruinen. Von seiner etwa 2.000 Jahre alten Geschichte (auf die Zeit der Römer zurückgehend) war nichts mehr zu sehen. 260 Hektar der Stadt waren komplett zerstört. Der 23. Februar ist zu einem Pforzheimer Gedenktag geworden. Doch in den vergangenen Jahrzehnten haben immer wieder rechtsradikale Gruppen das Gedenken mit Mahnwachen und Fackelzügen für sich zu vereinnahmen versucht. Andererseits kam es in den letzten Jahren immer wieder auch zu Demonstrationen gegen rechts. „Deutsche Täter sind keine Opfer“, heißt es. In der deutschen Erinnerungskultur ist das Gedenken an die Bombenangriffe, das den Rechtspopulisten und Neonazis nicht überlassen werden darf, bis heute ambivalent, eine „Grauzone“, heißt es in der Berliner Tageszeitung taz.
„Wer Gaza sagt, muss Dresden sagen“
Wenige Tage nach dem Massaker der Hamas am 7. Oktober an mehr als 1.300 Israelis verglich der frühere israelische Premierminister Naftali Bennett die Militäraktion der israelischen Armee mit der Bombardierung der deutschen Städte: „Als Großbritannien im Zweiten Weltkrieg die Nazis bekämpfte, hat auch keiner gefragt, was in Dresden los ist.“ Nach den Bombardements deutscher Städte hieß es, deutsche Täter seien keine Opfer. Doch wie hängt dies mit der Wahrnehmung von Gaza zusammen? „Muss, wer Gaza sagt, auch Dresden sagen?“, wie die taz schreibt. „Natürlich hinken alle Vergleiche, und Geschichte funktioniert selten eins zu eins.“ Oft wird behauptet, die deutsche Solidarität mit Israel beruhe auf der deutschen Scham über die Shoah. Aber dabei wird kaum beachtet, dass noch ein anderer Aspekt eine Rolle spielt: der alliierte Bombenkrieg gegen die deutschen Städte.
Wer von den Toten in den deutschen Städten redet, muss auch die Millionen Opfer des Holocausts erwähnen, die Opfer der deutschen Angriffe im Zweiten Weltkrieg. Und wer an die Toten von Gaza denkt, muss auch an jene des Hamas-Massakers und all jene Opfer der Terrororganisation denken. Natürlich hinken die historischen Vergleiche, sind schnell bei der Hand und genannt. Selbst im Abstand von acht Jahrzehnten sind moralische Bewertungen schwierig bis unmöglich. – Und in dem Minimalabstand im Zeitalter von Social Media?
Kürzlich nutzte Maria Sacharowa, die Sprecherin des russischen Außenministers Sergej Lawrow, die Explosion in einem Krankenhaus in Gaza für propagandistische Zwecke gegen den Westen. „Das Konzept der letzten Jahre war, dass die Bomben auf Hiroshima und Nagasaki von selbst fielen, niemand warf sie ab“, behauptete sie und unterstellte den Amerikanern eine Verschleierung ihrer Verantwortung für die Atombombenabwürfe auf Japan am Ende des Zweiten Weltkrieges. Sacharowa ging noch weiter und sagte, die EU-Kommissionschefin hätte die Sowjetunion dafür als Schuldigen benannt. Übrigens legte Israel Luft- und Audioaufnahmen vor, die belegen sollten, dass die Explosion auf das Krankenhaus in Gaza durch eine Rakete des Islamistischen Dschihad ausgelöst wurde. Russland schwieg dazu.
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Die Aufnahman die belegen ( nicht belegen sollen )dass das Krankenhaus in Gaza von einer Rakete des Islamischen Dschihad getroffen wurde , kommen nicht aus Israel ,sondern von dem Qatarischen Nachrichtensender Al Jazeera der ueber jeden Verdacht erhaben ist pro Israelpropaganda zu treiben .
▪ Eigendynamik des Tötens (2003) Von Frank SPARING, Historiker. 125 Jahre Rheinische Kliniken Düren – gestern, heute, morgen. Die Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Düren im Bombenkrieg. Herausgegeben von Erhard KNAUER, Friedel SCHULZ und Heinz LEPPER, Rheinland-Verlag, Köln, 2003. Landschaftsverband Rheinland. – (…) Die Entwertung des Lebens psychisch kranker Menschen hatte durch die drastische Verringerung der Aufwendungen für die Patienten seit der nationalsozialistischen Machtübernahme (…) eine Eigendynamik des Tötens durch Hunger oder Medikamente in Gang gesetzt. (…) Die Heil- und Pflegeanstalt Düren geriet angesichts der sich häufenden Luftangriffe seit Mitte 1942 in den Blick der Kölner Gauleitung der NSDAP, die, seit Kriegsbeginn mit erweiterten Kompetenzen ausgestattet, zunehmend eine eigenständige Katastrophenschutzpolitik betrieb. Nach zwei massiven Bombenangriffen auf Köln, Anfang Juni 1942, wurde dort eine „Einsatzstelle der Partei“ geschaffen, die den Auftrag an das Kölner Gesundheitsamt erteilte mindestens 1.500 freie Krankenbetten bereitzustellen. (…) Der Anstalt Düren wurden im Herbst 1942 zwei vorher selbständige Anstalten im besetzten Luxemburg und im annektierten Teil Belgiens angeschlossen, die seitdem ebenfalls zur Verlegung von Anstaltspatienten aus Düren genutzt wurden. (…) Am 22. September 1942 hatte der Dürener Oberarzt, Dr. Heinrich SCHÄFGEN, die kommissarische Leitung der Heilanstalt Ettelbrück im besetzten Luxemburg übernommen, die seitdem auch für die Unterbringung von Patienten aus Düren genutzt wurde, um Platz für die altersschwachen Pfleglinge aus Köln und das Reservelazarett zu schaffen. Im Mai 1940 waren die ersten Bomben auf Düren gefallen, aber trotz vereinzelter weiterer Angriffe, kam es erst im Jahr 1944 zu einer deutlichen Intensivierung der Luftangriffe. Am 13. April wurde auch erstmals die Heil- und Pflegeanstalt getroffen. (…) Im Sommer 1944 strömten bereits auf dem Rückzug aus Frankreich und Belgien befindliche deutsche Truppen durch Düren, und in der Nacht vom 15. auf den 16. September begann schließlich neben den Angriffen aus der Luft auch der Beschuß der Stadt durch alliierte Artillerie. (…) Am 21. Oktober 1944 wurde Aachen durch US-Truppen besetzt und die Rur damit zur Frontlinie. Düren bildete nun einen wichtigen Brückenkopf und wurde insbesondere zu einem zentralen Knotenpunkt für den deutschen Nachschub. Am 16. November 1944 wurde daher einer der schwersten Luftangriffe des Zweiten Weltkrieges gegen die Stadt geführt. In einem 21 Minuten währenden Angriff warfen 485 britische „Lancaster“-Bomber 2.430 Tonnen Sprengbomben und 276 Tonnen Brandbomben ab. Schätzungsweise zwischen 4.000 und 5.000 Menschen starben während des Angriffs oder an seinen Folgen. Die Stadt wurde nahezu total zerstört. (…) Der Zweck des Angriffs, den amerikanischen Bodentruppen den Durchbruch zu ermöglichen, wurde allerdings nicht erreicht. (…) Der verheerende Angriff hatte auch eine Umstimmung des Reichsverteidigungskommissars im Gau Köln-Aachen zur Folge, der nun die Räumung der Heil- und Pflegeanstalt anordnete. (…)
MfG
Robert Hottua