Gesellschaft / Geschlagen, erniedrigt, am Ende: Wenn Frauen nicht mehr können
Wenn das Leben nur noch aus Angst, Erniedrigung und Gewalt besteht, ist „Macou“ („Maison communautaire d’urgence“) eine Zuflucht. Die Adresse ist geheim. Für Susanne* ist das ein Segen. Sie hat sich vor ihrem gewalttätigen Mann dorthin gerettet.
Bei der Begrüßung lächelt Susanne zaghaft. Ihr Blick spricht eine andere Sprache. Er erzählt von Leid, Resignation und Depression. Den Kreislauf aus einem falschen Wort, den Schlägen, den Schmerzen und der Scham kennt sie nur zu gut. Manchmal schlägt ihr Mann ihren Kopf so fest auf die Tischplatte, dass sie in die „Urgence“ muss. „Erst danach hat mich die Polizei ernst genommen, mir überhaupt zugehört“, sagt sie.
Wie viele, denen das passiert, muss sie darum kämpfen, dass ihr jemand zuhört und vor allem glaubt. Kieferbrüche, blaue Augen, ausgerissene Haare, Prellungen am ganzen Körper: Jahrzehntelang geht das so. Sie hält durch, glaubt irgendwann selbst daran, dass sie an allem schuld ist. „Wenn man jahrelang kleingeredet wird, kommen die Zweifel“, sagt sie.
Schließlich verkörpert der Mann, in den sie sich mal verliebt und mit dem sie eine Familie gegründet hat, die erfolgreiche Fassade. Eigenes Haus in Luxemburg, Kinder, gute Position im Finanzsektor. Im Freundeskreis merkt niemand etwas. „Wenn es ganz schlimm war, habe ich mich zu Hause versteckt, bin nicht raus, habe niemanden getroffen“, sagt Susanne.
Alle schweigen
Die Familie allerdings weiß alles. Hilfe oder gar Unterstützung bekommt sie dort nicht. Alle schweigen. Susanne hat einen Beruf, legt allerdings eine lange Baby- und Kinderpause ein, managt den Haushalt. „Wenn ich etwas bereue, dann ist es das“, sagt sie. „Ich kann Mädchen nur sagen, Bildung ist das Ticket in Freiheit und Unabhängigkeit.“
Die gut bürgerliche Fassade funktioniert lange, obwohl ihr Mann sie schlimmer behandelt als eine Putzfrau. Als er mal wieder zuschlägt und das vor den Kindern passiert, reicht es. Im ersten Lockdown geht sie ihm, so gut es geht, im Haus aus dem Weg. „Es war eine furchtbare Zeit“, sagt sie. Danach geht gar nichts mehr, sie versucht auszubrechen, ist am Ende.
Woanders unterzukommen, ist nicht leicht. Das Frauenhaus und das „Macou“ („Maison communautaire d’urgence“) haben Wartelisten. Macou gibt es erst seit 2018. Für Andrée Birnbaum (52) war es die erste Amtshandlung als Direktorin des Sozialdienstes „Femmes en détresse“, ein solches Haus auf den Weg zu bringen. Sie hat diesen Posten seit 2016 inne und wurde gleich mit einem Problem konfrontiert. „Wir hatten nie genug Platz im Frauenhaus“, sagt sie.
38 Personen, Frauen und Kinder, können im Frauenhaus unterkommen. Im „Macou“ gibt es in neun Zimmern Platz für 27 Personen. Der Bedarf ist groß, beide Einrichtungen sind immer belegt. Es gibt Wartelisten, auf denen nach Angaben von „Femmes en détresse“ im Durchschnitt 15 Personen stehen. Mit ihrem Schicksal passt Susanne exakt ins Raster. 61 Prozent der Frauen, die im „Macou“ aufgenommen werden, kommen laut „Rapport d’activité“ 2020 wegen häuslicher Gewalt.
Voraussetzung ist, dass sie psychosoziale Begleitung haben. In Susannes Fall ist es „Pro Familia“, die ihre Flucht ins Macou organisiert und die psychologische Begleitung garantiert. Von den 40 Anfragen nach Aufnahme ins Macou im Jahr 2019 wurden sieben Fälle abgelehnt – unter anderem, weil keine psychosoziale Begleitung gewährleistet war. Von zu Hause wegzukommen, ist nur der erste Schritt.
Viele Notfälle nach dem Lockdown
„Die Gewalt in der Ehe ist das eine“, sagt „Femmes en détresse“-Direktorin Birnbaum. „Meistens ranken sich aber noch ganz andere Sachen um die Situation.“ Arbeitslosigkeit, mangelnde Ausbildung, keine Aussicht auf eine eigene Wohnung sind nur einige der Probleme neben den psychischen. Susanne hat ihres erkannt. „Ich habe zu lange gezögert“, sagt sie. „Schon nach dem ersten Schlag hätte ich reagieren müssen.“
Langsam baut sie sich mithilfe des Psychologen wieder auf und erfährt, dass das Leben sich anders anfühlen kann als ihr bisheriges. „Die Frauen, die hier arbeiten, sind klasse“, sagt sie. „Sie helfen, wo es geht, und wir lachen sogar manchmal miteinander.“ Susanne arbeitet wieder und ist auf Wohnungssuche. Ein Dach über dem Kopf ist ihr größter Wunsch. „Nicht groß, aber nur für mich.“
Die Scheidung läuft, sie hat auf alles verzichtet. Wenn das der Fall ist, geht „Femmes en détresse“ davon aus, dass sich die Situation schnell regelt. Deshalb ist der Aufenthalt im Macou normalerweise auf zwei Monate begrenzt, in Ausnahmen länger. 2020 war wegen Corona alles anders. „Nach dem ersten Lockdown hatten wir richtig viele ganz schlimme Fälle“, sagt Birnbaum.
Die Frauen mussten mangels Platz teilweise in Hotels untergebracht werden. Zahlen, die einen Anstieg belegen würden, liegen noch nicht vor. Der neue „Rapport d’activité“ ist in Arbeit. Aber Birnbaum stellt noch etwas anderes fest: „Während des Lockdowns und danach hatten wir ungeheuer viele Anrufe bei unseren Beratungsstellen“, sagt sie. „Das Gesprächsbedürfnis war sehr hoch.“ Das haben ihr diese Stellen intern zurückgemeldet.
Adresse der Notunterkunft ist geheim
Vor allem in Familien, wo es kriselt, waren die Eltern schnell mit dem Homeschooling der Kinder überfordert. Das sind gute Voraussetzungen, dass die Situation schnell eskaliert. „Es war absolut notwendig, so ein Angebot zu haben“, sagt Birnbaum nach zwei Jahren Macou. „Der Personalschlüssel lässt noch zu wünschen übrig und wir könnten angesichts der Nachfrage noch ein Haus eröffnen.“ 30 Stunden ist das Haus besetzt, zwei Mitarbeiterinnen in Teilzeit garantieren den Betrieb an der sorgsam geheim gehaltenen Adresse.
Nicht mal Susannes Kinder wissen, wo sie ist. „Das ist zu gefährlich“, sagt sie. Wie viel beziehungsweise wenig wert sie ihrem (Noch-)Mann ist, hat sie nach ihrer Flucht erfahren. „Mein Mann hat meine Sachen in Müllsäcke verpackt und in den Keller gestellt“, sagt sie. Das sagt alles.
* Der Name wurde von der Redaktion geändert.
Femmes en détresse
Andrée Birnbaum hat ihre Bürotür geschlossen. Normalerweise ist das – vor allem im Januar – ungewöhnlich, denn sie ist immer offen. Traditionell finden gerade die Mitarbeitergespräche statt, um Sorgen, Probleme oder und zusätzliche Maßnahmen im Sinne der Qualitätskontrolle in den einzelnen Einrichtungen zu erfassen. 104 Mitarbeiter aus 14 verschiedenen Einrichtungen wollen gehört werden. „Femmes en détresse“ bietet neben den Beratungen bei Visavi, „Service d’assistance aux victimes de violence domestique“ (SAVVD) und Oxygène für junge Mädchen Unterkünfte für Frauen und Kinder in Not im Frauenhaus und bei Macou an. Hinzu kommen Begegnungsstätten wie „Kopplabunz“, wo sich Frauen über ihre Situation austauschen können oder die Förderung für Frauen in den Wiedereinstieg ins Berufsleben (NAXI). Weitere Einrichtungen komplettieren das Angebot. www.fed.lu
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Jahrzehntelanges Martyrium! Warum? Der Kinder wegen? Die bekommen das mit, wie verarbeiten sie das, wenn überhaupt? Das Risiko, dass die Mutter von ihnen verachtet wird, gibt es leider auch. Kinder brauchen Eltern als Vorbild und nicht als Schwächlinge, die sie bemitleiden und beschützen müssen. Putzfrauen sind übrigens keine Sklaven und werden geschätzt. Auf alles verzichtet? War das in der ersten Euphorie über den eigenen Mut des Ausbruchs? Schlau, denke ich, war das nicht.