Gemeinderat / Geduld und Spucke: Luxemburg-Stadt verabschiedet Entwurf für 800-Millionen-Euro-Haushalt
Verdiente Winterpause: In einer fünfstündigen Marathonsitzung verabschiedete der Gemeinderat der Hauptstadt am Montag den städtischen Haushalt für das kommende Rechnungsjahr. Der vorliegende Etat lässt die Zukunft, trotz aller außergewöhnlichen Herausforderungen, noch immer gut aussehen.
Alle hatten sich auf das Herzstück der gemeindepolitischen Arbeit vorbereitet: Die Räte, allen voran die Opposition, hatten unzählige Fragen gestellt sowie Erklärungen und Präzisionen gefordert. Der Schöffenrat konterte mit präzisen, mitunter sehr ausschweifenden Antworten, die dazu führten, dass die Anwesenden, genau wie ihr virtuelles Publikum, jede Menge Sitzleder brauchten.
Die großen Projekte waren für die Chefin: Sobald das neue Fußball- und Rugbystadion auf Kockelscheuer fertiggestellt und die Sportler umgezogen sind, beginnt die urbanistische Neugestaltung des geplanten Stadtviertels „Stade“ auf rund 10 Hektar. Aktuell sind die sieben Architekturbüros, die eine Planung ausgearbeitet haben, alle noch im Rennen. Sie bekamen am Montag den Auftrag, die bei der Ausstellung der Projekte vom Publikum gesammelten Anregungen zu berücksichtigen. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei der Tram, die zu einem späteren Zeitpunkt, bei der Anbindung an Strassen, dieses Gebiet bedienen soll.
Das größte von der Stadt geplante neue Viertel jedoch ist die „Porte de Hollerich“ mit ihren 35 Hektar Bauland, auf denen ein sogenanntes Ökoviertel entstehen soll.
Etwas näher zum Bahnhof, auf dem rund 20 Hektar großen Areal, das ehemals von Heintz van Landewyck und Paul Würth genutzt wurde, entsteht „Nei Hollerich“ mit 2.800 Wohnungen. Auch hier ist bei der Planung die spätere Einbindung der Tram wichtig. „Wir dürfen nicht die gleichen Fehler machen wie in Gasperich“, mahnte Bürgermeisterin Lydie Polfer (DP).
Großprojekte
Die „place de l’Etoile“ und das frühere „Villeroy & Boch“-Gelände im Rollingergrund sind weitere Großprojekte in Planung, genau wie die Neugestaltung des ehemaligen „Schluechthaus“ in Hollerich. Hier geht es um die Harmonie zwischen der bestehenden Architektur und den modernen Vorgaben. Das Lastenheft für einen Architektur-Wettbewerb ist in Arbeit.
Ein neues Leichtathletik-Stadion, das neue Recycling-Center hinter dem Friedhof von Merl und eine neue Garage für die städtischen Busse in Kockelscheuer sind weitere mehrjährige Projekte, genau wie die dringend notwendige Sanierung der Kläranlage in Beggen.
Die Wohnungssituation in der Hauptstadt, die im kommenden Jahr wohl mehr als 125.000 Einwohner zählen wird, war denn auch eines der Themen, zu denen die Gemeinderäte jede Menge Fragen aufgeworfen hatten. Der zuständige Schöffe Maurice Bauer unterstrich in seiner Antwort die Bedeutung des sozialen Wohnungsbaus. Er konnte zwar mit Zahlen aufwarten, diese klangen im Vergleich zu den angekündigten Großprojekten jedoch eher bescheiden: Die Stadt hat in den vergangenen zwei Jahren 119 Wohnungen, Häuser und möblierte Zimmer hergerichtet, weitere 87 sind noch im Bau. Sie gehen vor allem an sozial schwache und junge Familien. Diese waren auch vorrangige Nutznießer der Einkaufsbons, die die Stadt im Frühjahr ausgegeben hatte, um den Handel nach der Pandemie zu unterstützen.
Dienstleistungen
Eine Stadt ist nicht nur Bauherr, sondern vor allem auch Dienstleister. Luxemburg-Stadt bekam für die Vielfalt ihrer Interventionen in der Regel nur positive Reaktionen, selbst wenn sie selbst nicht überall direkt präsent ist. Bei der Streetwork arbeitet die Gemeinde mit vier externen Sozialorganisationen zusammen, die alle viel Erfahrung haben. Das macht sie auch im neuen Projekt „A vos côtés“, wo eine eigene Behörde mit den Sozialdiensten, aber unabhängig von den aktuell eingesetzten privaten Sicherheitsleuten, das Vertrauen der Einwohner des Bahnhofsviertels stärken soll.
Parallel dazu werden die sozialen Einrichtungen für Drogenabhängige und Menschen ohne Wohnung erweitert. Man gehe hier sehr pragmatisch vor und habe dafür international Anerkennung bekommen, antwortete Bauer auf den Vorwurf des Stillstandes in diesem Bereich.
Anerkennung bekam auch der Umgang mit den städtischen Geldern. Geplant sind für 2021 rund 800 Millionen. Der Vorschlag von François Benoy („déi gréng“), das Budget nach Bereichen zu gestalten, hat jedoch in den Augen des zuständigen Schöffen Laurent Mosar (CSV) keinen Sinn, dafür sei das Gemeindebudget zu eng geschnürt. Unter Umständen könnten einzelne Ausgaben auf ihre Nachhaltigkeit hin überprüft werden. Einen Seitenhieb gab es dabei für den Umgang des Innenministeriums mit den Gemeinden.
Mobilität
Die Mobilität der 125.000 Hauptstädter und der 200.000 Arbeitnehmer, die täglich zur Arbeit herfahren, bleibt auch mit der verlängerten Trambahnlinie und der Umorganisation der Buslinien ein leidiges Thema. Bitter aufgestoßen ist dem zuständigen Dienst die Absicht des „Régime général des transports routiers“ (RGTR), eine Buslinie zwischen dem Bahnhofsviertel und Kirchberg einzurichten, um ihren Kunden einen Fußweg bis zur Tramhaltestelle am Bahnhof zu ersparen. „Die Nutzer (rund 40 Millionen im Jahr) müssen halt ihre Gewohnheiten ändern“, so der zuständige Schöffe Patrick Goldschmidt (DP).
Sorgen bereiten Goldschmidt zurzeit auch die Fahrradwege. Ein auf Limpertsberg geplanter Weg bekam keine Zustimmung von der Umwelt, weil einige Bäume gefällt werden mussten. Die geplante Fahrradbrücke von Bonneweg nach Kirchberg liegt nicht im Kompetenzbereich der Stadtverwaltung und hat von der zuständigen CFL bereits einen negativen Bescheid bekommen. Die Frage wird jedoch im Januar nochmals aufgegriffen. Beklagt hat der Schöffe auch eine angeblich fehlende Dialogbereitschaft des Staates in der Gestaltung des „Vëlosummer 2020“. „Wir wurden nicht gefragt“, hieß es.
Untertags
Auch die Mutigen, die sich noch mit dem Auto in die Stadt trauen, müssen sich in Geduld üben: Das von vielen gemiedene Parkhaus „Wedell“ wird aufgefrischt, um mehr Sicherheit zu gewährleisten. Die bis 2024 noch verfügbaren Parkplätze in der Glesenerstraße sind in Vergessenheit geraten.
Im Parkhaus „Martyrs“, das seit dem Brand im September 2019 geschlossen ist, können nach zähen Verhandlungen mit den Versicherungen der ausgebrannten Autos jetzt die Renovierungen anlaufen. Nur teilweise nutzbar ist auch das Parkhaus unter dem „Knuedler“, in dem die Arbeiten zur Erweiterung laufen.
Dringend notwendig ist die Herrichtung des Parkhauses „Theaterplaz“, wo ernsthafte Statikprobleme festgestellt wurden. Dabei braucht es auch ein neues Konzept für die oberirdische Gestaltung. „Wir brauchen die unterirdischen Parkplätze, damit wir die Oberfläche schöner gestalten können“, eilte Bürgermeisterin Lydie Polfer (DP) ihrem geforderten Mobilitätsschöffen zu Hilfe. Wobei die Bemerkung, dass die verfügbaren Parkvignetten somit bald weniger werden könnten, die Vorfreude schnell wieder dämpfte.
Wohlbefinden
Einfacher war es für den Handelsschöffen Serge Wilmes (CSV), der auf die Hilfen verweisen konnte, die die Stadt ihren 942 Geschäftslokalen und 823 Gaststätten während der vergangenen Monate gewährt hat. Ein Erfolg sind auch die Pop-up-Geschäfte. Die beiden ersten Mieter haben aus dem kurzzeitigen Versuch an anderer Stelle ein dauerhaftes Projekt gemacht. Die Stadt hat daraufhin auch private Hausbesitzer zum Mitmachen angeregt. Und sie hat im aktuell etwas verwaisten Bahnhofsviertel vier leerstehende Schaufenster weihnachtlich dekorieren lassen, um für eine festliche Stimmung zu sorgen.
Jetzt plant der Schöffe ein „PIB bien-être“, mit dem er erforschen will, wie wohl sich die Bewohner in der ständig wachsenden Stadt fühlen. In diesem Sinn soll auch die Bürgerbeteiligung verstärkt werden. Das geschieht einerseits in der Diskussion über anstehende Projekte, aber auch in kleinen Privatinitiativen, die das Wohlbefinden in den einzelnen Stadtteilen verstärken.
Die Einrichtung einer internationalen Schule, die Mitgliedschaft beim „Minett Kompost“, der Wasserwirtschaftspreis, die Unterstützung der Stadt für die Kultur und die Frage nach einem Standort für ein neues Freibad waren weitere Themen des budgetären Marathons auf dem „Knuedler“, bei dem der Haushaltsentwurf 2021 mit den Stimmen der Mehrheit und der ADR angenommen wurde.
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