Gegen den Strich / „Péitruss“ von Max Jacoby
Wie gut kennt man seinen Partner? Und wie sehr kann man seiner Menschenkenntnis vertrauen, wenn man sich verliebt? In seinem hoch spannenden, beklemmenden, toll gespielten Thriller setzt sich Max Jacoby mit diesen Fragen auseinander – und filmt dabei das Petrusstal als klaustrophobischen Schauplatz eines Katz-und-Maus- Spiels, bei dem die Rollenverteilung bis zuletzt undurchsichtig bleibt.
Unzuverlässige Erzähler faszinieren nicht alleine dadurch, dass sich der Leser oftmals in die subjektive Erzählwelt eines Lügners hineinversetzen lässt. Sie erfordern vom Autor eine präzise Figurenzeichnung, die es dem Leser erlaubt, die Widersprüche des Erzählers zu erkennen und die Wahrheit gegen dessen Erzählung wiederherzustellen. Man liest den Text gegen den Strich.
Unzuverlässige Figuren im Kino sind fast noch faszinierender, da der Film im Gegensatz zum literarischen Text von seiner Bildsprache lebt. Da, wo der unzuverlässige Erzähler die Dunkelzonen des Romans ausnutzen kann – man sieht nichts wirklich in einem literarischen Text –, muss ein Film zumindest teilweise Elemente der dargestellten Welt zeigen.
In Max Jacobys „Péitruss“ ist die Unzuverlässigkeit zentral. Und in einem gewissen Sinne muss man auch den Film gegen den Strich lesen. „Péitruss“ richtet seine Erzählung auf die junge Lara (Peri Baumeister), die in einem Kinderheim arbeitet.
Zu Beginn des Films lernt sie den enigmatischen Joakim (Maarten Heijmans) kennen. Joakim ist Taxifahrer und arbeitet nachts. Zwischen den beiden beginnt eine leidenschaftliche Liaison – im Laufe von expliziten Sexszenen, die mit schnellen Schnitten und dunklen Farbtönen ästhetisiert werden, zeigt Jacoby fast als pars pro toto die Entwicklung der Beziehung zwischen den beiden Hauptfiguren. Als die Leiche von Sarah, einer Bewohnerin des Kinderheims, die kurz davor spurlos verschwunden war, gefunden wird, scheint der Fall für Polizeiinspektor Toni (Jules Werner) klar: Joakim hat kein Alibi, ist ein Underdog, hat eine dunkle Vergangenheit – und ist somit der Hauptverdächtige.
(Un)schuldig?
Dass Toni zudem der Ex von Lara ist, vollendet die Verschachtelung der Handlung – und erlaubt es dem Zuschauer nicht, sich im Labyrinth der Erzählung an einer Vertrauensfigur festzuhalten: Im Beziehungsdreieck wirken sowohl Lara als auch Toni beide zu stark emotional involviert, um neutrale Beobachtungen anzustellen, Joakims Innenleben erschließt sich dem Zuschauer trotz sehr expliziter Sexszenen nicht – so wird Joakim zur Projektionsfläche der Leidenschaft von Lara und der Eifersucht von Toni.
In „Péitruss“ werden einige der stilistischen Merkmale des Neo-noir – die unterkühlte Ästhetik, die Rotstiche privilegiert, die Undurchsichtigkeit der Figuren, eine Weltordnung, in der Gewaltausbrüche auf allen Gesellschaftsstufen möglich sind und die die binäre Weltaufteilung zwischen Held und Bösewicht ablöst – in einer Erzählung verwoben, die ihre Spannung daraus zieht, dass die Kamera stets Lara folgt und der Zuschauer die Geschehnisse immer nur aus der Perspektive der Hauptfigur geschildert bekommt, sodass Laras Unsicherheit vom Zuschauer verinnerlicht wird und dieser letztlich, wie bei Henry James’ „Turn of the Screw“, zwischen zwei Interpretationsmöglichkeiten schwanken wird.
Gewalt und Wohlstand
Verwinkelte und undurchsichtige Altstadt
In Jacobys Neo-noir werden dem Petrusstal und der Altstadt quasi mythische Züge verliehen – die spärlichen Lichter und die hohen Felsen schaffen eine klaustrophobische Atmosphäre, die das Innenleben der Figuren widerspiegeln.
Die Darstellung der Altstadt wirkt dabei herkömmlichen verkitschten Touristenbildern entgegen: Im Gegensatz zu einer Serie wie „Bad Banks“, in der die Aufnahmen der Altstadt stets nur als ästhetisches Gegenbild zu den Glastürmen der Bankenmetropole Frankfurt am Main stehen, wirkt das Petrusstal hier genauso verwinkelt und undurchsichtig wie die Handlung und die Figuren selbst. Die Altstadt erinnert an die Londoner Gassen des 19. Jahrhunderts, wie sie auch in „From Hell“ dargestellt wurden.
Gegennarrativ
Das hier porträtierte Luxemburg spinnt das Gegennarrativ eines Wohlstandslandes, Jacoby spielt geschickt zwischen der klinisch sauberen Oberstadt, in der sich die Banken und Markenboutiquen niedergelassen haben, und der Unterstadt, die im Tal liegt – hier symbolisiert das Tal die Kehrseite des Wohlstands, das Unterbewusstsein, die Triebwelt, die menschlichen Abgründe. Beide Welten werden durch den Panoramasicht-Fahrstuhl, mit dem man von der Oberstadt ins Pfaffental gelangt, verbunden. Zigmal filmt Jacoby, wie Lara zwischen beiden Welten hin- und herpendelt, wie sie sich der dunklen Welt der Triebe und der Leidenschaft hingibt. Erinnerungen an Horrorfilme wie die Videospielverfilmung „Silent Hill“, in der das Dekor der Kleinstadt plötzlich abblättert, kommen hoch.
Trotz einiger Abstriche – die redundanten Zusammenschnitte, in denen sich die Sexszenen und Martial-Arts-Szenen überlagern, ebendiese Martial-Arts-Szenen, in denen das klassische Mentor-Lehrling allzu offensichtlich zwischen den Geschlechtern aufgeteilt ist, die etwas dünne Zeichnung der Nebenfiguren – ist „Péitruss“ ein gelungener Neo-noir, der das Motiv der Unzuverlässigkeit in eine verwinkelte, visuell interessante Erzählung einbettet.
Drei Fragen an Max Jacoby
Momentan scheinen sich Krimis und Thriller in Luxemburg großer Beliebtheit zu erfreuen. Was fasziniert Sie an diesem Genre?
Ich wollte keinem Trend folgen. Mich hat der Fall vom Yorkshire Ripper interessiert, der gegen Ende der 70er- und zu Beginn der 80er-Jahre 13 Frauen umgebracht hat. Damit verbreitete er eine regelrechte Panik unter der Bevölkerung. Weil das vor den Zeiten von DNA-Tests war, ermittelten die Polizisten ganz einfach, indem sie verdächtige Männer verhörten. Einige von ihnen wurden gleich mehrmals vernommen. Ich frage mich: Welche Auswirkungen hatte dies auf die Beziehungen dieser Männer? Wie hat die Partnerin reagiert, wie haben diese Verhöre die Beziehung belastet?
Wie haben Sie die geeignete Location, die schlussendlich ja namensgebend war, ausfindig gemacht?
Ursprünglich sollte der Film nicht nur eine Koproduktion mit Holland, sondern auch mit Irland sein. Das hat allerdings nicht geklappt. Zu diesem Zeitpunkt sollte der Film in Dublin spielen. Ich fand die Stadt allerdings nicht sonderlich inspirierend. Ich hatte davor einen Kurzfilm auf Luxemburgisch gedreht und fand die Erfahrung sehr angenehm – es war ein ziemlich eingängiger Prozess. Ich versuchte mir quasi als Gedankenexperiment vorzustellen, wie der Film funktionieren würde, wenn er in Luxemburg spielen würde. Schnell faszinierte mich die Altstadt, diese Narbe, die die Stadt spaltet. So was findet man ja eigentlich sonst nirgendwo. Dazu kamen die zahlreichen Referenzen, mit denen ich spielen konnte. Die „Rout Bréck“ beispielsweise ist oft im Hintergrund zu sehen, der neue Aufzug, der ins Pfaffental führt, erinnert an das Eintauchen in die Unterwelt – „Péitruss“ stellt ein mythologisches Luxemburg dar. Interessant ist auch, dass der Heimatort zur Filmkulisse wird – und sich dadurch ändert: Die Stadt wirkt im Film größer, als sie es in Wirklichkeit ist.
War die Mehrsprachigkeit von Anfang an Bestandteil des Projekts?
Lara, die Hauptfigur, sollte eigentlich von einer Luxemburger Schauspielerin gespielt werden. Das hat sich leider nicht ergeben und die Hauptfigur wurde folglich von Peri Baumeister, einer deutschen Schauspielerin, gespielt. Da die Figur aber in einem Heim arbeitet und die Kinder Luxemburgisch reden, kam es schnell zu einer mehrsprachigen Situation – Lara spricht Deutsch mit den luxemburgischen Figuren, die Kinder im Heim antworten ihr auf Luxemburgisch. Mit Joakim redet sie Englisch. Ich stellte dann fest, dass dies die gängigen Praktiken der flexiblen Mehrsprachigkeit in Luxemburg widerspiegelt.
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