Luxemburg / „Geht uns alle etwas an“: Zehn Jahre nach der Rana-Plaza-Katastrophe gibt es noch viel zu tun
Mehr als 1.100 Menschen starben vor genau zehn Jahren, am 24. April 2013, als die Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch zusammenstürzte. Für die Kampagne „Rethink your Clothes“ setzen sich unter anderem Ana Luisa Teixeira, Koordinatorin des Bereichs Sensibilisierungprogramm bei Caritas Luxemburg, und „Fairtrade Lëtzebuerg“-Präsident Jean-Louis Zeien gegen den Überkonsum an Kleidung ein – und erklären bei einem Gespräch im Zentrum „Lët’z Refashion“, dass es auch in Luxemburg noch Handlungsbedarf gibt.
Tageblatt: Zehn Jahre sind es her, dass in Bangladesch beim Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza mehr als 1.100 Menschen starben. Welche Auswirkungen hatte diese tödliche Katastrophe?
Jean-Louis Zeien: In der Textilindustrie in Bangladesch kam dadurch eine entscheidende Botschaft an: Stelle sicher, dass deine Produkte nicht in baufälligen Gebäuden hergestellt werden. Ich rede dabei ganz bewusst nur von Bangladesch, denn an anderen Orten, in anderen Ländern, gab es auch danach noch ähnliche Vorfälle – in denen Vorschriften zur Gebäudesicherheit nicht respektiert worden waren. Es wäre naiv zu glauben, dass es wesentliche Verbesserungen gab. Und eigentlich geht es ja auch gar nicht nur um die Gebäude.
Sondern worum noch?
Um die unmenschliche Arbeit im Akkordtempo. Darum, keine Zeit dafür zu haben, einen Schluck Wasser zu trinken. Oder um nur kurz zur Toilette zu gehen. Die Arbeiterinnen in den Textilfabriken – denn meist sind es Frauen – leisten in einem exzessiven Maß Überstunden. Arbeiten 60 Stunden die Woche. Unter Androhung von Strafen, wenn sie keine Überstunden machen können oder wollen. Wir befinden uns da auf einem Weg in Richtung Zwangsarbeit. Man hätte erwarten können, dass Rana Plaza ein Weckruf sei. Die Katastrophe hat allerdings nur punktuell zu Verbesserungen geführt. Und im Bereich der Baumwollproduktion sieht es nicht besser aus.
Die Bilder der eingestürzten Fabrik gingen damals um die Welt und erreichten auch Luxemburg. Was hat sich seitdem hier im Land verändert?
Ana Luisa Teixeira: Tatsächlich betrifft die Produktion unserer Kleidung gleich mehrere Bereiche – und das macht es so schwer, etwas zu ändern. Es gibt nicht viele Möglichkeiten zur vollständigen Rückverfolgung und nur ganz wenige Marken kennen die Ursprünge der Kleidungsstücke. Reagiert wird ohnehin erst, wenn es einen Skandal gibt. Luxemburg gehört der seit 2018 existierenden, weltweiten Bewegung „Fashion Revolution“ an. Diese fördert das Umdenken und geht das Problem des Überverbrauchs an.
Auch in Luxemburg muss sich also in den Köpfen der Menschen etwas tun?
A.L.T.: Eine Person wirft hier im Durchschnitt jährlich mehr als zwölf Kilogramm Kleidung weg – wie von der Caritas erhobene Zahlen mit der Unterstützung des Ministeriums für Verbraucherschutz zeigen. Wenn man diesen übermäßigen Konsum angehen will, muss man auch die Menschen dahinter erreichen. Das Bild der Frau in der Gesellschaft spielt beim Verbrauch zum Beispiel eine Rolle. Viele von ihnen glauben, dass sie das gleiche Outfit nicht mehrmals tragen dürfen. Und stets im Trend liegen müssen.
Wie kann ein Umdenken stattfinden?
J.-L.Z.: Tatsächlich leben wir mit einem Markt der Sehnsüchte. Und müssen unser Verhalten deshalb tiefgreifend überdenken. Überlegen Sie mal, wenn Sie etwas Neues kaufen, wie lange hält der Befriedigungseffekt danach an? Nur kurz nach dem Kauf wird uns schon wieder etwas anderes präsentiert. Wir alle müssen verstehen, dass Kleider keine Wegwerfartikel sind. Dass man nicht im Laden ins Regal greift, nur um das Kleidungsstück kurze Zeit später schon wieder wegzuwerfen. Wir wollen vermitteln, dass Textilien einen Wert haben. Und dabei auch die Menschen anerkennen, die diese hergestellt haben.
Die Textilien wertschätzen – wie lässt sich das konkret umsetzen?
A.L.T.: Rund 30 Prozent unsere Garderobe werden nicht genutzt. Deshalb der Tipp: Tragen, was man bereits besitzt. Dann Dinge reparieren, wenn diese kaputt sind. Manche werfen ein Hemd schon weg, weil ein Knopf ab ist und sie nicht wissen, wie sie diesen wieder annähen können. Wenn man etwas kaufen will, kann man sich dabei für Secondhand entscheiden. Vor allem bei Kinderkleidung macht das Sinn, da die Kleinen schnell aus den Kleidern herauswachsen. Beim Kauf neuer Textilien sollte man auf das Fairtrade-Label achten.
J.-L.Z.: Das kann ich so nur unterschreiben: Wer neu kauft, sollte das auf faire sowie ökologische Art tun. Verschiedene Akteure der Fashion-Industrie werben jetzt viel damit, biologisch angebaute Baumwolle zu verwenden. Doch auch bei den weiteren Verarbeitungsschritten muss einiges beachtet werden. Gerade beim Färben der Kleidung gibt es oft giftige Abfälle. Deshalb empfehle ich, beim Kauf auf das Zertifikat „Global Organic Textile Standard“ (GOTS) zu achten.
Warum ist es wichtig, auch als einzelne Person einen Beitrag zu leisten?
J.-L.Z.: Jeder sollte sich bewusst sein, dass man mit seiner Kaufentscheidung – ob es nun um Kleidung, ein Accessoire oder um Schuhe geht – sozusagen einen Auftrag erteilt. Der entweder negative oder aber positive Auswirkungen hat. So kann ich durch meine Wahl zur Ausbeutung von Menschen beitragen oder aber dazu, dass existenzielle Arbeitslöhne gesichert werden. Das ist die individuelle Verantwortung jeder einzelnen Person. Welche Kleidung wir tragen, geht uns alle etwas an. Denn ob als Baby oder im letzten Moment unseres Lebens – zu jedem Zeitpunkt sind wir gekleidet.
Die tödliche Katastrophe
Beim Einsturz der mehrstöckigen Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch kamen am 24. April 2013 mehr als 1.100 Menschen ums Leben. Rund 2.500 Personen wurde verletzt. Trotz akuter und offensichtlicher Einsturzgefahr waren die Angestellten zur Arbeit in dem Gebäude gezwungen worden. Die Bilder der tödlichen Katastrophe gingen vor zehn Jahren um die Welt – auch weil in der Fabrik unweit der Hauptstadt Dhaka Kleidung für internationale Modeketten produziert wurde. Die Ereignisse offenbarten die erbärmlichen Arbeitsbedingungen, unter denen Millionen Menschen weltweit in der Textilindustrie leiden. (sas/dpa)
Sie sprechen hier vor allem das Verhalten von Einzelnen an.
J.-L.Z.: Auch, aber nicht nur. Ich appelliere ebenfalls an die Arbeitswelt, beim Kauf von Kleidung für die Angestellten darauf zu achten, dass diese unter fairen und ökologischen Bedingungen produziert wurde. Betriebe, Gemeinden oder auch der Staat können so Verantwortung übernehmen und eine Vorbildfunktion einnehmen. Darüber hinaus sind natürlich die Entscheidungen der politischen Verantwortlichen maßgebend.
A.L.T.: Auf lokaler Ebene könnten sich zum Beispiel die Gemeinden mehr dafür einsetzen, ähnliche Orte wie „Lët’z Refashion“ zu schaffen. Wir hören oft von Menschen, dass das Land genau so etwas gebraucht hat. Zudem könnten in den Kommunen mehr Veranstaltungen wie Flohmärkte stattfinden. Wenn wir diese organisieren, sind die Plätze im Nu ausgebucht. Warum also gibt es nicht mehr davon in Luxemburg?
„Lët’z Refashion“ wurde im Juli 2021 am Hamilius eröffnet und befindet sich seit vergangenem Juli in der rue Genistre in der Oberstadt. Sie sagen, dass das Ziel des Zentrums – in dem auch Kleidung angeboten wird – nicht der Verkauf ist.
Unsere Arbeit beruht auf drei Säulen. Erstens die Sensibilisierung. Dafür sind wir unter anderem in Schulen unterwegs; es können aber auch Klassen herkommen. Kürzlich hatten wir eine Gruppe aus einem Lyzeum da, die aus alten Jeans Sofakissen angefertigt hat. Ganz allgemein wollen wir die Menschen auf den durch die Textilindustrie verursachten Schaden aufmerksam machen. Zweitens arbeiten wir am Ausbau unserer Partnerschaften. Bei „Lët’z Refashion“ bieten aktuell 60 Designer aus Luxemburg und der Großregion sowie ethische Labels provisionsfrei ihre Produkte an – wie zum Beispiel eine upgecycelte Jacke aus altem Gardinenstoff.
Sie bieten also die Möglichkeit zum Verkauf selbstkreierter Produkte …
Genau, in einer Zeit von hohen Mietpreisen wollen wir den Kreativen diese Option anbieten. Auch gibt es hier einen Bereich für Secondhand. Kleidung bei uns abgeben können Privatpersonen allerdings nicht – das würde nämlich schnell zu viel werden. Unsere dritte Säule sind die Workshops, zum Beispiel zum Thema Upcycling. Oder dazu, wie man Dinge repariert. Darüber hinaus gibt es freitags die Möglichkeit, vorbeizukommen und Kleidung flicken zu lassen. Wir wollen hier informieren und Lösungen anbieten.
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