/ Geschichtsumschreibung, die dritte
Vor der Urausstrahlung hat Tarantino die Journalisten in Cannes vor „Spoilern“ gewarnt und darum gebeten, dem Zuschauer den Spaß nicht zu verderben. Dabei dürfte jeder, der seine Filme kennt, anhand der im Vorfeld bekannten Handlungselemente bereits verstanden haben, um was es hier geht: „Once Upon a Time“ ist Tarantinos dritte Geschichtsumschreibung – und bietet postmodernes Metakino bis zur Ermüdung. Eine Besprechung in zehn Etappen.
Gesteigerte Erwartungen
Vor der Filmvorführung gab es die vermutlich längsten Warteschlangen der diesjährigen Ausgabe des Cannes-Festivals. Ein Tarantino-Film über einen Schauspieler auf dem Abstellgleis, dessen Schicksal sich mit dem von Sharon Tate, Roman Polanski und Charles Manson verzahnt – diese Ankündigung reichte, um den Hype loszutreten. Als die Zuschauer dann in die „Salle Debussy“ hineinströmten, gab es Minuten später ein regelrechtes Gerangel um die rar gesäten Sitzplätze – den Sessel eines kurzzeitig abwesenden Nachbarn musste man fast bis aufs Blut (das in Tarantino-Filmen ja meistens literweise fließt) verteidigen.
Tarantinos Ankündigung
Kurz vor Filmbeginn wurde eine Nachricht von Quentin Tarantino himself (und seinen Produzenten) verlesen. Die Presse solle den Zuschauern den Genuss nicht verderben und ihnen die Möglichkeit geben, sich den Film in „all seiner Frische“ anzusehen. Einige sehr laute Buhrufe begleiteten diese Aussage – ein Journalist fühlte sich wohl in seiner Berichterstattungsfreiheit eingeengt. Dabei ist die Interpretation dieser Bitte definitiv schwammig – zumal der Film für jemanden, der Tarantinos Kino kennt, eigentlich wenig Überraschungen bereithält.
Stuntmen und Western
Dass Tarantino irgendwann seine Liebe für den Italo-Western noch deutlicher ausleben würde, war klar. Nach „The Hateful Eight“ und dem Neo-Western „Kill Bill“ sehen wir gleich zu Beginn von „Once Upon A Time … in Hollywood“ Auszüge aus der fiktionalen Westernserie „Bounty Law“, deren Hauptfigur Rick Dalton (Leonardo DiCaprio) zusammen mit seinem Stuntman Cliff Booth (Brad Pitt) ein Interview gibt Die Figur des megalomanischen – und folglich vom Zweifel geplagten – Rick Dalton wird hier von DiCaprio innerhalb einer Schwarz-Weiß-Szene bereits grandios umrissen. Mit lässig-cooler Haltung und ironisch-distanziertem Gesichtsausdruck erklärt er, wieso er einen Stuntman benötigt: „Ich könnte ja mal von einem Pferd fallen. Ist übrigens schon mehrmals passiert. Aber wenn ich dabei schlimm verletzt würde, hätte das verheerende Konsequenzen für die Produktionskosten. Deshalb haben wir Cliff.“ Kurz danach gibt es im Gespräch mit dem Produzenten Schwarz (Al Pacino) eine Zusammenfassung von Rick Daltons Karriere, die es Tarantino erlaubt, seine Erzählung mit „Film-im-Film“-Material zu überlagern. Da die Hauptfigur des Films ein Schauspieler ist, lässt Tarantino keine Gelegenheit aus, um seine Handlung mit Schichten an Spaghettiwestern-Referenzen und Drehszenen zu überkleben – oft auf diese wunderbar ironische Art, die bei Tarantino aber immer auch als Hommage ans Kino zu verstehen ist.
Doppelgänger
Der erste Handlungsstrang widmet sich zunächst dem Schauspieler Rick und seinem Doppelgänger Cliff. Rick Dalton ist ein depressiver Star, der den TV-Ruhm aufgegeben hat, um Karriere im Kino zu machen – nur um relativ schnell zu erfahren, dass Hollywood nicht auf ihn gewartet hat und es nun bald auch zu spät ist, um im schnelllebigen Business wieder Fuß in der Fernsehindustrie zu fassen.
Als man ihm ankündigt, er würde bald auf Italowestern umsatteln, fühlt er sich definitiv aufs Abstellgleis abgeschoben. Parallel zu Daltons Spätkarriere folgen wir Stuntman Cliffs Müßiggang durch die Straßen von L.A. – nach einer grandiosen Auseinandersetzung mit einem Bruce-Lee-Verschnitt ist Cliff nämlich arbeitslos.
Weitab der typischen Tarantino-Underdogs führt uns der Film durch den Ruhm und die prunkvollen Villen der Hollywood-Traumfabrik – von der Tarantino aber hauptsächlich die Schattenseiten zeigt. In einer rührenden Szene warten DiCaprio und eine achtjährige Schauspielerin auf einen Dreh. DiCaprio liest ein Buch, das neugierige Mädchen fragt nach dem Plot, DiCaprio erzählt von einem alternden Cowboy, dessen besten Tage passé sind und mit dem er sich empathisch identifiziert, bricht in Tränen aus und meint chauvinistisch, in 15 Jahren würde es der Kleinen auch so gehen.
Teilweise problematisch fällt die Unentschiedenheit von Daltons Figur aus – DiCaprio pendelt zu sehr zwischen Parodie und Emotionalität, man weiß oft nicht, ob man die Figur nun lächerlich finden oder mit ihr mitleiden soll – am liebsten hätte Quentin wohl, wir empfänden beides, würden DiCaprio als hippen Lederjackenträger mit weichem Herz sehen.
Aus der Doppelgänger-Beziehung von Schauspieler und Double zieht Tarantino allerdings eine wunderbare Umkehrung. Spätestens ab dem Zeitpunkt, an dem Cliff Hippie und Manson-Anhängerin Squeaky Fromme nach Spahn Ranch fährt, wo Charles Manson und seine Anhänger lebten und eine anthologische Auseinandersetzung stattfindet, wird klar, dass Cliff die zentrale Figur des Films ist.
Geschichtsschreibung à la Tarantino
Diese Doppelgänger-Beziehung liest sich auch auf filmischer Ebene: Das Kino und die Fiktion, so suggeriert es Tarantino, sind der stetige Begleiter des wirklichen Lebens. Und wie der Stuntman für den Schauspieler in brenzligen Situationen einspringt, so will das Kino in Tarantinos Welt historische Wunden heilen.
Wer sich im Vorfeld für den Pitch des Filmes interessiert hat, hat sicherlich verstanden, dass dieser Teil einer Trilogie sein soll, die Tarantino mit „Inglourious Basterds“ begonnen und mit „Django Unchained“ weitergeführt hat – ihm geht es hier wieder teilweise um ein ganz eigenes Genre der Geschichtsschreibung, die mit den Mitteln des Films und des Metakinos die rezente Menschheitsgeschichte zurechtbiegen will. Wer sich daran erinnert, wie bei „Inglorious Basterds“ die Nazis in die Kinofalle gelockt wurden, weiß, wie gut sich Katharsis anfühlen kann.
Als Rick Dalton herausfindet, dass er neben Roman Polanski und dessen Ehefrau Sharon Tate lebt, wird klar, dass wir nach „Inglourious Basterds“ und „Django Unchained“ wieder eine postmoderne – und mittlerweile etwas müde – Geschichtsstunde präsentiert bekommen werden. Dass Tarantino mit dem, was Linda Hutcheon „metafiktionale Historiografie“ nennt, arbeitet, ist seit seinen „Basterds“ überdeutlich – in der Literaturwissenschaft wird diese Form der Geschichtsumschreibung, die er in seinen historisch angelehnten Filmen praktiziert, als eine Uchronie bezeichnet und ist in postmodernen Fiktionen, die sich für die Menschheitsgeschichte interessieren, sehr geläufig.
Im Gegensatz aber zu „Inglourious Basterds“ wirkt die Geschichts(um)schreibung hier erstaunlich nebensächlich – die Idee, sich die beiden Handlungsstränge nach und nach ineinander verstricken zu lassen, ist schön, bei der Umsetzung hapert es aber deswegen, weil Roman Polanski und Sharon Tate wie bloße Nebenfiguren wirken, weshalb die Schlussszene an Dringlichkeit verliert und aufgesetzt wirkt.
Vielleicht hatte Tarantino zu viel Respekt vor Polanski, um ihm und Tate spannende Dialoge in den Mund zu legen, diese Ehrfurcht führt allerdings dazu, dass die Figuren dieses Handlungsstrangs erstaunlich formlos wirken – wobei vor allem die als eine der Hauptfiguren angekündigte Sharon Tate (Margot Robbie) so klischeehaft feminin ist (sie mag Kuchen und ist irgendwann schwanger), dass man sich fragt, wieso Tarantino, der ja mit der Figur von „The Bride“ (Uma Thurman in „Kill Bill“) eine starke Frauenfigur geschaffen hat, mit diesem sehr testosterongeladenen Film das Hollywood in 1969 bloß spiegelt, anstatt es subversiv umzugestalten.
Hippies und Postmodernismus
Vor fünf Jahren brachte Paul Thomas Anderson mit „Inherent Vice“ die erste (und bisher einzige) Verfilmung eines Thomas-Pynchon-Romans auf die Leinwand. Pynchons Fiktionswelt hat Regisseure wie Tarantino sichtlich beeinflusst (in der Mitte von „Vineland“ findet man ganze Passagen, die verdächtig an „Kill Bill“ erinnern). In „Inherent Vice“ interessiert sich Pynchon zum zweiten Mal für die 60er-Jahre – und zeigt, wie das Ideal von Freiheit und Rebellion der Hippie-Gemeinschaften durch Charles Manson und dessen Klan zerstört wurde, da die amerikanische Rechte ab dann argumentieren konnte, Hippies seien doch alle bloß durchgeknallte, gefährliche Mörder. Dass die amerikanische Postmoderne sich mit dem Fall Manson auseinandersetzt, ist genau deswegen logisch, weil hier das Utopische irgendwann in das Dystopische umschwang – und so politisch instrumentalisiert wurde.
In Tarantinos Film werden die Hippies von Beginn auf entweder als freundliche Spinner oder/und als beängstigende Mörder dargestellt. Die Feindbildzeichnung ist weniger treffend, da das in Tarantinos früheren historischen Werken simple Weltbild von Gut und Böse, das der Regisseur aus seinen geliebten B- und Z-Filmen importiert, bei Nazis und Rassisten zutreffend war, hier jedoch an seine Grenzen stößt. Man kann argumentieren, dass dieses Hippie-verachtende Weltbild durch die klischeehafte Sicht der reichen Filmschauspieler gefiltert wird – und doch fällt die Katharsis am Ende des Filmes arg befremdlich aus. Und dies, obwohl der Film diese Schlussszene 130 Minuten lang aufbaut.
Dialogkunst und Spannungsaufbau
Tarantino ist bekannt dafür, im Laufe von Dialogen einen Spannungsaufbau zu entwickeln, der dann in einem Gewaltausbruch endet. Dies hat er in „Pulp Fiction“ (die unvergessliche Dialogszene, die von John Travolta und Samuel L. Jackson geleitet wird) begonnen und in „Inglourious Basterds“ in den dialogierten Spannungsfeldern zwischen Mélanie Laurent und Christoph Waltz brillant weitergeführt – auch die Eröffnungssequenz von „Django Unchained“ ließ uns sowohl die Dialogtalente von Tarantino als auch den punktgenauen Eklat genießen. „Once Upon a Time … in Hollywood“ ist deswegen anders, weil der ganze Film auf eine einzige kathartische Szene hinsteuert – eine mögliche Erklärung, weswegen Thierry Frémaux Tarantinos Film als „reifer“ qualifizierte. Der Film hält sich sehr lange bedeckt, die Dialoge wirken ausufernder, unpräziser, sind weniger auf die Szene selbst gemünzt. In dem Sinne ist dies in der Tat ein geduldigerer Film – der auch von seinem Zuschauer mehr Geduld fordert, da er sich mit den szenischen Auflösungen zurückhält, um diese immer weiter ans Ende rücken zu lassen. In den besten Momenten – Cliffs Begegnung mit den Hippies – ist dies grandios, in anderen Szenen fallen gerade deswegen dramaturgische Schwächen umso mehr ins Gewicht.
Brecht
Wer es gewohnt ist, dass Tarantinos Filme in Kapitel gegliedert sind und auch ansonsten reichlich erzählerische Brüche den Film säumen, um den Zuschauer ganz nach Brechts Verfremdungseffekt stets darin zu erinnern, dass er gerade im Kino sitzt, wird hier feststellen, dass es keine Kapitel gibt und die Handlung ziemlich linear verläuft. Die unzähligen Drehschauplätze und Filmplakate werden wohl ausgereicht haben, um dem Zuschauer zu zeigen, dass es noch mehr als sonst ums Kino geht. Die Abwesenheit von Kapiteln zeigt aber auch, dass es sich um einen Film handelt, der bewusst ziemlich unstrukturiert seine Szenen aneinanderhängt – und so ein Labyrinth an Kulissen in der Tradition rezenter L.A.-Filme („Under the Silver Lake“ und „Inherent Vice“) errichtet, ein postmodernes Vexierspiel, ein Spiegelkabinett aus Simulation und Fiktionselementen, die sich wie Plakate über die nackten Wände der traurigen Wirklichkeit legen. Eine nicht identifizierte Erzählfigur sorgt gegen Ende trotzdem für Momente Brecht’scher Brüche, die semantisch und strukturell keineswegs zu legitimieren sind und nur die reine Erzählfreude wiedergeben sollen.
Metakino
Im Laufe anderer Tarantino-Filme war das Kino stets ein zentrales Thema – nur standen die Metareferenzen der Handlung nicht im Weg. In „Once Upon a Time … in Hollywood“ ist die Metareferenz zeitgleich auch die Handlung, was stellenweise zu einem intelligenten, gut strukturieren Film führt, dessen historischer Handlungsstrang durch die Geschichte eines Schauspielers und dessen Stuntman vervollständigt, beeinflusst und gar verändert wird.
Das große Thema dieses Films ist die Verzahnung von Fiktion und Wirklichkeit. Die Beziehung zwischen Stuntman Cliff (die Wahl des Namens ist grandios: „Cliff“ erinnert an die Klippe, von der der Stuntman fällt, wenn die Hauptfigur sich in Sicherheit wähnt, aber auch an den seriellen „Cliffhanger“) und Rick Dalton, die langsame Umkehrung des Films, in dem der Stuntman irgendwann relevanter als die Hauptfigur wird, spiegelt eine Filmwelt wider, in der das Kino maßgebend die Wirklichkeit prägt. Streckenweise erstickt Tarantinos neuer Streifen aber in den vielen Autoreferenzen. So wie seine Hauptfigur sich sein Daheim – das mit Abbildern seiner selbst, Plakaten und Tonträgern mit Dialogen zum Üben gepflastert ist – als Hommage an sich selbst aufgerichtet hat, so ist auch Tarantinos neuer Film vollgestopft mit (Auto)Referenzen, die so weit gehen, dass Charakterentwicklung, Dialoge und Story teilweise wie ein vom Pferd gestürzter Cowboy auf der Strecke bleiben.
Füße
Natürlich gibt es auch in diesem Film wieder Frauenfüße – die sollen hier aber nur als Symbol dafür stehen, wie sehr Tarantino in seinem neuen Film nicht nur der filmischen Außenwelt, sondern auch seinem eigenen Universum huldigt. Neben der Gegebenheit, dass die beiden Hauptdarsteller bereits wichtige Figuren in den beiden anderen historischen Tarantino-Streifen (Brad Pitt in „Inglourious Basterds“, Leonardo DiCaprio in „Django Unchained“) waren, finden sich hier von Stuntfrau Zoë Bell bis hin zu James Marsden viele alte Bekannte des Tarantino-Mikrokosmos. Auch sonst begeht der Film wenig Neuland: Aus Pulp Fiction kennt man das Verzahnen der Figuren und Handlungsstränge, von „Django“ und den „Basterds“ wird (wie bereits erwähnt) der postmoderne Umgang mit der Geschichte übernommen, das Genre des Westerns tauchte auch bereits in „The Hateful Eight“ sehr klar auf – und das Thema der Vendetta findet man ein bisschen überall in Tarantinos Werk, vor allem aber in „Kill Bill“. Was dem Film eigen bleibt, ist ein fast schon pathologischer Umgang mit der Metaebene, eine Strukturlosigkeit, die den Weg für ein interessantes Spätwerk ebnet – und eine fast ungewohnte Melancholie, die verschiedene Pläne durchdringt.
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Heute bekommt er Stars die Schauspieler auf dem Abstellgleis spielen.
Früher nahm er Schauspieler auf dem Abstellgleis als Stars für seine Filme.