Editorial / Gefährliche Parallelwelten: Mit Trumps Verurteilung ist die rechte Bedrohung alles andere als gebannt
Schuldig in allen 34 Anklagepunkten – das war das Urteil, das die Jury im Prozess gegen Donald Trump am 31. Mai gefällt hat. Damit ist der Rechtspopulist der erste frühere US-Präsident, der als Verbrecher verurteilt wurde. Am 11. Juli soll nun der Richter die Strafe festlegen und tatsächlich könnte Trump bald hinter Gittern sitzen.
Diejenigen Europäer, die hoffen, dass mit diesem Prozess der Trump’sche Wahn in den USA ein Ende hat, liegen leider falsch. Nur weil Trump nun ein verurteilter Verbrecher ist, heißt nicht, dass er als potenziell künftiger Präsident nicht mehr infrage kommt. Seine Wahl zum republikanischen Kandidaten gilt in den USA bereits als gesetzt – immerhin gibt es keinen Gegenkandidaten mehr und die Mehrheit der Partei scheint weiter hinter ihm zu stehen. Es bleibt die Hoffnung, dass auch wegen dieses Urteils ausreichend moderate Republikaner und unabhängige Wähler Trump als unwählbar betrachten und stattdessen die Demokraten unterstützen.
Trump allerdings untergräbt schon seit Monaten die Legitimität der Gerichtsverfahren gegen ihn und die Justiz insgesamt. Dabei setzt er auf komplettes Gaslighting seiner Anhänger, die am Ende in einer Parallelwelt gefangen sind, in der er zwangsweise immer der republikanische Messias ist.
Er sei komplett unschuldig, jammerte Trump bei jeder Gelegenheit, wenn ihm ein Mikrofon vor die Nase gestellt wurde. Die Anklagepunkte seien alle erstunken und erlogen. Es sei eine politische „Hexenjagd“, er würde politisch verfolgt. Dabei zog er sogar einen Vergleich mit Nelson Mandela. Biden stecke hinter allem, würde die Fäden ziehen, weil er Angst habe, die Wahl zu verlieren. Der Richter, die Jury, der Staatsanwalt, sie alle seien Teil einer großen Verschwörung gegen ihn. All dies und weitere Lügen haben Trump und sämtliche seiner Sprachrohre über Wochen und Monate gebetsmühlenartig wiederholt. Alles mit dem Ziel, dass die Trump-Wähler – egal wie der Prozess ausgeht – kein Vertrauen ins Justizsystem mehr haben. Wird Trump unschuldig gesprochen? Dann nur, weil er stärker ist als die Verschwörung gegen ihn. Wird Trump schuldig gesprochen? Dann nur, weil alle miteinander an einem Plan gearbeitet haben, um ihn aus dem Weg zu schaffen.
Im Wahlkampf 2020/2021 fuhr Trump eine ähnliche Taktik. Damals untergrub er, wie sonst nie ein Kandidat vor ihm, das komplette US-Wahlsystem. Nach der Wahl weigerte er sich dann einfach, die Wahl anzuerkennen und befeuerte seine Anhänger darin, „sich zur Wehr zu setzen“. Das endete schließlich in der Gewalt des 6. Januar, als Trump-Unterstützer das Capitol stürmten.
Diese Gewaltbereitschaft ist aus der Szene nicht verschwunden. Schon jetzt wird in einschlägigen Foren darüber geredet, dass man den Richter und den Staatsanwalt im New Yorker Prozess „bestrafen“ müsse. Die Jury-Mitglieder sollten alle „gedoxt“ werden, also ihre Namen, Adressen usw. veröffentlicht werden, mit dem ominösen Ziel, sie für das Urteil „zur Rechenschaft zu ziehen“.
Unter anderem das zeigt, dass Trumps Würgegriff der amerikanischen Politik alles andere als vorbei ist. Sollte es nicht so laufen, wie er und seine Anhänger es sich erhoffen, könnten Teile der Trump-Gefolgschaft bereit sein, mit Gewalt gegen alles vorzugehen, was nicht in die selbst erschaffene Parallelwelt passt. Und leider dienen die in den USA von den Rechten benutzten Taktiken allzu oft als Blaupause für die rechten Parteien in Europa.
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