Russland / Gericht verurteilt Evan Gershkovich zu 16 Jahren Haft
Plötzlich geht alles ganz schnell: Ein Jekaterinburger Gericht verurteilt den US-Journalisten Evan Gershkovich nach nur zwei Verhandlungstagen wegen Spionage zu 16 Jahren Haft unter „strengem Regime“. Damit ist die Grundlage für einen möglichen Gefangenenaustausch gelegt.
Der Richter braucht 16 Worte, um das Unfassbare und doch Erwartete auszudrücken: „Des Verbrechens schuldig gesprochen. Verhängt wird eine Strafe von 16 Jahren in einer Strafkolonie strengen Regimes“, sagt Andrej Minejew im Saal Nummer 4 des Swerdlowsker Gebietsgerichts in Jekaterinburg. Evan Gershkovich, im grauen T-Shirt und einem Anhänger um den Hals, schaut ernst durch den Glaskäfig, wie sie üblich sind in russischen Gerichten. 16 Jahre weggesperrt, weil der 32-jährige Amerikaner seinen Job als Journalist machte, einen „hervorragenden Job“, wie seine Chefin beim Wall Street Journal immer wieder klarstellt. Spionage hatte ihm die russische Staatsanwaltschaft vorgeworfen und 18 Jahre Haft gefordert.
Was Gershkovich in seinem „Letzten Wort“ sagte, während er im Glaskäfig stand, ist nicht bekannt. Nicht bekannt ist auch, was der zuständige Staatsanwalt Mikael Osdojew in seinem Schlussplädoyer dem seit mehr als einem Jahr festgehaltenen US-Korrespondenten genau vorwarf. In diesem geschlossenen Prozess von Jekaterinburg, mehr als 1.800 Kilometer östlich von Moskau entfernt, war an diesen gerade einmal zwei Verhandlungstagen kaum etwas bekannt. Außer: die kafkaeske Vorgehensweise russischer Justiz.
Der Sohn sowjetischer Emigranten, der 2018 als Journalist nach Moskau kam, zunächst für die englischsprachige russische Zeitung The Moscow Times arbeitete und später zum US-Blatt The Wall Street Journal wechselte, soll „im Auftrag des amerikanischen Auslandsgeheimdienstes CIA geheime Informationen über Herstellung und Reparatur von Militärtechnik durch den Rüstungsbetrieb Uralwagonsawod gesammelt und dabei sorgfältige Methoden der Konspiration beachtet“ haben. So sagt es der russische Inlandsgeheimdienst FSB. Gershkovich bestritt jegliche Schuld.
„In flagranti“ will der FSB im März 2023 den beim russischen Außenministerium akkreditierten Korrespondenten erwischt haben. Da hatte Gershkovich in der Millionenstadt Jekaterinburg und im zwei Zugstunden nördlich davon entfernten Nischni Tagil, wo mit Uralwagonsawod mit die wichtigste Panzerfabrik des Landes steht, in der Tat Informationen gesammelt. Informationen, wie jede Journalistin und jeder Journalist sie sammelt, wenn sie oder er zu einem bestimmten Thema recherchiert. Auch nicht-öffentliche Informationen sind dabei ein fester Bestandteil journalistischer Arbeit.
Russische Geheimdienste und die russische Regierung sehen das anders. Sie tun das mit Absicht. Niemand soll das, was der russische Staat tut – zumal in Kriegszeiten – in Frage stellen. Deshalb die Militärzensur-Gesetze, deshalb die Verfolgung von Berichterstattern teils bis in die eigene Wohnung hinein. Die Festnahme Gershkovichs und der Vorwurf der Spionage, eines der schwersten Vergehen, das einem Ausländer vorgeworfen werden kann, zeigt bis heute auf brutale Weise, dass Journalisten in Russland – in- wie ausländische – zum Freiwild für politische Zwecke geworden sind.
Moskau will Mörder freipressen
Evan Gershkovich wurde so zum Faustpfand des Kremls. Russlands Präsident Wladimir Putin erklärte im Februar 2024 fast schon unverhohlen, die Geheimdienste beider Seiten verhandelten über die Bedingungen eines möglichen Gefangenenaustauschs. Russlands Außenminister Sergej Lawrow sagte erst vor wenigen Tagen, die Geheimdienste prüften, ob Gershkovich gegen einen anderen ausgetauscht werden könne. Die Eile des Prozesses lässt sich wohl mit solchen vertraulichen Gesprächen erklären. Für einen Austausch muss der Angeklagte verurteilt werden.
Ende Juni erst stand Gershkovich zum ersten Mal im Gerichtskäfig von Jekaterinburg, die Verhandlung sollte eigentlich Mitte August fortgesetzt werden. Überraschenderweise wurde der Prozess an diesem Donnerstag weitergeführt. Geladen war lediglich ein einziger Zeuge. Nur 24 Stunden später fiel das Urteil. Selbst für russische Gerichte ist das schnell, zumal der Vorwurf schwer wiegt.
Russland ist viel daran gelegen, den sogenannten Tiergarten-Mörder freizupressen. Der FSB-Killer Wadim Krassikow hatte im August 2019 im Kleinen Tiergarten von Berlin den früheren georgisch-tschetschenischen Feldkommandeur Selimchan Changoschwili getötet. 2021 hatte das Berliner Kammergericht Krassikow zu lebenslanger Haft verurteilt. Der Generalbundesanwalt sah im Kreml den Drahtzieher für den Auftragsmord.
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