Sprache in Bildern sehen / Gebärdensprach-Dolmetscherin Lynn Menster über ihre Erfahrungen während der Pandemie
Wenn Xavier Bettel und Paulette Lenert vor die Presse traten, um die Maßnahmen im Kampf gegen das Coronavirus anzukündigen, war sie stets mit von der Partie: Lynn Menster ist Gebärdensprachdolmetscherin. Wie hat sie die Pandemie erlebt, wie erlernt man den Beruf eigentlich und welchen Einfluss hatte der Lockdown auf die Sprachkurse?
Seit der Corona-Krise wird Lynn Menster immer häufiger wiedererkannt. „Sätze wie ,Sie sind doch die Frau von der Pressekonferenz’ oder ‚Du warst mal wieder im Fernsehen’ bekomme ich jetzt öfter zu hören“, erzählt sie lachend. „Das finde ich sehr positiv. Denn so weiß ich wenigstens, dass diese Menschen die Pressekonferenz mitverfolgt haben und auf dem neuesten Wissensstand sind.“
Lynn Menster ist eine der zwei Gebärdendolmetscherinnen, die sämtliche öffentlichen Auftritte der Luxemburger Politiker während der Corona-Krise übersetzt haben. Bei den Übertragungen war sie in der Regel am rechten unteren Bildrand zu sehen. Besonders der Beginn der Krise war für sie eine turbulente Zeit. „So eine Krise hat noch niemand erlebt. Weder die Politik noch wir waren richtig vorbereitet auf das, was kam“, sagt Menste
Chaotischer Start
Am Anfang sei unklar gewesen, an wen man sich mit bestimmten Fragen wenden kann und wie die Kommunikationskanäle organisiert sind. „Dazu kam, dass wir von Betroffenen immer wieder gefragt worden sind, ob wir diese oder jene Pressekonferenz auch dolmetschen werden. Bis ich irgendwann gesagt habe: Wir sind ab jetzt bei jedem Auftritt dabei“, erzählt Menster.
Wir sind in der Coronazeit als Dolmetscherteam sehr eng zusammengewachsen
Die beiden zuständigen Dolmetscherinnen seien teils froh gewesen, wenn man wenigstens einen Tag vorher über das gebrieft wurde, was gesagt werden sollte. „Allerdings gab es von Anfang an keine Diskussion darüber, ob wir Gebärden dolmetschen sollten oder nicht. Das hat niemand infrage gestellt“, sagt Menster. Von den Betroffenen selbst habe es deswegen positives Feedback gegeben. Auch die Tatsache, dass Zusammenfassungen der Pressekonferenzen auf Deutsch und Französisch zur Verfügung gestellt wurden, kam gut an.
Menster freut sich darüber, dass die beiden Frauen in der Coronazeit sehr eng als Team zusammengewachsen sind – und das, obwohl sie sich teilweise wochenlang nicht gesehen haben. „Das haben wir bewusst entschieden, um zu vermeiden, dass die eine die andere bei einer Infektion anstecken könnte. So konnten wir garantieren, dass immer eine von uns die Arbeit weiterführen konnte.“
Dies führte allerdings dazu, dass die Dolmetscherinnen oft länger im Einsatz waren, als eigentlich im Beruf vorgesehen ist. „Normalerweise soll man nur während bis zu einer Stunde alleine dolmetschen. Termine, die länger dauern, sollen eigentlich zu zweit abgedeckt werden“, erklärt Menster. Nach einer Stunde nimmt nämlich die Konzentration ab. Nur eine einzige Pressekonferenz während der Corona-Krise wurde von den beiden abgedeckt. „Das war ein zentraler Moment und wir hatten wirklich keine Ahnung, wie lange es dauern würde.“
Außerhalb der Corona-Krise ist das eigentlich der Normalfall. Während das Dolmetschen von Arztterminen oder Behördengängen selten mehr als einen Experten erfordert, werden bei jeder Parlamentssitzung gleich mehrere benötigt. In Luxemburg gibt es drei Gebärdendolmetscherinnen, von denen eine derzeit im Mutterschaftsurlaub ist. Bei der Frage, ob es mehr solche Dolmetscher bräuchte, zögert Menster: „Es gibt Phasen, da haben wir kaum Termine. An anderen Tagen bräuchten wir fünf oder sechs Menschen, um alles zu schaffen.“ Ist dies der Fall, wird Hilfe aus Deutschland rekrutiert.
Hilfe aus Deutschland
Am Donnerstag sei ein solcher Tag gewesen. „Die Kollegen in Deutschland sind froh, uns zu unterstützen. Auch sie haben manchmal Leerlauf und viele arbeiten selbstständig“, sagt Menster. Ihr Einsatz erfordere aber mehr Organisation, als wenn die luxemburgischen Gebärdendolmetscherinnen den Termin selbst abdecken könnten. „Ich benötige in der Regel nur den Videofeed des Parlaments und eine auf mich gerichtete Kamera“, erklärt die Dolmetscherin. „Die deutschen Kollegen verstehen allerdings nicht immer Luxemburgisch oder Französisch. Dann wird ein weiterer Dolmetscher benötigt, den der Zuschauer nicht sieht und der die Debatte für den Gebärdensprachdolmetscher übersetzt.“ Bei der Debatte am Donnerstag seien tatsächlich vier Dolmetscher im Einsatz gewesen, da auch die Personen, die von Luxemburgisch auf Deutsch übersetzen, sich nach einer Stunde abwechseln mussten.
Für sie persönlich sei Luxemburgs Vielsprachigkeit kein Problem. „Oft vergesse ich beim Gebärdendolmetschen sogar zu sagen, wenn einer mal für einen Satz in eine andere Sprache wechselt“, sagt Menster lachend. Nur beim Übersetzen von der Gebärdensprache ins Französische ärgere sie sich manchmal über ihre Leistung: „Manchmal benutzt die Person ein so tolles Sprachbild und meiner Übersetzung, auch wenn ich den Inhalt korrekt wiedergebe, fehlen einfach die Ausdrücke, um es ebenso schön wiederzugeben.“
Corona und die „Welt-Epidemie“
Die Corona-Krise hielt für die Gebärdendolmetscherinnen auch sprachlich einige Hürden bereit. „Teilweise gibt es gar keine passenden Gebärden für das verwendete medizinische Vokabular. Prävalenz-Tests zum Beispiel. Ich musste dann oft diese Worte buchstabieren“, sagt Menster. Auch für das Virus selbst habe es keine Gebärde gegeben. „Die gibt es aber mittlerweile.“
Je mehr ich recherchiere, desto sicherer bin ich, wenn ich dolmetsche
Oft hätten auch Gebärden angepasst werden müssen, damit sie über Video weiter verständlich bleiben. Pandemie und Epidemie sind fast die gleiche Geste. Nur das Mundbild ist anders. Dabei sei gerade der Aspekt, dass das Coronavirus die ganze Welt im Griff hat, wichtig gewesen. So sei also aus dem Wort „Pandemie“ in der Gebärdensprache eine „Welt-Epidemie“ geworden.
Die Corona-Krise habe für Menster viel Recherchearbeit bedeutet. Sie habe abgeglichen, was die Kollegen in Deutschland machen, und versucht, genau zu verstehen, wie sich die Situation entwickelt. „Je mehr ich recherchiere, desto sicherer bin ich, wenn ich dolmetsche. Mit der Zeit wird man immer sattelfester in einem Thema und kennt sich aus.“ So auch bei Corona. Als besondere Leistung sieht sie ihren Einsatz in der Corona-Krise aber nicht. „Ich habe eben meine Arbeit gemacht“, sagt sie.
Anfänger versuchen oft wortwörtlich zu übersetzen
Entdeckt hat Lynn Menster ihre Liebe zum Gebärden dolmetschen eher zufällig. Sie studierte Pädagogik in Innsbruck, als sie Gebärdensprache als Wahlfach belegte. „Danach hab ich mich entschlossen, noch einmal fünf Jahre dranzuhängen und ein Dolmetscherstudium zu machen.“ 2011 ist sie nach Luxemburg zurückgekehrt und arbeitet seitdem als Gebärdendolmetscherin.
Im Laufe der Jahre habe sie viel dazugelernt. Als Anfänger „klebe“ man oft an dem, was gesagt wird, und versucht es wortwörtlich zu übersetzen. „Erst mit der Zeit habe ich gelernt, mir die Zeit zu nehmen und erst zu verstehen, was die Person eigentlich sagen will. Dann kann ich auch ein schönes, verständliches Bild in der Gebärdensprache bauen.“
Sprache in Bildern zu sehen, sei auch das Schwierigste beim Erlernen von Gebärdensprache. „Es ist wie ein Film, der Parallel mitläuft, an den man denken muss“, sagt Menster. Anfänger müssen sich auch auf viel kritisches Feedback einlassen. Etwa darüber, dass ihre Mimik nicht klar genug war oder jene Geste etwas unsauber und undeutlich war. „Ich bin aber sehr froh, dass ich es gelernt habe und verwende es auch im Alltag. Meine Tochter hat schon einige Gesten aufgeschnappt.“
Kinder haben es beim Erlernen der Gebärdensprache allgemein leichter als Erwachsene. „Wir sind eben zu alt“, scherzt Menster. Die Sprachentwicklung selbst verläuft bei Kindern bei der Gebärdensprache parallel zu jeder gesprochenen Sprache ab. „Auch sie haben eine ‚Lallphase’ oder eine Zeit, in der sie Gesten nicht mehr ganz richtig ausführen, obwohl sie sie vorher konnten.“
Sprachkurse im Netz
2018, nachdem die Gebärdensprache offiziell in Luxemburg anerkannt wurde, wechselt Menster ins „Centre de logopédie“ des Bildungsministeriums. Ob sich seit der Anerkennung der Sprache etwas geändert habe, kann sie nicht genau sagen. Vieles von dem, was eingeführt wurde, sei in der Praxis eh schon so gemacht worden. Beispielsweise, dass taube oder hörgeschädigte Personen einen Gebärdensprachdolmetscher zur Begleitung auf einen offiziellen Termin anfordern können. „Aber es war wichtig, dass die Betroffenen die Anerkennung bekommen haben, die sie schon seit Jahren gefordert haben“, betont Menster. Auch die 100 Stunden Gratis-Kurse für Familie und Partner seien eine wichtige Errungenschaft.
Das Erste, was ich tun werde, wenn die Krise vorbei ist, ist, mein Handy auszuschalten
Die Pandemie habe ihre Spuren aber auch bei den Kursen für Gebärdensprache hinterlassen. „Es wurden nur die Kurse weitergeführt, die schon begonnen hatten“, erklärt Menster. Der Unterricht fand online statt, was ganz eigene Herausforderungen mit sich brachte. Besonders bei den Anfängerkursen sei es schwierig, die Mimik und die Gestik über Video beizubringen, da oft kleine Unterschiede bedeutend sind. „Hinzu kam, dass bei dem verwendeten Programm immer nur die Person angezeigt wird, die spricht. Die tauben oder gehörgeschädigten Kursleiter allerdings machen wenig Geräusche. Es mussten also kreative Lösungen her, damit die richtige Person auch im Bild ist.“
Ob das Interesse an der Gebärdensprache nach der starken Präsenz während der Corona-Krise gewachsen ist, weiß Lynn Menster nicht. „Es wäre natürlich schön, wenn nun mehr Leute in die Kurse kommen würden.“ Persönlich freue sie sich erst mal auf ein wenig Entspannung. „Das Erste, was ich tun werde, wenn die Krise vorbei ist, ist, mein Handy auszuschalten.“
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