Privatisierung im Bildungswesen / Gesetzestexte zu Direktoren-Posten waren nur Spitze des Eisbergs
Die Lehrergewerkschaften SEW/OGBL und Apess haben die Nase voll von Bildungsminister Claude Meischs Privatisierungsplänen. Sie nennen sein Vorhaben eine Salamitaktik. Die beiden Gesetzesprojekte zu den Direktionsposten in Lyzeen seien nur die Spitze des Eisbergs.
Die Projektion eines roten Puzzles schmückt die Leinwand hinter dem Rednertisch der drei Gewerkschafter von SEW/OGBL (Syndikat Erziehung und Wissenschaft) und Apess („Association des professeurs de l’enseignement secondaire et supérieur“). Das Puzzle besteht aus einzelnen Teilen, die jeweils Elemente der Privatisierung im Bildungswesen symbolisch darstellen sollen. Mittendrin steht ein Zitat: „Die Privatisierung der Bildung ist ein schleichender Prozess. Die verschiedenen Puzzleteile werden gerade zusammengefügt. Wir sagen Stopp!“
Die drei Gewerkschafter Jules Barthel (SEW-Vizepräsident), Gilles Everling (Apess-Präsident) und Vera Dockendorf (SEW) haben am Dienstag die Presse eingeladen, um auf die – wie sie sagen – Salamitaktik des Bildungsministeriums in Sachen Privatisierung aufmerksam zu machen und dementsprechende Forderungen zu stellen. Jules Barthel nennt die Namen einiger Puzzleteile, die nun langsam vom Bildungsministerium ineinander gesteckt werden: „new public management“, „public private partnership“ (PPP), „outsourcing“ von Aktivitäten, Konkurrenzkampf zwischen den Schulen im Rahmen der sogenannten Schulautonomie, Aufmachen von Posten in den Schulen für die Privatwirtschaft, private Akteure wie Microsoft und Apple, die sich eine goldene Nase im Bildungswesen verdienen, oder den Dialog und das Demokratieverständnis, das massiv zu wünschen übrig lässt.
Barthel bedauert, dass diese Themen nur sehr wenig Anklang nach außen finden würden, weil es sich dabei um einen schleichenden Prozess handeln würde, der allerdings gravierende Konsequenzen für das Luxemburger Bildungssystem haben werde. „Irgendwann wird auch das letzte Stück dieses Puzzles zusammengefügt sein und dann riskiert es zu spät zu sein“, warnt Barthel. Erst die beiden Gesetzesprojekte 7658 und 7662, bei denen Direktionsposten in einzelnen spezialisierten Lyzeen mit Personen aus der Privatwirtschaft besetzt werden sollen, haben durch die ganze Polemik die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich gezogen, sagt er. Dies sei aber nur die Spitze des Eisbergs, was die Privatisierungsgedanken des Bildungsministeriums betreffe.
Das Mitspracherecht der Gewerkschaften, Schüler- und Elternvertretungen hat massiv gelitten unter DP-Minister Claude MeischSEW-Vizepräsident
Barthel deutet den Mangel an Dialog und Demokratieverständnis, den das Bildungsministerium an den Tag lege, als Zeichen, das überall dort auftauche, wo private Akteure sich breitmachen. Stimmen, die nicht auf Linie mit den Entscheidungsträgern liegen, würden oft weitgehend und immer mehr ignoriert. Genau das müsse man auch im Bildungssektor in Luxemburg feststellen. „Das Mitspracherecht der Gewerkschaften, Schüler- und Elternvertretungen hat massiv gelitten unter DP-Minister Claude Meisch.“ Und das nicht nur seit dieser Krise, so Barthel. Meisch sei der Minister, der eine Unmasse an Gremien geschaffen habe, um nach außen zu zeigen, wie demokratisch er vorgehe. Aber er sei auch derjenige, der dafür gesorgt habe, dass diese Gremien nicht konstruktiv funktionieren können.
Autonomie der Schulen steht im Weg
Barthel nennt als Beispiel den Bildungstisch, von dem viel gesprochen wurde und der immer noch nicht existiert. Weitere Beispiele seien der „Conseil supérieur de l’Education nationale“ und das „Comité à la formation professionelle“. Dieses Komitee sei seit seiner Gründung 2008 und 2020 nur zweimal zusammengekommen. „Hier verlangen wir ganz klar, dass sich etwas ändern muss“, sagt er. „Wir wollen weg von einer Politik der großen Ankündigungen ohne Fortsetzung.“ Es sei „um Terrain“, wo etwas passieren müsse. Und die Akteure, die dort arbeiten und lernen, sollten von Anfang an in diesen Prozess mit eingebunden werden.
Da, wo wir als Gewerkschaften früher schon im ‚Avant-projet de loi’ mit in die Diskussionen eingebunden wurden, werden wir jetzt, wie bei den Gesetzesprojekten 7658 und 7662, praktisch erst dann informiert, wenn die Texte im Parlament abgelegt wurdenSEW-Vizepräsident
Das Gleiche gelte für das Ausarbeiten der Gesetze im Bildungssektor. „Da, wo wir als Gewerkschaften früher schon im ‚Avant-projet de loi’ mit in die Diskussionen eingebunden wurden, werden wir jetzt, wie bei den Gesetzesprojekten 7658 und 7662, praktisch erst dann informiert, wenn die Texte im Parlament abgelegt wurden.“ Für Barthel reicht es nicht, dass die Staatsbeamtengewerkschaft CGFP das Gesetzesprojekt sieht und einen „Avis“ darüber abgibt. Er vermisst die Stimmen von SEW, Apess und den „Chargés“. Letztere würden weit mehr als die Hälfte des Schulpersonals im „Secondaire“ ausmachen. Man müsse nun die Kräfte bündeln, fordert Barthel. Deshalb treten am Dienstag auch SEW und Apess zusammen auf. Des Weiteren suche man einen stärkeren Kontakt zu Schüler- und Elternvertretungen.
Gilles Everling, Präsident der Apess, übt Kritik an der Schulautonomie aus. Für den gesellschaftlichen Zusammenhalt sei es wichtig, dass die Jugend eine gemeinsame Bildungsbasis in der öffentlichen Schule bekommt. Doch hier stehe die Autonomie der Schulen im Weg. Diese führe laut Everling dazu, dass jede Schule immer mehr Marketing betreiben müsse, um sich zu profilieren und zu positionieren. „So stehen sie im Wettbewerb statt zusammenzuarbeiten.“
Bei der Digitalisierung der internationalen Schulen gibt der Staat seinen Bildungsauftrag komplett aus der Hand und macht quasi ein ‚Outsourcing‘ an private FirmenSEW
Das Ganze ist im Rahmen des „General agreement of treating services (GATS)“, Pisa und der Globalisierung allgemein zu sehen, sagt der Apess-Präsident. GATS ist seit 1995 in Kraft und sieht vor, Schulen im Wettbewerb gegeneinander antreten zu lassen, um sie dadurch marktfähig zu machen. Ziel dieses Vorhabens sei es, immer mehr menschliche Ressourcen für den internationalen Arbeitsmarkt zu produzieren statt kritische und mündige Bürger mit einer breiten gemeinsamen humanistischen Bildung auszubilden.
Staat gibt seinen Bildungsauftrag aus der Hand
Vera Dockendorf vom SEW stört sich an Verträgen im Rahmen von PPP’s, also „public private partnerships“, die zwischen dem Staat und privaten Firmen geschlossen werden. Dies würden insbesondere im Kontext der Digitalisierung und meist bei internationalen Schulen angewendet werden. „Bei der Digitalisierung der internationalen Schulen gibt der Staat seinen Bildungsauftrag komplett aus der Hand und macht quasi ein ‚Outsourcing‘ an private Firmen“, sagt Dockendorf. Diese Firmen würden dann selber entscheiden, was und wie gelernt wird, wie geprüft und wie es bewertet wird. Dafür würden sie sich auch noch teuer bezahlen lassen.
Als Beispiel nennt sie Verträge mit Apple und Microsoft. In den vergangenen drei Jahren seien über 12 Millionen an öffentlichen Geldern an Apple und Microsoft geflossen. „Die Schule ist ein lukrativer Markt für diese privaten Formen geworden“, stellt die SEW-Gewerkschaftlerin klar. Dabei hätten diese Firmen kein prioritär pädagogisches Ziel für unsere Schüler, sondern würden gerne Geld verdienen.
Verschiedene Schulen arbeiten laut Dockendorf mit Programmen privater Firmen. Abgelegte Examen werden an die Firma geschickt oder aufgenommene mündliche Prüfungen zur Verbesserung an den Konzern gesendet, der das Programm verkauft hat. Diese privaten Unternehmen verbessern demnach die Prüfungen und bewerten sie auch. Sie würden somit bestimmen, was gelehrt und wie es gelehrt wird. Der Staat habe hier seine Verantwortung aus der Hand gegeben. Die Zahl der Zusammenarbeit mit solchen Konzernen habe in den vergangenen Jahren zugenommen.
Als Beispiel nennt Dockendorf die englischsprachigen Klassen im Athénée, im Escher Lycée de Garçons und im Michel Lucius sowie die französischsprachigen Klassen im Lycée technique du Centre. „Die Privatisierung wird Stück für Stück zusammengesetzt mit einzelnen Puzzlestücken“, sagt die Gewerkschaftlerin.
Dockendorf geht auf das Beispiel von Großbritannien ein. Dort habe auch alles langsam angefangen. Heute seien 60 Prozent der Sekundarschulen „von innen“ privatisiert. Das heißt, dass sie zwar von öffentlichen Geldern finanziert werden, jedes Lyzeum aber selber festlegt, wen es einstellt und zu welchen Bedingungen. Examen werden ausgelagert und dort korrigiert. „Das geht so weit, dass in Großbritannien seit 1992 Rankinglisten mit den Schulen veröffentlicht werden“, sagt sie. Jene Schulen, die ganz oben in der Liste stehen, bekommen mehr staatliche Mittel zur Verfügung gestellt. Das führe zu einem enormen Konkurrenzkampf zwischen den Schulen und dazu, dass sich so etwas wie „Eliteschulen“ und „Ghettoschulen“ bilden würden. Und das führe wiederum dazu, dass die Chancengleichheit immer weiter abnimmt. „Deshalb sagen wir, dass wir das früh genug erkennen müssen, um auf diese Weise Privatisierungstendenzen frühzeitig zu stoppen. Wir müssen umdenken.“
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