Menschenrechtskommission / Gilbert Pregno äußert Kritik an Verfassungstext: „Politisches Puzzle, das an Qualität und Tiefe verloren hat“
Ein politisches Arrangement, das in all den Jahren an Qualität und Tiefe verloren hat. Als solches betitelt Gilbert Pregno, Präsident der Menschenrechtskommission, die anstehende Verfassungsreform. Zu wenig sei für die Menschenrechte getan worden. „Ich muss mich schon fast dafür schämen“, sagt Pregno auf einer Pressekonferenz am Dienstag.
Die Verfassungsrevision ist in vollem Gang, letzte Woche wurde ein weiterer Gesetzesentwurf in der Chamber diskutiert, der unter anderem die Kapitel zur Staatsform und zum Großherzog ändern soll. Nun hat die Luxemburger Menschenrechtskommission (CCDH) auf einer Pressekonferenz ihr Gutachten zu den geplanten Änderungen präsentiert. „Ein Flickenteppich, ein Puzzle, bei dem über die Jahre der andauernden Arbeiten die Luxemburger Geschichte, Kultur und Tradition verloren gegangen sind“, meint der Präsident der CCDH Gilbert Pregno. „Es ist für mich ein politisches Arrangement, das an Qualität und Tiefe verloren hat.“
Der CCDH-Präsident bedauert auch den starken Rückgriff auf nationale Symbole, die erstmals Verfassungsrang erhalten. „Ich lebe in einer multikulturellen Gesellschaft“, sagt Pregno, der die Verfassung in der Hinsicht als Rückschritt empfindet. „Ich finde, die Tradition des Zusammenlebens verschiedener Kulturen in Luxemburg ist ebenso Bestandteil unserer Identität.“
Die harten Worte des Präsidenten der CCDH untermauern Rhéa Ziadé und Edoardo Stoppioni von der CCDH. „Die CCDH bedauert, dass die übergeordnete Stellung der internationalen Verträge nicht im neuen Verfassungstext festgeschrieben wurde“, sagt Stoppioni. „Es handelt sich hierbei eigentlich um eine Luxemburger Tradition.“ Der Luxemburger Staat sei durch die Anerkennung internationaler Verträge überhaupt erst entstanden, dementsprechend groß sei der Respekt dieser Verträge. Jedoch würden in der Luxemburger Rechtssprechung immer mehr Gerichte dem nationalen Recht Vorrang geben, sagt auch CCDH-Präsident Gilbert Pregno.
Zu rigide und morgen schon veraltet?
Stoppioni bedauert zudem, dass keine „pro homine“-Klausel in der Verfassung festgeschrieben worden sei, die eine Rechtssprechung unter Rücksicht auf die Menschenrechtslage erfordern würde. Es sei zudem bedauerlich, dass der Gesetzgeber trotz der Erfahrungen in der Pandemie keine Vorkehrungen getroffen habe, wie die Menschenrechte in Luxemburg auch in Krisenzeiten geschützt und gewahrt werden könnten.
Der vorliegende Entwurf sieht eine Klassifizierung in vier Kategorien vor: die politischen Rechte, die fundamentalen Rechte, öffentliche Freiheiten und Staatsziele mit Verfassungsrang. Die CCDH steht einer solchen Kategorisierung kritisch gegenüber. „Diese Einteilung wurde aus ausländischen Verfassungen übernommen und sind nicht an die Luxemburger Rechtssprechung angepasst“, sagt Stoppioni. „Eine rigide Einteilung verhindert zudem die Evolution dieser Rechte im öffentlichen Diskurs, wie sie es in einer sich ständig entwickelnden Gesellschaft aber tun.“ Das Fazit des CCDH-Mitarbeiters fällt in dem Punkt vernichtend aus: „Die Verfassung könnte am Tag des Inkrafttretens schon wieder veraltet sein.“
Ein Beispiel, wie die rigide Klassifizierung für Probleme sorgen könnte, verortet die CCDH-Juristin Rhéa Ziadé im Kapitel zur Religions- und Meinungsfreiheit. So seien diese einerseits als fundamentale Rechte und als öffentliche Freiheiten klassifiziert worden. „Dieser Unterscheidung fehlt allerdings die nötige Trennschärfe, da die Meinungsbildung nicht eingeschränkt werden kann, die Meinungsäußerung hingegen schon“, schreibt die CCDH in ihrem Gutachten. Auch sei es nicht hinnehmbar, dass die Freiheit, einer Religionsgemeinschaft anzugehören, wie der Verfassungsgeber es derzeit vorsehe, eingeschränkt werden kann.
Familie und Wohl des Kindes
Rhéa Ziadé bedauert ihrerseits, dass in dem neu überarbeiteten Verfassungstext ein Unterschied zwischen Luxemburger und Ausländern hergestellt werde. „Diese Unterscheidung ist mit der Luxemburger Rechtssprechung nicht vereinbar“, meint Ziadé. „Die CCDH fordert, dass jede Person vor dem Gesetz gleichgestellt wird.“ Auch bedauere die CCDH, dass in der neuen Verfassung ein binäres Verständnis, nämlich eine Unterteilung in Mann und Frau, der Gesellschaft vorgeschrieben werde. Es gebe mehr als nur zwei Kategorien, meint Ziadé mit Verweis auf die LGBTIQA+.
Auch sei es wichtig, die Autonomierechte der Menschen mit Behinderung in der Verfassung zu garantieren. Im Gegenzug begrüßt die Menschenrechtskommission, dass jedem Menschen, egal welchen Alters oder Geschlechts, das Recht auf eine Familie zugestanden werde. Einen kleinen Wermutstropfen sieht die CCDH jedoch beim Artikel zum Wohle des Kindes: „Es wäre wichtig, dass dem Wohl des Kindes, im Einklang mit den internationalen und europäischen Verträgen, der Zusatz ‚übergeordnet‘ hinzugefügt wird“, sagt Ziadé. Insgesamt aber bestehe noch weitestgehend Nachbesserungsbedarf.
Lesbarkeit und Interpretation
Die CCDH sieht auch bei den prozeduralen Rechten und der Religions- und Meinungsfreiheit Verbesserungspotenzial. Die prozeduralen Rechte sollten alle im Kapitel über die Menschenrechte festgeschrieben werden. „Das würde die Lesbarkeit und somit den Zugang zum Text erhöhen“, meint die CCDH-Juristin Ziadé.
Zudem spricht sich die CCDH, „angesichts der rezenten Entwicklungen“, für eine breite Interpretation der festgeschriebenen Pressefreiheit aus. Darunter müsse sowohl der Pressepluralismus, der Quellenschutz, Schutzmaßnahmen für Whistleblower und der Informationszugang für Journalisten und Bürger verstanden werden. Die CCDH bedauere zudem, dass sowohl das „droit à la vie“ als auch der Kampf gegen die Armut aus dem neuen Verfassungstext gestrichen wurden – insbesondere weil das Recht auf Leben in der europäischen Menschenrechtskonvention verankert sei.
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CCDH nicht bei den Gesprächen zur Verfassungsreform dabei gewesen oder konsultativ vorher informiert, ist schon komisch.
absolut korrekte Stellungnahme der CCDH aber wieso kommt diese so spät. Jetzt bleibt sie nur ein hofnungsloser Schrei in der Wüste. Sehr schade oder etwa gewollt verspätet? Armes Luxemburg!