Editorial / Gegen die Abhängigkeit – Lehren aus Krisen werden viel zu langsam umgesetzt
Aus den zwei letzten Krisen wollte man Lehren ziehen. Sie sollten wie Weckrufe wirken. Erst waren Anfang 2020 medizinische Produkte wie Gesichtsmasken und Beatmungsgeräte zu Mangelwaren geworden, im Folgejahr fehlte es dann an vielen anderen Produkten, von Papier bis Mikrochips. Bereits Ende desselben Jahres stiegen mit Russlands Kriegsvorbereitungen die Energiepreise, 2022 folgte dann die verzweifelte Suche nach anderen Anbietern. Solche Situationen sollten sich nicht mehr wiederholen.
Es war klar, dass es ein schwieriges Unterfangen sein würde, doch die EU hat sich Ziele gesetzt. Bis 2030 will man in einigen strategisch wichtigen Bereichen wenigstens 40 Prozent des Verbrauchs auf dem Kontinent selbst herstellen. Mit dem Schritt will man den grünen Wandel vorantreiben, die Versorgung sichern, weniger abhängig von wichtigen Importen sein und gleichzeitig auch wettbewerbsfähig bleiben. Dabei geht es um Rohstoffe wie Seltene Erden oder auch Technologien wie etwa für die Herstellung von Solarmodulen und Batterien. Ein Großteil dieser Importe kommt heute aus China.
Auch wenn viele Unternehmen die Krisen genutzt haben, um ihre internationalen Lieferketten zu überdenken und zu diversifizieren, hört man mittlerweile gesamtwirtschaftlich nur noch sehr wenig von Stichwörtern wie „Reshoring“. Nur die eine oder andere sporadische große Investition findet ihren Weg in die Berichterstattung. Ein echter Trend ist nicht zu erkennen. Dabei ist die Welt nicht sicherer geworden, wie die Kollision eines chinesischen und eines philippinischen Schiffes diese Woche in Erinnerung rief.
Europa importiert heute mehr als vor Corona. Der Anteil des verarbeitenden Gewerbes an der Wirtschaftsleistung hat nicht zugelegt. Würde es zu einer neuen Krise kommen, dann wäre die Staatenunion wohl nicht besser aufgestellt als zuvor. Irgendwie geht es nicht voran. „Innovative“ Zukunftspolitik wird mit Importtarifen betrieben. Da die eigene Industrie den Anschluss an die E-Mobilität verpasst hat, müssen die Preise von Autos aus China für Verbraucher künstlich teurer gemacht werden.
Besonders gut zeigt die hoch gefeierte Entwicklung im Energiesektor, wie langsam alles voranschreitet. Trotz aller Erfolgsmeldungen war Europa auch 2022 noch für mehr als 60 Prozent seiner Stromerzeugung von Importen von Brennstoffen (fossil und nuklear) aus dem Ausland abhängig.
Während vieler Jahre hat es nur sehr langsame Fortschritte bei den Erneuerbaren gegeben: Zwischen 2012 und 2022 stieg ihr Anteil nur von 25 auf 39 Prozent. Dass es auch schneller gehen kann, wenn ein Wille da ist, hat 2023 gezeigt: In dem Jahr sprang ihr Anteil auf 45 Prozent.
Wobei es noch zu erwähnen gilt, dass Europa auch bei der Produktion von erneuerbarer Energie nicht frei von Abhängigkeiten ist. Zwar muss, sobald die Anlagen installiert sind, kein Brennstoff mehr importiert werden, doch bei der Herstellung der Produktionsanlagen hat Europa dem Abbau seiner einstigen Führungsrolle (Beispiel deutsche Solarindustrie) einfach nur zugeschaut.
Auch Luxemburg hat sich mit den Lehren aus den Krisen noch nicht wirklich befasst. Wäre das Land heute besser aufgestellt, wenn im Rahmen einer neuen Krise die Nachbarländer von heute auf morgen wieder die Grenzen schließen würden?
Ganz unabhängig von der Welt werden sich Luxemburg und auch Europa nie machen können. Das wäre auch nicht wünschenswert. Immerhin hat die Globalisierung in den Jahrzehnten zuvor weltweit vielen Millionen Menschen aus der Armut geholfen und dabei für niedrige Verbraucherpreise gesorgt. Der Kontinent sollte sich aber zumindest so aufstellen, dass er für den Bezug von einzelnen Produkten nicht von einem einzigen Herkunftsland abhängig ist.
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