Bezirksgericht Luxemburg / Georges Oswald: Elementare Grundrechte sind auch in der Krise nicht infrage gestellt
Seit dem 1. April dieses Jahres ist Georges Oswald (56) neuer leitender Staatsanwalt im Bezirk Luxemburg. Er hat Jean-Paul Frising, der neun Jahre im Amt war, abgelöst. Den Start in seine neue Funktion hat er sich ganz anders vorgestellt. Doch er scheint Pragmatiker genug, um sich auch in diesen sehr außergewöhnlichen Zeiten den Gegebenheiten anzupassen: als Privatperson, Staatsanwalt und als Manager der Magistratur.
Elementare Grundrechte der Menschen sieht er in der Krise nicht infrage gestellt. Die Gerichte würden funktionieren und die Verteidigung sei vollumfänglich garantiert. Allerdings müsse dieser Zustand zeitlich begrenzt bleiben.
Er ist wohl der Meinung, dass die Justiz keine Zurschaustellung sei und zurückhaltend bleiben solle. Allerdings bedeute das nicht, dass sie sich nicht nach außen verstärkt erklären solle. In dem Kontext könne die Rolle des Justizwesens vor allem in den Schulen intensiver zur Sprache kommen, wie Georges Oswald im Tageblatt-Interview erklärt.
Bei einem etwaigen nächsten „Bommeleeër-Prozess“ wird er übrigens mit Sicherheit nicht mehr als Ankläger in Erscheinung treten.
Tageblatt: Wie schätzen Sie die aktuelle Krise ein?
Georges Oswald: Es ist etwas noch nie Dagewesenes. Eine Situation, die nicht nur kompliziert ist, sondern wohl für jeden auch gefühlsmäßig schwer zu akzeptieren ist. Sehr kurzfristig sind neue Regeln aufgestellt worden, an die wir uns nun halten müssen.
Wir müssen akzeptieren, dass wir noch über die nächsten Wochen und Monate anders leben müssen, als wie wir das gewohnt waren – sowohl im Privat- wie im Berufsleben. Das ist etwas, das man nicht so einfach wegsteckt. Der Mensch ist ein soziales Wesen. Zurzeit etwas auf Sparflamme und damit tut man sich wirklich schwer.
Machen Sie sich Gedanken darüber, dass die getroffenen Maßnahmen unter Umständen die Grundrechte der Menschen verletzen?
Eine Gefahr, dass elementare Grundrechte der Menschen infrage gestellt werden, sehe ich momentan nicht. Auch im strafrechtlichen Bereich nicht. Kurzfristig wurden eine Reihe von prozeduralen Bestimmungen durch großherzogliche Reglemente den jetzigen Begebenheiten angepasst und stellen sicher, dass die rechtliche Situation aller betroffenen Parteien bestmöglich gewahrt werden kann.
In Zusammenarbeit, auch mit den Anwälten, versuchen wir in dieser Zeit, so gut es geht, Prozesse weiterzuführen, hauptsächlich Fälle von Untersuchungshäftlingen. Ab dem 4. Mai werden wieder vermehrt auch die anderen Verfahren zur Hauptverhandlung geführt, dies jedoch stets unter Berücksichtigung der sanitären Lage. Das Recht auf vollumfängliche Verteidigung muss gewahrt bleiben. Natürlich gibt es wegen der sanitären Vorschriften eine Reihe von Einschränkungen, die das nicht so optimal erlauben. Deshalb muss man gut aufpassen, dass diese Situation zeitlich begrenzt bleibt.
Der Ausnahmezustand dürfte den Start in ihre neue Funktion aber etwas anders gestaltet haben als erwartet.
Das stimmt, ich hatte mir den Start nun wirklich total anders vorgestellt, das muss ich zugeben. Ich hatte mir besonders auch den Abgang meines Vorgängers Jean-Paul Frising anders vorgestellt, vor allem etwas weniger sang- und klanglos. Das ist mir schon etwas nahegegangen.
Ist denn keine Zeremonie vorgesehen gewesen?
Nein, anders als in anderen Ländern ist bei uns, außer der Vereidigung vor dem Obersten Gerichtshof, keine formelle Zeremonie vorgesehen. Das verhindert aber nicht, dass eine solche Amtsübergabe unter Kollegen gefeiert werden kann.
Seit dem 1. April sind Sie im Dienst. Wie läuft es?
Schon seit Beginn der Krise überließ mein Vorgänger es – logischerweise – mir, die Staatsanwaltschaft für die kommenden Wochen und gegebenenfalls Monate aufzustellen. Die Magistrate und das Personal wurden in mehrere streng voneinander getrennte Teams eingeteilt, wobei jedes Team im Wochentakt tagsüber die im Büro anfallenden Arbeiten wahrnimmt, während die übrigen Teams Heimarbeit verrichten müssen und sich abends oder an den Wochenenden auf ihre Arbeitsstelle begeben, um abgearbeitete Akten abzuliefern und neue abzuholen.
Normal verläuft es also keinesfalls. Es ist Krisenmanagement. Wir haben uns personal- und themenmäßig speziell aufgestellt, um die Arbeit zu meistern, denn auch in Krisenzeiten werden Straftaten begangen und neue Vorgänge von der Polizei oder Klagen von Anwälten oder Personen an uns herangetragen, die bearbeitet werden müssen. Ich möchte an dieser Stelle den unermüdlichen Einsatz und die große Flexibilität aller meiner Mitarbeiter ausdrücklich hervorheben und mich dafür bedanken.
Wie kann man sich krisenunabhängig die Arbeit des leitenden Oberstaatsanwaltes vorstellen?
Die Staatsanwaltschaft ist ja der öffentliche Ankläger und verlangt die Anwendung der Strafgesetzgebung. Als Strafverfolgungsorgan entscheidet sie über die Einleitung eines Strafverfahrens, überwacht den Verlauf von Strafprozessen und kann Rechtsmittel einlegen. Im Rahmen des Opportunitätsprinzip obliegt es der Staatsanwaltschaft, wie die vom Parlament verabschiedeten Gesetze im Strafbereich hinsichtlich einer eventuellen Anklage in der Praxis angewandt werden.
Als leitender Oberstaatsanwalt bin ich zugleich zum Manager geworden und bei einer Belegschaft von zurzeit 38 Magistraten bzw. angehenden Magistraten und etwa 50 Mitarbeitern auf administrativer Ebene bleibt mir leider keine oder kaum Zeit, mich Fällen anzunehmen und mich in neue Akten einzuarbeiten.
Wie werden Sie Ihre neue Funktion erfüllen? Wird man Sie noch im Gerichtssaal sehen?
Die Rolle des leitenden Oberstaatsanwaltes kann jeder so wahrnehmen, wie er denkt, dass es am besten ist. Meine zwei Vorgänger, Roby Biever bis 2010 und Jean-Paul Frising bis April dieses Jahres, hatten jeder für sich ihre Art, den Posten zu interpretieren.
Ich für meinen Teil habe wie gesagt nicht vor, konkrete Fälle zu führen, um Ermittlungen zu verfolgen, auch, weil ich in den letzten Monaten und Jahren gemerkt habe, dass dem leitenden Oberstaatsanwalt in der Praxis oft die Zeit dazu fehlt. Das kann man bedauern, weil man unter Umständen ein wenig den Kontakt zu den Affären selber verliert. Auf jeden Fall jedoch werde ich die Fälle ganz nahe verfolgen und den Staatsanwälten zu jedem Moment mit Rat und Tat zur Seite stehen.
Meine Aufgabe wird die Koordinierung mit den anderen Akteuren des Justizapparates sein, sei es auf nationaler oder internationaler Ebene. Ich interpretiere die Funktion aber auch so, dass ich den Betrieb, wenn ich ihn so nennen darf, nach innen organisieren muss, ihn notfalls verteidigen und gut aufzustellen möchte, damit die Staatsanwaltschaft ihre Aufgaben reibungslos und bestmöglich wahrnehmen kann. Auch die Außendarstellung unserer Funktion ist mir sehr wichtig.
Beim ultimativen „Bommeleeër-Prozess“ werden Sie also nicht an vorderster Front dabei sein?
Im Fall, dass es zu einem erneuten Prozess kommen sollte, werde ich die Anklage nicht vertreten. Das ist ganz klar.
Was zeichnet die Funktion des leitenden Oberstaatsanwalts aus?
Idealismus sollte man schon mitbringen. In dem Job werden die Minuten nicht gezählt. Spannend an der Arbeit ist, dass man morgens mit einer Vorstellung ins Büro kommt und bereits fünf Minuten später sieht alles ganz anders aus. Das ist nicht jedermanns Sache. Zudem ist es nicht immer ein geordnetes Leben, in dem Sinn, dass die Staatsanwaltschaft viele, sehr unterschiedliche Affären auf vielen Ebenen begleitet, bis hin zum Urteil, das von den Richtern gefällt wird. Das macht den Beruf aber auch so spannend.
Welche charakterlichen Eigenschaften muss man mitbringen?
Ein offenes Ohr für alle, mit denen man zusammenarbeitet, und Geduld, sich auf jeden einzulassen. Aber auch für Leute, die die Staatsanwaltschaft von außen ansprechen, sei es als Kläger, als Anwalt oder als Opfer einer Straftat. Man sollte offen sein für die Sorgen der Menschen. Man muss aber auch Klartext reden und Entscheidungen treffen können. Entscheidungen, von denen man weiß, dass sie nicht immer jedem gefallen.
Sie wollten leitender Oberstaatsanwalt werden?
Ich hatte natürlich nichts dagegen. Seit 2003 bin ich bei der Staatsanwaltschaft und habe seit Anfang meiner Laufbahn mit dem Strafrecht zu tun, dies in unterschiedlichen Positionen. Dieses Arbeitsfeld hat mich seither begeistert. Die Frage hing auch schon längere Zeit in der Luft. Es gab im Vorfeld viele Gespräche mit Jean-Paul Frising, der mich, wie andere Leute auch, als geeignet für den Posten sah. Ich habe gesagt, dass ich diese Herausforderung gerne annehmen und positiv angehe würde. Aber zwingend war dieser Schritt nicht.
Wo wollen Sie in Ihrer neuen Funktion Akzente setzen, welche Ziele verfolgen Sie?
Ziele hat man immer. Und natürlich stellt man sich immer Sachen vor, die man anders machen möchte. Auf der anderen Seite aber ist man abhängig von den Mitteln, die einem zur Verfügung stehen. So haben wir bereits in den letzten Jahren über eine interne Reorganisation nachgedacht im Sinne von noch weiterreichenden spezialisierten Abteilungen. Das hat aber leider nicht richtig gefruchtet, hauptsächlich aus personellen und räumlichen Gründen.
Gehören auch Reformen im Rechtssystem zu Ihren Ideen?
Es gibt immer die eine oder andere Stellschraube, an der man drehen kann. Da wir in den vergangenen zwei Jahren aber mit vielen Neuerungen konfrontiert wurden, hauptsächlich im Bereich der Strafprozessordnung, würde ich sagen, dass es zunächst einmal wichtig ist, diese zu verinnerlichen. Zur Zufriedenheit aller. Allerdings bin ich Mitglied einer Arbeitsgruppe, bestehend aus mehreren Akteuren, in deren Rahmen fortlaufend an Neuerungen, sprich Verbesserungen, der Strafprozessordnung gearbeitet wird.
Sind Sie nicht manchmal müde, den Kampf für Wahrheit und Gerechtigkeit zu führen?
Ich bin weder desillusioniert noch negativ eingestellt, sonst hätte ich diese Herausforderung nicht angenommen. Auch das junge und sehr dynamische Team von Staatsanwälten und Mitarbeitern gibt mir die nötige Kraft.
An schwierigen Tagen muss man sich tatsächlich aber trotzdem gelegentlich selber motivieren oder durch Kollegen motivieren lassen. Manchmal muss man sich fragen, ob es richtig ist, dass die Verfahren an immer häufigeren und komplexeren prozeduralen Formalitäten, die oft auf internationaler Ebene ausgearbeitet und in nationales Recht umgesetzt werden, hängen bleiben, statt zur entscheidenden Frage zu kommen, ob es überhaupt ein Verfehlen einer Person im strafrechtlichen Sinne gibt oder nicht.
Für Laien ist die Welt der Gerichte oft schwer zu durchschauen. Und die Gerichte sind nicht immer sehr kommunikativ.
Die Justiz ist keine Zurschaustellung. Sie soll zurückhaltend bleiben. Das erklärt die vielleicht manchmal etwas spröde und nüchterne Kommunikation. Das liegt in der Natur der Justiz.
Das heißt jedoch nicht, dass sie sich nicht nach außen erklären soll. Ich bin der Erste, der sich dafür starkmacht. Besonders da, wo die Welt der Justiz vielleicht nicht immer logisch wirkt, weil sie es vielleicht auch nicht immer ist.
Um das zu verbessern, wurden in den letzten Jahren bereits große Anstrengungen gemacht. Die Justiz hat mittlerweile zwei Pressesprecher, die eine wertvolle Arbeit in Sachen Kommunikation betreiben. Die Internetseite der Justiz liefert neben zahlreichen (anonymisierten) Gerichtsurteilen aufschlussreiche Einblicke in die einzelnen Zuständigkeiten und Arbeitsabläufe der Justiz.
Es ist auch so, dass das Interesse für kleinere Affären sich vor wenigen Jahrzehnten bei Bevölkerung und Presse in Grenzen hielt. Das ist heute anders. Immer mehr Schulklassen werden von unserem Pressedienst mit den Gerichtsbarkeiten vertraut gemacht. Ich wünsche mir, dass die Rolle des Justizwesens noch intensiver in den Schulen vermittelt werden könnte, schließlich kann jeder Bürger irgendwann in seinem Leben mit einer Gerichtsprozedur konfrontiert werden.
Sieht die Welt der Gerichte nicht manchmal etwas abgehoben, etwas distanziert aus? Also zu wenig Empathie?
Da ist unter Umständen vielleicht noch Luft nach oben. Mit Absicht geschieht das aber sicher nicht. Es liegt vielleicht an der Art und an der Anzahl der Affären, mit denen das Gericht sich zu beschäftigen hat, auch an der manchmal etwas ungewohnten Juristensprache.
Es hat sicherlich auch etwas mit der Erwartungshaltung der Menschen zu tun, die mit dem Gericht zu tun bekommen. Für den Einzelnen ist seine Affäre die wichtigste. Für Staatsanwaltschaft und Richter ist es aber eine unter vielen. Da ist es vielleicht nicht immer so einfach, alles in die richtige Waagschale zu legen.
Georges Oswald
Georges Oswald ist 56 Jahre alt. Im Oktober 1991 kam er als „Attaché de justice“ in die Magistratur. Bis 1995 ist er Richter am Bezirksgericht Luxemburg, zuerst bei einer Zuchtpolizeikammer, dann bei der Kriminalkammer. Zwischen Februar 1995 und September 2003 übt er das Amt des Untersuchungsrichters beim Bezirksgericht Luxemburg aus. 2003 wechselt er zur Staatsanwaltschaft Luxemburg, zuerst als „Substitut principal“ und dann, ab 2007, als beigeordneter leitender Oberstaatsanwalt. Seit dem 1. April 2020 ist er leitender Oberstaatsanwalt.
Eine Gefahr, dass elementare Grundrechte der Menschen infrage gestellt werden, sehe ich momentan nichtleitender Staatsanwalt
Ich wünsche mir, dass die Rolle des Justizwesens noch intensiver in den Schulen vermittelt werden könnteleitender Staatsanwalt
- Kirche in Metzerlach weiter auf dem Prüfstand, Gemeinderat genehmigte Zuschuss für „Eis Epicerie“ in Zolver - 17. Januar 2025.
- Nach Straftat in Esch wiederholt „Eran, eraus … an elo?“ eine alte Forderung - 9. Januar 2025.
- Haushalt 2025 im Zeichen von Bildung, Sport und Europa ohne Grenzen - 8. Januar 2025.
Esoulang den „Bommeleeer “ net verurtéelt ass, sollen se alleguer den Ball flach haalen!
„Égalité devant la loi“, zielt dat och fir den Bommenléeer & Cie? Wei ass et mat denen villen „Affäiren“? Geschitt do emol eppes? Oder gin nemen dei Kleng geholl?
„Eine Gefahr, dass elementare Grundrechte der Menschen infrage gestellt werden, sehe ich momentan nicht.“
Man diskuiert schon mal über eine obligatorische Tracing-App und der Mann sieht keine Gefahr für die Grundrechte. Surreal!
Die sind ja schon seit dem 18ten März 2020 infrage gestellt, wie kann diese Person noch immer so etwas behaupten ?