Editorial / Gendergleichheit in Europa ist durch den Rechtsruck gefährdet
Europa hat gewählt und der erwartete Rechtsruck ist eingetreten. Auch in Luxemburg hat es die ADR geschafft, genug Stimmen zu sammeln, um künftig einen der sechs Abgeordneten zu stellen. Die Gründe für das Abdriften nach rechts sind vielfältig – und sicher auch nicht in jedem Land die gleichen. Ein paar Gemeinsamkeiten gibt es dennoch. So analysiert der ehemalige Außenminister Jean Asselborn im Interview mit Le Quotidien unter anderem: „Es ist nicht nur eine Reaktion auf die Ankunft von Migranten, sondern auch eine Reaktion gegen alles, was mit LGBT-Bewegungen zu tun hat, und vor allem eine Reaktion gegen das Establishment.“
Ob all jene, die rechtsextreme Parteien gewählt haben, um den etablierten Parteien der Mitte „einen Denkzettel“ zu verpassen, sich bewusst sind, welche Ideologien sie tatsächlich gestärkt haben? Und welche Folgen das haben kann?
Nehmen wir als Beispiel die Frauenrechte: Etliche der rechtsextremen Parteien geben sich egalitär. Seht her: Immerhin werden wir von Frauen angeführt! Bei der AfD ist die lesbische Alice Weidel eine der führenden Stimmen, Marine Le Pen ist seit Jahren das Gesicht des Rassemblement National in Frankreich, Giorgia Meloni ist die wichtigste Politikerin der postfaschistischen Fratelli d’Italia. Unmöglich also, dass Frauenrechte beschränkt werden könnten, wenn man ihre Parteien wählt. Denn sie würden sich ja nicht selbst schaden, oder?
Aufmerksame Beobachter merken aber: Während sich rechtsextreme Parteien zwar gerne den Anstrich geben, sich für eine gleichberechtigte Welt einzusetzen, dauert es nicht lange, wenn sie an der Macht sind, bis grundlegende Rechte untergraben werden. In Italien beispielsweise haben jüngste Gesetze der rechten Regierung den Druck auf Frauen, die abtreiben wollen, deutlich erhöht.
Viele rechte Parteien geben nur vor, Frauen schützen zu wollen – mit Feminismus oder Frauenrechten hat das aber meist nichts zu tun. Vielmehr geht es darum, den feministischen Diskurs zur Verbreitung ihrer ausländer- und queerfeindlichen Haltungen zu instrumentalisieren. Etwa dann, wenn die „bösen Migranten“ oder trans Frauen als größte Gefahr für alle anderen Frauen ausgemacht werden.
Wo wir beim nächsten Thema wären: Nicht nur Frauenrechte könnten in Gefahr geraten, auch LGBTQIA+-Menschen müssen um ihre Rechte bangen, wenn es nach den rechten Parteien geht, die bei diesen Europawahlen so einen Zulauf erlebt haben. Der „Woke-Unsinn“ gehört zum imaginären Kulturkrieg, den die rechten Politiker immer wieder heraufbeschwören.
In den Worten des neuen ADR-Europaabgeordneten aus Luxemburg, Fernand Kartheiser, ist LGBTQIA+-Aktivismus in Luxemburg „überflüssig“. Genderneutrale Sprache ist ein unerwünschtes „Hot-Button“-Thema. Und dass seine Partei unter anderem ein Problem mit der Sichtbarkeit sexueller Minderheiten hat, zeigt unter anderem die Hetze von Parteikollege Tom Weidig gegen „Tatta Tom“-Lesungen. Passenderweise hat sich Kartheiser der EKR-Fraktion angeschlossen, die bisher unter anderem geschlossen gegen Initiativen zur Gleichstellung von LGBTQIA+-Personen gestimmt hat.
Genderrechte werden die rechtsradikalen Fraktionen im Europaparlament mit Freude untergraben. Und die gemäßigten Stimmen in ihren Parteien werden den radikaleren Initiativen nicht lange entgegentreten. Darum ist es umso wichtiger, dass man sich für Gleichberechtigung engagiert und es nicht zulässt, dass bereits errungene Rechte wieder verloren gehen.
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