Polen / Gedenken an den Warschauer Aufstand gegen die Nazi-Besatzer vor 80 Jahren
Am 1. August 1944 erhoben sich bis zu 46.000 Untergrundsoldaten in Warschau gegen die Wehrmacht und SS. 63 Tage lang boten sie den Besatzern Paroli. Dieser unbeugsame Widerstand wird heute von Polen und Deutschen in der Ukraine gesehen.
Nur etwa jeder vierte Warschauer Aufständische hatte 1944 eine Feuerwaffe. Trotzdem nahmen diese frühen Stadtguerillas innerhalb weniger Tage die Warschauer Altstadt, die Innenstadt und weitere Stadtteile ein. Dabei entstand ein Flickenteppich befreiter Gebiete, die jedoch von von Deutschen besetzten Straßen und Häuserblocks umgeben waren. Neben bis zu 45.000 Soldaten der großen, bürgerlichen Heimatarmee (AK) hatten sich auch ein paar Abteilungen der kommunistischen Volksarmee (AL) erhoben, rund 1.300 Männer und Frauen. Ihnen standen am Anfang rund 20.000 überraschte und desorientierte Deutsche gegenüber.
Die polnische Führung unter AK-General Tadeusz Komorowski (Pseudonym „Bor“) hatte den Aufstand nach langem Zaudern angesichts der sich von Osten nähernden Roten Armee losgebrochen. Man wollte die Sowjets als Herrscher über ein bereits befreites Warschau empfangen; damit sollte die bürgerliche Exilregierung in London bei allfälligen Nachkriegsverhandlungen mehr Gewicht bekommen.
Erste Truppen der Roten Armee befanden sich Anfang August in den östlichen Vororten Warschaus, doch eroberten sie den Stadtteil Praga am östlichen Weichsel-Ufer. Die Westalliierten unterstützten die Aufständischen mit wenigen Waffen- und Munitionsabwürfen aus der Luft; die Rote Armee hingegen wartete ab. Erst Mitte September, nachdem der polnische Widerstand in der befreiten Innenstadt bereits gescheitert war, erlaubte Stalin rund 100 US-Bombern Hilfsflüge mit einer Zwischenlandung im ukrainischen Poltawa.
Die Besatzer waren zu Beginn des Warschauer Aufstands völlig überfordert. Die deutsche Armeeführung ließ deshalb eiligst SS-Einheiten um die besetzte polnische Hauptstadt zusammenziehen. SS-Reichsführer Himmler gab den Befehl, jeden Einwohner Warschaus zu erschießen und die Stadt dem Erdboden gleichzumachen. Anfang August wurden so im westlichen Stadtteil Wola bis zu 50.000 Zivilisten bestialisch ermordet, teils von SS-Hilfstruppen aus den besetzen Ostgebieten. Dazu sollten in den nächsten zwei Monaten rund 150.000 weitere von den Deutschen ermordete Zivilisten kommen.
Nachdem erste besetzte Stadtteile bis Mitte August gefallen waren, zogen sich bis zu 4.500 Aufständische in der Nacht vom 1. zum 2. September über die Abwasserkanäle aus der Altstadt zurück. Ende des Monats mussten auch die Stadtteile Mokotow und Zoliborz kapitulieren, am 2. Oktober unterzeichnete General „Bor“ die Kapitulation. Tausende AK- und AL-Kämpfer, Pfadfinder-Hilfstruppen und Zivilisten wurden in der Folge in deutsche KZ oder zur Zwangsarbeit verschleppt, Hunderte von Kämpfern standrechtlich erschossen. Auf polnischer Seite verloren bis zu 240.000 Menschen das Leben, darunter etwa 15.000 Soldaten. Die deutschen Besatzer hatten etwa 10.000 Tote zu beklagen. „Am Schluss hat man uns gezwungen, zu kapitulieren – wir hätten weitergekämpft“, erzählte Olgierd Budrewicz, 1944 Unterleutnant der „Armia Krajowa“ (AK).
Verfolgung durch die Kommunisten
Auf die Helden des Warschauer Aufstands von 1944, darunter auch Juden, die, wie etwa Marek Edelmann, ein gutes Jahr nach dem Ghettoaufstand von 1943 nochmals beim Warschauer Aufstand mitkämpften, wartete nach Kriegsende in Polen in vielen Fällen das Gefängnis. Den kommunistischen Machthabern waren die nationalpatriotischen AK-Kämpfer ein Dorn im Auge; die schändliche Episode der Roten Armee, die lieber abwartete, als in Warschau polnische Verbündete zu retten, sollte aus den Geschichtsbüchern verdrängt werden. Zwar konnte nach Stalins Tod am 1. August 1957 ein erstes offizielles Aufstands-Gedenken in Warschau stattfinden, doch auf ein Denkmal zu Ehren der Aufständischen mussten die Polen bis nach der demokratischen Wende von 1989 warten.
Letzter Fixpunkt für Regierung und Opposition
Erst in den Achtzigerjahren begannen in anti-kommunistischen, oppositionellen „Solidarnosc“-Kreisen offene Diskussionen über den gescheiterten Selbstbefreiungsversuch der polnischen Hauptstadt. Kontrovers ist die Rolle der Sowjetunion, die die Warschauer Bevölkerung zwar Ende Juni 1944 in mehreren Radiosendungen zur Erhebung ermunterte, sie aber in den folgenden 63 Tagen im Stich ließ. Diskutiert werden in Polen bis heute auch die vielen zivilen Opfer. Polen hatte als einziges von Hitler besetztes Land einen Parallelstaat im Untergrund mit einer eigenen Armee aufgebaut. Diese jedoch konnte die Warschauer während des Aufstandes de facto nicht vor deutscher Brutalität beschützen. Dessen ungeachtet ist der Warschauer Aufstand von 1944 heute in Polen ein zentraler Punkt des Gedenkens und der Geschichtspolitik aller – in vielen anderen Punkten verfeindeten – politischen Lager.
Noch immer wird von Berlin zudem eine Wiedergutmachung für die enormen Opfer erwartet. Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier blieb bei seiner Warschauer Gedenkrede am Vorabend des Aufstandes vor 80 Jahren dennoch unkonkret: „Vieles ist auf dem Weg, auch für die noch lebenden Opfer der deutschen Besatzung; dazu stehen unsere beiden Regierungen in engem Austausch“, sagte er am Mittwochabend in Warschau. Zuvor bat er die Polen um Vergebung für die Gräueltaten der Deutschen von damals und schlug einen Bogen zu demselben „Geist der Unbeugsamkeit“ heute in der Ukraine.
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