50 Jahre Nelkenrevolution / Geschichten der Revolution
Vor knapp zwei Wochen beging die portugiesische Gemeinschaft den Jahrestag der Nelkenrevolution (wir berichteten in einer Sonderbeilage). Am Freitag lud die Immigrantenabteilung des OGBL zu einer Gesprächsrunde zu diesem Thema, umrahmt von Cocktail und Musik. Allerdings erschien die in Luxemburg lebende Tochter von Colonel Maia, einem der Helden der Revolution, trotz Ankündigung nicht zu der Feier.
Mars Di Bartolomeo, ehemaliger Kammerpräsident, Minister und Bürgermeister, Carlos Trindade, früherer leitender Gewerkschafter der CGTP, Maria Eduarda Macedo, Tochter der populären portugiesischen Sängerin Simone d’Oliveira und ehemalige Gemeinderätin der Hauptstadt, sowie Acácio Pinheiro, Präsident der Immigrantenabteilung und ehemaliger Offizier der portugiesischen Armee, der u.a. in Angola stationiert war, erinnerten an den 25. April 1974 und teilten ihre jeweiligen Erfahrungen. Durch die Konferenz führte José Luís Correia.
Ein Kommentar, den der damalige Tageblatt-Journalist Mars Di Bartolomeo, der damals noch „di Bartolomeo“ unterzeichnete, kurz nach der Meldung der Revolution veröffentlichte, verdeutlicht, dass längst nicht alle linken Kräfte an eine Demokratisierung des Landes auf der iberischen Halbinsel durch den Militärputsch glaubten und eine eher abwartende Haltung einnahmen. Schließlich war Salvador Allende, chilenischer Hoffnungsträger, ein Jahr zuvor durch einen Militärputsch gestürzt und von den Militärs umgebracht worden. So schrieb der damalige 22-jährige Nachwuchsredakteur Di Bartolomeo abschließend: „Es ist zu hoffen, dass die demokratischen Kräfte genug Zeit haben werden, um sich zu organisieren, damit sie stark genug sind, wenn die Reaktion erwachen wird.“ Dies war tatsächlich ein Jahr später der Fall, als einige Militärs einen Gegenputsch organisieren wollten, der allerdings geschichtlich bedeutungslos blieb.
Freudentränen nach Putsch
Die Stimmung in der Redaktion, so der ehemalige Journalist weiter, sei während der ereignisvollen Siebziger aber eher positiv gewesen. Nach der Meldung von Allendes Ermordung seien Tränen der Trauer geflossen, nach der Nelkenrevolution seien es eher Freudentränen gewesen. Später dann habe er viele Portugiesen persönlich kennengelernt, in Luxemburg, aber auch in Portugal, wo seine Heimatstadt Düdelingen eine Städtepartnerschaft unterhält.
Während der Gesprächsrunde war weiter zu erfahren, dass es bereits vor 1974 mit Unterstützung des LAV (Vorgängerorganisation des OGBL) eine antifaschistische portugiesische Opposition in Luxemburg gab, die u.a. den Sänger des Revolutionsliedes Grândola, Vila Morena, Zeca Afonso zu zwei Konzerten ins Großherzogtum lud; eines davon im großen Saal der Maison du Peuple am Escher Boulevard Kennedy, dort also wo am Freitag auch die Gedenkfeier an die Revolution stattfand.
Gewerkschafter Carlos Trindade war 1974 zehn Jahre alt und erinnerte sich an die ärmlichen Lebensverhältnisse unter Diktator Salazar: 60 Prozent der Bevölkerung hatten keine Sanitäranlagen im Haus, mehr als ein Viertel der Portugiesen waren damals Analphabeten. Trindade war dabei, als Salazar-Nachfolger Caetano unter den Beschimpfungen der Lissabonner vom Hauptquartier der verhassten Geheimpolizei PIDE zum Flughafen gefahren wurde, von wo aus er nach Madeira und später ins brasilianische Exil geflogen wurde, und erinnert sich an die Aufbruchstimmung in seinem Land.
Seine Bilanz der revolutionären Auswirkungen beinhaltet die verbesserten Lebens- und Arbeitsbedingungen, die Pressefreiheit. Die bei den letzten Parlamentswahlen in Portugal recht erfolgreichen Rechtsextremen der Partei „Chega“ vergleicht er mit ähnlichen Parteien in Europa, die mit Aufklärung, auch über die Errungenschaften der demokratischen Revolution, bekämpft werden müssten.
Neue Schuhe waren eine Investition
Auch Maria Macedo verweist auf die schwierigen Lebensbedingungen vor der Revolution: Obwohl sie, die Tochter einer bekannten Sängerin, eigentlich einer privilegierten Familie angehörte, erinnert sie sich daran, dass etwa zweimal überlegt wurde, ob der Kauf neuer Schuhe finanziell möglich sei. Ihre Mutter durfte längst nicht alles singen, die kulturelle Zensur wütete unter Salazar ebenso wie die Pressezensur. Obwohl sie dies nicht wollte, musste die Mutter in den Kolonien vor den kämpfenden Truppen auftreten; sie fand sich oft zur Unterhaltung in den Lazaretten bei den Verletzten wieder. Ihr Vater, der in den Kolonien beim Eisenbahnbau eine leitende Funktion hatte, fand sich vier Monate im Gefängnis wieder, weil er verbotene Abkommen mit den Aufständischen ausgehandelt hatte.
Am Tag der Revolution wurde Macedo wie jeden Morgen von ihrem Großvater geweckt, der meinte, es sei wohl besser, an dem Tag nicht zur Schule zu gehen, was ihr seltsam erschien. Sie brachte so Revolution mit Schulfrei in direkte Verbindung … Erst am Abend, als Vertreter der Junta via Radio zum Volk sprachen, wurde ihr, wie wohl vielen Portugiesen an jenem 25. April, klar, was da eigentlich vor sich gegangen war.
Maria Macedo unterstreicht vor allem die Freiheiten, die von der Revolution für die Frauen ausgingen. Sie hatten unter der Diktatur kein Wahlrecht, durften nicht ohne Mann reisen, keine Bankkonten haben … Hohe Kindersterblichkeit und das Verbot des Schwangerschaftsabbruchs kamen erschwerend hinzu. Wer nicht verheiratet war, hatte kein einfaches Leben.
„Es gibt kein Zurück“
„Es gibt kein Zurück“, so Macedo, auch an die Faschisten von „Chega“ gewandt, die in Luxemburg von den hier lebenden Portugiesen als stärkste Partei, vor demokratischer Allianz und Sozialdemokraten gewählt wurden.
Eine sehr persönliche Geschichte der Revolution erzählte Acácio Pinheiro, der als junger Mensch Mitglied von Salazars Jugendorganisation und begeisterter Anhänger des Regimes war und später als Offizier in Angola kämpfte. Wobei er das Kämpfen relativierte, er habe immer versucht, seine Männer (eine Kommando-Einheit) von Zusammenstößen mit dem Feind fernzuhalten, und so der Kommandozentrale öfters falsche Angaben über ihre aktuelle Position übermittelt. Erst später, u.a. auch nach einer kurzen Zeit an der Universität von Coimbra, habe er erkannt, wie wichtig die Demokratie sei, und sei zum überzeugten Gewerkschafter geworden.
Nach der zeitweise etwas langatmigen Konferenzrunde konnten die zahlreichen Portugiesen, die an der Feier teilnahmen, Miguel Calhau am Kontrabass erleben, dem Grupo de Cantares Alentejanos zuhören und den von Magaly Teixera vorgetragenen revolutionären „April-Gedichten“ lauschen. Dies alles begleitet vom traditionellen gegrillten Spanferkel, dem Leitao.
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