Parlament / Gefängnisstrafen oft nicht notwendig – aber Alternativen werden wenig genutzt
Eine ganze Reihe von alternativen Strafen und Maßnahmen stehen der Justiz zur Verfügung; allerdings werden diese nur ungenügend genutzt, so die Meinung der meisten Abgeordneten. Dass ein Gefängnisaufenthalt wenig Nutzen für Täter, Opfer und Gesellschaft bedeutet, unterstrichen gleich mehrere Redner. Das Wegsperren vom Menschen sollte lediglich als letztes Mittel genutzt werden.
Sind Luxemburgs Richter zu streng? Verurteilen sie zu viele Straftäter zu Gefängnisstrafen und nutzen nur selten Alternativen? Ein gewisser Frust war jedenfalls am Mittwoch während der Interpellation von Dan Biancalana (LSAP) und in den anschließenden Redebeiträgen zu spüren. Die entsprechende Reform aus dem Jahr 2018 werde nicht richtig umgesetzt; die Justiz nutze die von der Politik geschaffenen Möglichkeiten, wie etwa den Einsatz elektronischer Fußfesseln, nur ungenügend.
Alternative Strafen oder Bewährungsstrafen, so Biancalana einleitend, seien weniger sichtbar als ein Gefängnis mit der geografischen Einschränkung für die Gefangenen durch hohe Mauern. Allerdings würden die kaum bekannten Alternativen reale Erfolge bringen, ein Gefängnisaufenhalt hingegen sei nicht die Lösung bei abweichendem Verhalten, wie Straftäter es zeigen.
Biancalana ging auf einige der alternativen Möglichkeiten ein. So sei der „contrôle judiciaire“ während der Untersuchungsphase, verbunden mit einer Reihe von Auflagen, eine oft umsetzbare Möglichkeit, auf Untersuchungshaft verzichten zu können.
Gemeinnützige Arbeit, die bis zu sechs Monaten vom Gericht festgelegt werden kann, sieht Biancalana als gute Alternative, ebenso wie die Streichung der Urteilsverkündung („suppression du prononcé de la condamnation“), die dem Verurteilten eine zweite Chance gebe. Auch die verschiedenen Arten von Bewährungsstrafen sollten oft genutzt werden, so der diplomierte Kriminologe und Düdelinger Bürgermeister. Eine Fraktionierung der Strafe, die „semi-liberté“, der Hafturlaub, die Verkürzung der Strafe, die Freilassung mit Auflagen seien gute Möglichkeiten, die das Gesetz bietet. Allerdings würde die Anwendung dieser Maßnahmen durch die Gerichte abnehmen.
„Prisong doheem“
42,5 Prozent der Gefängnisinsassen verbüßen eine Strafe, die kürzer als drei Jahre ist, so der Interpellant weiter. Drei Jahre seien auch die Periode, während der die elektronische Fußfessel eingesetzt werden kann, ein Ersatz für das Wegsperren also, der es erlaubt, zu arbeiten, ein Familienleben zu führen und den sozialen Anschluss nicht zu verlieren. Auch vor dem Prozess sollte dieses Mittel stärker genutzt werden; aktuell ist der Einsatz der Fußfessel während der Untersuchung eines Falls jedoch selten.
Biancalana verwies weiter auf die Gefahr, dass nach der Eröffnung des Untersuchungsgefängnisses, bei also wachsenden Kapazitäten, die Anzahl an Gefängnisstrafen weiter steigen könne. Dabei seien die alternagtiven Maßnahmen effizient und sollten auch genutzt werden.
Dies ist auch die Meinung von Léon Gloden (CSV), der „Luft nach oben“ bei der Anwendung alternativer Strafen sieht. Die Strafe, die übrigens zeitnah nach der Tat angewandt werden solle, dürfe keine Rache sein. Auch Gloden sprach sich für einen verstärkten Einsatz der elektronischen Fußfessel aus.
Die Luxemburger Richter, so Pim Knaff (DP), würden vergleichsweise viele Gefängnisstrafen aussprechen. Dabei löse das Gefängnis keine Probleme. Ein Drittel der Insassen sei wegen Drogendelikten verurteilt worden; für diese Gefangenen sei dies sicher der falsche Ort. Auch er sprach sich für eine stärkere Nutzung von Alternativen aus.
„Justiz handelt konservativ“
Einerseits Sicherheit für die Gesellschaft bieten zu wollen, auf der anderen Seite der Schaden, den es verursacht, Menschen einzusperren – dies stelle ein Dilemma dar, so Charles Margue („déi gréng“), der auf die Niederlande verwies. Hier habe ein Umdenken eingesetzt: Da das Gefängnis wenig Positives bringt, werden kürzere Strafen verhängt. Jede vierte Haftanstalt konnte inzwischen geschlossen werden. Die Luxemburger Justiz handele hingegen konservativ und der von der Politik gewollte Mentalitätswechsel habe sich noch nicht durchgesetzt.
Die Institution Gefängnis müsse generell infrage gestellt werden, Sinn und Unsinn der Haftanstalten vorurteilsfrei untersucht werden, so Roy Reding (ADR). Die Antwort auf Drogenkriminalität sei nicht das Einsperren der Dealer, sondern die Liberalisierung der Suchtmittel. Untersuchungshaft, dies sei seine Erfahrung als Anwalt, sei nur in den seltensten Fällen notwendig.
Nathalie Oberweis („déi Lénk“) untersuchte das Thema „Strafe“ philosophisch und unterstrich, vieles werde in unserer Gesellschaft, die einen repressiven Charakter habe, bestraft; viele Gefängnisstrafen würden verhängt. 30 Prozent der Inhaftierten würden rückfällig, eine effiziente Wiedereingliederung in die Gesellschaft erreiche die Haft nicht. Untersuchungshaft solle nur dann verhängt werden, wenn eine reale Gefahr für die Gesellschaft bestehe, und Fußfesseln sollten stärker genutzt werden.
Ob Drogenstraftäter wirklich ins Gefängnis müssen, fragte Marc Goergen (Piraten). Jene, die einsitzen, hätten meist keine andere Option gehabt, als zu dealen, und seien selbst Opfer. Das Strafrecht müsse in dem Bereich überarbeitet werden.
So wenige Haftstrafen wie möglich sollten verhängt werden; dies sieht auch Justizministerin Sam Tanson („déi gréng“) so. Es gebe Alternativen und diese müssten besser genutzt werden, so die Ministerin, die allerdings auch darauf verwies, dass die meisten Häftlinge keinen Wohnsitz in Luxemburg haben, was die Lage nicht vereinfache.
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