Wohnungsbau / Gemeinde Schüttringen nimmt Konkurrenzkampf gegen Privatinvestoren auf
Bei der Schaffung von öffentlichem Wohnraum treffen Gemeinden häufig auf Widerstände. Trotz urbanistischer Leit- und neuer Flächennutzungspläne hinken die Schöffen- und Gemeinderäte oft den privaten Bauherrn hinterher. Die Gemeinde Schüttringen im Kanton Luxemburg will nun mit einer außergewöhnlichen Aktion den Konkurrenzkampf gegen die Privatinvestoren aufnehmen und insbesondere den Bau von großen Wohnresidenzen verhindern. Auf Flugblättern fordert der Schöffenrat die Einwohner dazu auf, beim Verkauf von Häusern und Grundstücken auch der Kommune ein Angebot zu unterbreiten.
Die 4.300-Einwohner-Gemeinde Schüttringen liegt, umsäumt von großen Natur- und Vogelschutzgebieten, auf halber Strecke zwischen Hauptstadt und Mosel. Vom Ortskern bis zur Autobahn A1 sind es nur wenige Minuten. In Münsbach hält der Zug nach Wasserbillig, nur 15 Minuten braucht die RGTR-Linie 142 bis zum Kirchberg, und auch der Flughafen Findel befindet sich in unmittelbarer Nähe. Im Süden der Gemeinde steht die Haftanstalt Schrassig. In Münsbach, am nördlichen Ende, befindet sich der „Parc d’activités Syrdall“, den Schüttringen zusammen mit Niederanven betreibt. 4.500 Menschen sind dort beschäftigt – mehr, als in der Gemeinde Schüttringen wohnen. Trotzdem arbeiten nur etwa zehn Prozent der Schüttringer in ihrer Gemeinde. Rund die Hälfte der 1.500 bis 2.000 erwerbstätigen Einwohner fährt zum Arbeiten in die Hauptstadt.
Doch die günstige Lage hat nicht nur Vorteile. Die steigenden Immobilienpreise haben zur Folge, dass junge Menschen, die eine Lehre absolvieren oder studieren und nicht mehr bei ihren Eltern wohnen wollen, ihre Heimatgemeinde häufig verlassen müssen, weil sie keine Wohnung mehr finden. Manche zieht es an die Mosel, weil dort noch Apartments verfügbar sind. „Unser Problem ist, dass wir fast schon zu gut liegen“, sagt Jean-Paul Jost (60) von der unabhängigen Liste „Schëtter Bierger“. Seit 2011 ist er Mitglied des Schöffenrats, 2017 übernahm er mit Unterstützung von LSAP und Grünen das Amt des Bürgermeisters. Freistehende Einfamilienhäuser, renovierte Bauernhöfe und neumodische Villen prägen das Bild der ländlichen Gemeinde. Ihr Anteil am gesamten Wohnungspark liegt bei 91 Prozent. Wohnresidenzen machen nur knapp 5 Prozent aus (gegenüber 12,5 Prozent im Landesdurchschnitt). 80 Prozent der Häuser und Wohnungen werden vom Eigentümer selbst bewohnt, die Mieter stellen lediglich 20 Prozent.
Teuerste Mieten in ganz Luxemburg
Der Durchschnittspreis für ein Haus lag zwischen Juli 2019 und Juni 2020 laut Liser bei 1,45 Millionen Euro. Damit gehört Schüttringen zu den zehn teuersten Gemeinden in Luxemburg. Noch teurer sind die Mietwohnungen. In diesem Bereich belegt Schüttringen landesweit den Spitzenplatz. Der durchschnittliche angekündigte Mietpreis für eine der 77 angebotenen Wohnungen lag im vergangenen Jahr bei 1.917 Euro. Der Quadratmeterpreis im Mietbereich ist mit 22 Euro aber nur im landesweiten Mittelfeld angesiedelt. Dieser vermeintliche Widerspruch rührt daher, dass in Schüttringen vor allem große Mietwohnungen angeboten werden.
Noch, denn der neue Flächennutzungsplan (PAG) sieht gemäß der staatlichen Vorgaben des „Programme directeur d’aménagement du territoire“ (PDAT) eine Verdichtung im Hauptort Schüttringen vor. 2013 hatten sich auch die Einwohner im Rahmen einer Bürgerbefragung für eine Verdichtung sowie für den Erhalt der Ortskerne, das Schaffen von bezahlbaren Wohnungen und die Förderung von Wohnraum für Familien ausgesprochen. Mit den Reihenhaussiedlungen Hanner Thommes, an der Uecht und um Grousbuer wurden bereits in den vergangenen Jahren Anstrengungen für verdichteten und erschwinglichen Wohnungsbau in Zusammenarbeit mit der staatlichen Gesellschaft SNHBM unternommen.
Die Preisentwicklung auf dem Immobilienmarkt konnte damit jedoch nicht gebremst werden. Die Verdichtung habe dazu geführt, dass private Bauherren in der ganzen Gemeinde alte und zum Teil sehr schöne Häuser aufkaufen. Meist reißen sie sie ab und versuchen zwecks Profitmaximierung das absolute Höchstmaß an Wohnfläche dort unterzubringen, erzählt Jost, der hauptberuflich Gemeindesekretär in Mamer ist. Zwischen Privatinvestoren und Kommune gebe es regelmäßig Diskussionen über die im PAG vorgesehene Erhaltung von Grünflächen. In anderen Fällen würden Einfamilienhäuser auf großen Grundstücken aufgekauft, um sie einzureißen und Zweifamilienhäuser darauf zu errichten. Zweifamilienhäuser liegen zurzeit im Trend, weil sie für Bauherren rentabler und für Käufer kostengünstiger sind. Der Nachteil ist, dass sie in Miteigentümerschaft erworben werden. „Wenn die Haushalte Streit untereinander bekommen, wird es schwierig“, sagt der Bürgermeister. Ein anderes Problem ist, dass Eigentümer inzwischen Wohnungen, Häuser und sogar ganze Villen auf Airbnb vermieten. Alleine in der kleinen Gemeinde Schüttringen werden vier Häuser über die Plattform angeboten. Das Landhaus kostet 3.750 Euro pro Monat, die Preise für die Villen liegen zwischen 170 und 500 Euro pro Nacht. Jost befürchtet, dass die nach Einwohneranzahl verteilten staatlichen Zuwendungen an die Gemeinden sinken, wenn niemand in diesen Häusern angemeldet ist.
Die Gefahr der „anonymen Vorstadt“
„Fast jedes Haus, das in der Hauptstraße zum Verkauf steht, wird aufgekauft, um Residenzen daraus zu machen. Wir wollen aber nicht, dass das ganze Dorf bald nur noch aus Residenzen besteht“, sagt der Bürgermeister, der die Gefahr sieht, dass das soziale Leben zerfällt und seine Gemeinde zu einer „anonymen Vorstadt“ wird, in der keiner den anderen mehr kennt und die Einwohner eines Mehrfamilienhauses sich gegenseitig beklauen. Wie kann Schüttringen also erschwingliche Wohnungen für junge „Schëtter“ anbieten und gleichzeitig sein Bevölkerungswachstum auf die im PAG ausgewiesenen 1,7% jährlich begrenzen, um seinen ländlichen und familienfreundlichen Charakter zu bewahren? Die Gemeinde muss selbst im Wohnungsbau aktiv werden und bezahlbare öffentliche Mietwohnungen schaffen, lautet die Antwort des Schöffenrats, der damit ganz auf der Linie des grünen Wohnungsbauministers Henri Kox liegt.
Beim Konkurrenzkampf um Grundstücke und Immobilien konnte die Kommune aber bislang nur schwer mithalten. Das hat nicht nur finanzielle Gründe, denn die Gemeinden können es sich durchaus leisten, Marktpreise zu zahlen. An die öffentliche Hand zu verkaufen, kann für Besitzer sogar Vorteile haben, denn in dem Fall müssen sie ihre Gewinne (Spekulationsgewinn oder Mehrwert) nicht versteuern. Nicht zuletzt zahlen Staat und Kommunen vergleichsweise schnell, während private Bauherren ihre Rechnung oft erst begleichen, wenn eine Baugenehmigung vorliegt. Der Konkurrenznachteil hat meist andere Gründe, wie Jost erklärt: „Wir beobachten regelmäßig, dass Immobilienagenturen und Bauherren Zettel austragen, um die Bürger dazu zu bewegen, ihnen ihr Haus zu verkaufen.“ Viele Immobilienbesitzer wüssten nicht einmal, dass der Verkauf an die Gemeinde überhaupt eine Option wäre. Oft erfahre die Kommune erst, dass ein Haus verkauft wurde, wenn die Abrissgenehmigung bei der Verwaltung eintrifft. Doch dann sei es schon zu spät, sagt Jost.
Deshalb hat sich die Gemeinde Schüttringen für eine außergewöhnliche Aktion entschieden: Um die Bürger zu informieren und sie in die Pflicht zu nehmen, verteilt der Schöffenrat nun eigene Flugblätter. „Dir hutt vir, en Haus oder en Terrain an der Gemeng Schëtter ze verkafen? Maacht och der Gemeng eng Offer!“, heißt es auf den Flyern, die auf Luxemburgisch, Deutsch, Französisch und Englisch verfasst sind. Die Aktion läuft erst seit zwei Wochen, der Erfolg lässt noch auf sich warten. „Wir haben Angebote von 50 Quadratmeter großen Wohnungen für eine halbe Million Euro erhalten, doch solche Objekte sind für die Gemeinde uninteressant“, sagt Jost. Stattdessen suche sie nach Häusern, die bestenfalls umgebaut oder aber abgerissen und zusammen mit dem „Fonds du logement“ neu aufgebaut werden können.
Der Optimismus hat Grenzen
Vor der Aktion hatte die Gemeinde bereits ein Haus in Schüttringen gekauft, wo sie Apartments für Junggesellen einrichten möchte. Jungen Menschen wolle die Gemeinde künftig eigene Zimmer mit Gemeinschaftsküche in WG-Atmosphäre anbieten. In Schrassig und Übersyren habe die Gemeinde schon Häuser erworben. In Baulücken plant sie Wohnungen für Menschen über 50. Schon 2003 hatte der damalige Schöffenrat im Ortskern von Schüttringen ein Bauprojekt mit vier Häusern und sechs Wohneinheiten in Zusammenarbeit mit dem „Fonds du logement“ umgesetzt. Ähnliche Projekte, die bis zu 75 Prozent vom Staat bezuschusst werden, könne er sich auch an anderen Orten vorstellen, meint Jost. Für den Kauf von Grundstücken könnte die Aktion ebenfalls nützlich sein. Denn wenn sie rechtzeitig Bescheid weiß, könne die Gemeinde ihr Vorkaufsrecht geltend machen, bevor ein fertiger Teilbebauungsplan (PAP) eines privaten Bauherrn für das Grundstück vorliegt, sagt der Bürgermeister. Wenn ein PAP bereits erstellt wurde, sei es meist zu spät, um das Vorkaufsrecht anzuwenden.
Dem Optimismus, den die Flugblätter-Aktion bei den Gemeindeverantwortlichen hervorruft, sind aber auch Grenzen gesetzt. Probleme sieht Jost vor allem bei der Verwaltung der kommunalen Mietwohnungen. Insbesondere für kleinere Gemeinden sei die Begleitung mit einem hohen personellen Aufwand verbunden. Anders als größere Städte verfügen sie nicht über eigene kommunale Dienste mit Stadtarchitekten und -Ingenieuren, die öffentliche Häuser und Wohnungen verwalten können. Auch das neue „Pacte logement 2.0“-Gesetz werde daran wohl wenig ändern, bedauert Jost.
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„Bei der Schaffung von öffentlichem Wohnraum treffen Gemeinden häufig auf Widerstände.“
Natürlich. Auch wenn Gemeinden mit Steuergeldern Wäschereien, Bäckereien und Garagen eröffnen wollen.
Die sollen sich aus dem Business raushalten und sich um Schulen, Parks und Feldwege kümmern.