Kommunalpolitik / Gemeindesyndikate: Im juristischen Bermudadreieck
Die Gemeindesyndikate arbeiten im luftleeren Raum. Das gilt nicht für ihre Aufgaben. Sie sind per Satzung und Statuten definiert. Viel schlimmer noch: Es gilt für das Tagesgeschäft. Seit ihrer Gründung 2019 schlägt die Interessenvertretung von 13 großen Syndikaten Alarm, was lange folgenlos bleibt. Jetzt übt sie massive Kritik am Innenministerium und hat die Sache selbst in die Hand genommen.
Die Situation hört sich grotesk an. „Wir bewegen uns in einer Grauzone“, sagt Roland Schaack (52). Der Diplom-Bauingenieur ist Präsident der Interessenvertretung von 13 Gemeindesyndikaten, die zwischen Abwasserentsorgung, Trinkwasseraufbereitung, Müllentsorgung und Software-Systemen für die Gemeinden wichtige kommunale Aufgaben erfüllen und zum Teil kritische Infrastrukturen betreuen.
Sie heißt ALID, was die Abkürzung für „Association luxembourgoise des ingénieurs-directeurs et ingénieurs-directeurs adjoints des syndicats de communes“ ist. Hauptberuflich leitet Schaack als „ingénieur-directeur“ das Gemeindesyndikat Siden, das die Abwässer von 35 Mitgliedsgemeinden klärt. Seine Aufgaben im Tagesgeschäft sind vielfältig und vergleichbar mit denen eines CEO.
Er sorgt dafür, dass Kläranlagen laufen oder neue richtig dimensioniert werden, überwacht Ausschreibungen und Budgets, veranlasst Laboranalysen oder regelt Personalfragen – und eigentlich gibt es ihn laut Gesetz gar nicht. Zwar sehen die Statuten der einzelnen Syndikate einen solchen CEO vor, aber die juristische Basis für die Existenz der Syndikate, das Syndikatsgesetz, kennt einen solchen Posten nicht.
CEO-Posten für Syndikate steht nicht im Gesetz
„Ich dürfte genau genommen noch nicht mal einen Urlaubsschein unterschreiben“, sagt Schaack. Sein Resümee: „Entweder machen wir etwas, was wir nicht machen sollen, oder wir unterlassen etwas, was wir machen sollen.“ Mit „wir“ meint er seine Kollegen auf dem Posten eines „ingénieur-directeur“ und ihre Vertreter. Neben deren Aufgaben ist deren Verantwortung nicht zu unterschätzen. Um beim Beispiel Siden zu bleiben, heißt das, Schaack ist Chef von 150 Mitarbeitern.
Das Syndikat mit Sitz in Bettendorf betreibt insgesamt 168 Kläranlagen in den 35 Mitgliedsgemeinden zwischen Ulflingen und Consdorf. Das außerordentliche Budget beträgt allein 80 Millionen Euro, das ordentliche noch mal rund 30 Millionen Euro. Es setzt sich aus Mitgliedsbeiträgen der Gemeinden und staatlichen Förderungen zusammen. Das entspricht der Größe eines kleineren oder mittleren Betriebes, wie es die EU definiert.
Dass da etwas mit der Verantwortung und der Haftung sowie den Gesetzen und Statuten nicht stimmt, fällt um die Jahreswende 2018/2019 auch dem Innenministerium auf. Plötzlich sind die Unterschriften der „ingénieurs-directeurs“ bei der Erteilung von Aufträgen für neue Projekte, die von Ministerium gegengezeichnet werden müssen, nichts mehr wert.
Interessenvertretung arbeitet selbst Gesetzesvorschlag aus
Die juristische Lücke wird Thema. Die ALID gründet sich, erreicht aber trotz Gesprächen mit den Ministerien – beteiligt ist auch das Umweltministerium – erst einmal nichts. Als im September 2022 das Innenministerium signalisiert, dass es bis zur Wahl ein Jahr später keine entsprechende Änderung am Syndikatsgesetz geben wird, reißt der Geduldsfaden.
Die ALID arbeitet mit juristischer Beratung selbst einen Entwurf aus und die CSV reicht den Gesetzesvorschlag am 29. Juni in der Chamber ein. „Wir funktionieren weiter mit Abmachungen per Handschlag mit den Politikern in unseren Gremien“, sagt Schaack für das Siden. „Aber wenn mal was schiefläuft, interessiert das einen Richter nicht.“ Das gilt auch für alle anderen Entscheidungsträger in der Hierarchie eines Syndikats.
Schaack schätzt, dass in den 13 Syndikaten, die er als ALID-Präsident vertritt, inklusive Siden, rund 800 Menschen insgesamt arbeiten. Er macht aber noch auf etwas anderes aufmerksam. „Wir beim Siden haben internationale Akkreditierungen wie ISO-Zertifizierungen für unsere Arbeiten“, sagt der „ingénieur-directeur“. Viele andere Syndikate haben das auch. Die Zertifizierung bekommt ein Verband aber nur, wenn eine technische Führungskraft mit Ingenieurdiplom diesen leitet.
Zertifizierungen stehen auf dem Spiel
„Wenn herauskommt, dass das Innenministerium eine solche Führungskraft gar nicht erlaubt, könnte uns das unsere Zulassung kosten.“ Führungskraft ist nämlich laut Syndikatsgesetz das „Bureau de syndicat“ beziehungsweise dessen Präsident. Es funktioniert wie Schöffenrat und Bürgermeister einer Gemeinde, schließlich geht es um Steuergelder. Der Präsident wiederum wird wie das „Bureau“ durch das Komitee gewählt, das aus jeweils einem Vertreter der Mitgliedsgemeinden besteht und wie der Gemeinderat funktioniert.
Im Falle des Siden sind das 35 Lokalpolitiker aus den 35 Mitgliedsgemeinden. Für Syndikatsarbeit gibt es zwei, maximal drei Stunden wöchentlich „congé politique“. In dem Gesetzentwurf wird laut Schaack der „directeur“ eingeführt und dessen Aufgaben und Verantwortungen geregelt sowie dessen budgetäre und verwaltungstechnische Handlungsfreiheit. Hätte eine solche Gesetzesänderung den Skandal beim „Syndicat intercommunal de gestion informatique“ (SIGI) verhindern können?
„Bezogen auf die beim SIGI getroffenen Entscheidungen und die Verantwortung dafür, hätten diese Änderungen Klarheit geschaffen“, sagt Schaack. Der neue SIGI-Präsident sieht das ähnlich, macht aber Einschränkungen. Philippe Meyers (50) hat im Frühjahr dieses Jahres das Syndikat mit rund 80 Beschäftigten und rund 50 externen Beratern in einem desolaten Zustand übernommen. Er ersetzt den bisherigen Präsidenten Yves Wengler (CSV), den ehemaligen Bürgermeister von Echternach, der im Zuge des Skandals um das Gemeindesyndikat zurückgetreten ist.
Nur fünf Stunden „congé politique“
Das SIGI verwaltet die IT-Infrastruktur für die Gemeinden. Im Komitee sitzen derzeit 47 Personen, bald werden es 50 sein. Im „Bureau“ sitzen sieben Personen. Meyers selbst hat als „Präsident“ fünf Stunden für die Syndikatsarbeit wöchentlich zur Verfügung, was schon ein Zugeständnis seiner Kollegen im Gemeinderat ist. Normalerweise wären es weniger.
Er sagt, dass das für die Arbeit beim SIGI – auch ohne Skandale – bei weitem nicht ausreicht. Der Informatiker mit einem Masterabschluss ist außerdem LSAP-Schöffe in der Gemeinde Dippach. „Wenn man das Thema der Kompetenzen der ,ingénieur-directeurs‘ angehen will, dann muss man auch über den ,congé politique‘ für die Syndikatsarbeit generell sprechen“, merkt er kritisch an.
Einer Reform steht er nicht kritisch gegenüber, die gesamte Gouvernance der Syndikate will er aber nicht zur Disposition stellen. Dass beim SIGI einiges anders gelaufen wäre, wenn die Verantwortlichkeiten und Aufgaben des „ingénieur-directeur“ – im Falle des SIGI dem „directeur“ – klarer geregelt gewesen wären, verneint er nicht. Dem ehemaligen „directeur“ des SIGI wird unter anderem Machtmissbrauch vorgeworfen. Meyers muss nun aufräumen und sehen, dass das Tagesgeschäft weiterläuft. Ob der Gesetzesvorschlag irgendwann juristische Knoten wie diesen löst, wird sich zeigen.
- Näherinnen hauchen Werbeplanen von Amnesty International Luxembourg neues Leben ein - 10. November 2024.
- Verlust oder Chance? Wenn jeder Tag ein Sonntag ist, helfen Pensionscoaches - 2. November 2024.
- „Habe eine Welt kennengelernt, die ich so nicht kannte“ – Porträt einer Betroffenen - 29. Oktober 2024.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können.
Melden sie sich an
Registrieren Sie sich kostenlos