/ Geheimes Geld: Als Luxemburg Banknoten druckte, die es nie brauchte
Jean-Claude Juncker hat in einer Rede vor internationalen Bankenvertretern ein angebliches Geheimnis preisgeben: Er habe in den 1990er Jahren als Minister heimlich Geld drucken lassen. Das Problem: Die Geschichte stimmt nicht – jedenfalls so nicht.
„Ich muss nun ein feierliches Geständnis vor einem Saal voller Notenbanker ablegen“, sagt EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Er hat seine Rede im portugiesischen Sintra gerade begonnen, doch auf seiner Oberlippe und seiner Stirn bilden sich bereits erste Schweißtropfen. Während der Krise des einstigen Europäischen Währungssystems (EWS) in den 1990er Jahren habe die Luxemburger Regierung unter strenger Geheimhaltung 50 Milliarden in einer ebenso geheimen neuen Währung drucken lassen: dem Luxemburger Franken. Luxemburg wollte auf alle Fälle vorbereitet sein und im Zweifel schnell auf eine eigene Währung zurückgreifen können – jenseits der Währungsunion mit Belgien.
Auf die Banknoten habe man das Porträt der 1985 verstorbenen Großherzogin Charlotte gesetzt. „Aus Verschleierungsgründen“, denn niemand würde 1992 glauben, dass man eine neue Währung mit dem Bild der alten Großherzogin herausgeben würde.
„Gut gehütetes Geheimnis“
„Die Geschichte blieb ein gut gehütetes Geheimnis zwischen dem Großherzog, Premierminister Jacques Santer und mir, bis wir am Tag der Euro-Einführung am 1. Januar 1999 alle Noten verbrannt haben“, so Juncker. „Das war eine große Leistung der Luxemburger Armee, die für einmal etwas zu tun hatte.“ Lacher im Raum. Die Pointe sitzt. Es ist ein interessantes Stück Luxemburger Zeitgeschichte, das Juncker in seiner Rede preisgibt. Und die Geschichte erhielt prompt Resonanz: Die Neue Zürcher Zeitung hat darüber berichtet und titelt: „Junckers dunkles Geheimnis“.
Die Geschichte hat jedoch einen Haken: Sie stimmt nicht. Jedenfalls nicht so, wie Jean-Claude Juncker sie erzählt. Jacques Santer (Archivfoto) kann sich nicht daran erinnern, dass er als Staatsminister in den 1990er Jahren mit Finanzminister Juncker sowie Großherzog Jean über Nacht die Notenpresse in Betrieb gesetzt habe, um im Geheimen Geld in einer neuen Währung zu drucken. „Vielleicht ist mein Gedächtnis nicht das beste, aber daran kann ich mich nicht erinnern.“ Dennoch beruht die Geschichte auf einem wahren Kern. Denn nach dem Zweiten Weltkrieg hat Luxemburg tatsächlich gleich mehrmals heimlich Franken-Scheine drucken lassen. Geldnoten, die jedoch nie in den Umlauf gebracht wurden.
Junckers Legende
Laut einem Tageblatt-Artikel von 2008 sind im Jahr 1962 ein erstes Mal eigene Banknoten gedruckt worden. Der Kalte Krieg befand sich auf seinem Höhepunkt und die NATO-Staaten bereiteten sich auf eine Wirtschafts- und Finanzkrise vor. Sie befürchteten, dass die Staaten des Warschauer Paktes Westeuropa mit gefälschten Scheinen überschwemmen und so eine Hyperinflation auslösen könnten. Die Luxemburger Franken mit Großherzogin Charlotte als Abbild (siehe Foto) wurden als Reservebanknoten im Munitionslager der Armee aufbewahrt.
Eine zweite Serie von geheimen Geldnoten entstand im Jahr 1982. Und es wird wohl diese Episode sein, auf die sich Juncker beruft und die auch Jacques Santer noch in Erinnerung ist. Damals hatte die belgische Regierung im Alleingang entschieden, den gemeinsamen Franken stark abzuwerten. Santer war Finanzminister, Pierre Werner Staatsminister und Juncker Staatsekretär. „Ich habe Pierre Werner nie so aufgebracht gesehen“, so Santer. Um im Zweifel auf einen erneuten belgischen Alleingang reagieren zu können, ließ die Regierung wieder die Notenpresse im Geheimen anwerfen.
Als Vorlage für die Banknoten wurden die NATO-Scheine aus den 1960er Jahren mit dem Abbild von Großherzogin Charlotte genutzt. Und damit niemand etwas von den geheimen Banknoten wissen konnte, wurden sie erneut im Munitionslager der Armee gelagert. Dort weilten sie über Jahrzehnte, ohne jemals gebraucht zu werden. Erst 2001, nach der Einführung des Euro, sind sie vom Militär verbrannt worden. Und wenn sie nicht verbrannt sind, dann liegen sie dort noch heute.
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