/ God Loves Sinners – Luxemburger Koproduktionen auf der 69. Berlinale
Der Erfolg von Bad Banks und der Deutsche Fernsehpreis für Vicky Krieps bestätigen, dass die luxemburgische Filmindustrie auch im deutschsprachigen Ausland Erfolge verbuchen kann. Auf der diesjährigen Berlinale war das Großherzogtum mit zwei Koproduktionen („Flatland“ und „Temblores“) vertreten, die beide Teil der „Panorama“-Auswahl sind.
Die Ausgangsidee des Streifens klingt so toll, dass man durchaus versteht, wieso sich die in Luxemburg ansässige Produktionsfirma Deal Productions finanziell an dem Projekt beteiligen wollte: Jenna Bass will mit „Flatland“ einen Neo-Western inszenieren, der das Hauptaugenmerk auf drei teils starke, teils verunsicherte Frauenfiguren legt, und so ein von patriarchalen Figuren dominiertes Genre auf den Kopf stellen, indem sie eine Emanzipationsgeschichte erzählt, die einem mehr als angestaubten Genre auch im 21. Jahrhundert eine Legitimität verleihen soll.
Handlungstechnisch setzt Bass diese Idee in einer eigentlich recht linearen Geschichte um: Nach einer gewalttätigen Hochzeitsnacht flüchtet die junge und naive Natalie (Nicole Fortuin) vor ihrem Ehemann, begeht unter Einfluss der Panik ein Verbrechen, steigt auf ihr geliebtes Pferd und sucht ihre hochschwangere Freundin Poppie (Izel Bezuidenhout) auf, mit der sie den Plan schmiedet, nach Johannesburg zu flüchten. Schnell stellt sich heraus, dass Captain Beauty Cuba (sehr überzeugend: Faith Baloyi) ihnen auf den Fersen ist, da deren Freund Billie als Sündenbock für das Verbrechen herhalten soll.
Western von gestern
„Die Idee für den Film kommt unter anderem daher, dass ich als Kind Western mit meinem Vater verschlang. Nur fiel mir dann später auf, dass in den Western-Filmen, die ich damals sah, die Männer die Leinwand dominierten“, so Jenna Bass.
Gleichermaßen sollen die Probleme, mit denen sich die weiblichen Hauptfiguren herumschlagen, das postkoloniale Südafrika, aus dem die Regisseurin stammt, reflektieren – ein Südafrika, in dem eine Gleichberechtigung nur auf der Ebene des Scheiterns möglich ist. „Here, even the men get fucked“, meint eine der Figuren trocken nach einem verfrühten Showdown, im Laufe dessen sich herausstellt, dass es in diesem Film nur Verlierer geben wird.
No Country for Young Women
Dieser pessimistischen Sicht wird die Suche aller drei weiblichen Hauptfiguren nach Liebe und Freiheit entgegengestellt. So definiert sich Beauty Cuba durch ihre Leidenschaft für Colts und schmalzige Seifenopern – als wolle Jenna Bass den Kontrast zeigen zwischen einer naiven Fiktionswelt, in welche sich die Heldinnen stürzen wollen, und der bitteren Realität einer Regenbogennation, dessen soziale Realität weniger harmonisch ist, als die Bezeichnung es impliziert.
Als man ihren geliebten Seifenopern jeden Wirklichkeitsbezug abspricht und dies damit begründet, man würde in Soaps doch bloß dumme Leute dumm handeln sehen, meint Beauty Cuba trocken, das würde ihrer Weltsicht und -erfahrung nach ziemlich akkurat die Wirklichkeit umschreiben. Es sind solche staubtrockenen Pointen, die das Potenzial dieses teilweise an „Thelma & Louise“ und „Fargo“ erinnernden Werkes verdeutlichen.
Roadmovie mit politischen Überlegungen
„Flatland“ ist ein Roadmovie mit Western-Elementen, das sich viel vornimmt, im Endeffekt aber seine politischen Überlegungen, die in einer Verzahnung von Rassen- und Genderproblematiken verdichtet werden, nicht nur zu plakativ darstellt, sondern sie zudem in einem ästhetisch unentschiedenen, teilweise unausgegorenen Sammelsurium inszeniert. Dass vieles versucht wird und letzten Endes nicht alles aufgeht, ist Teil der postmodernen Genre-Verschmelzung, die sich in „Flatland“ durch eine Mischung aus Roadmovie, Western, soziologischer Charakterstudie und Soap-Opera-Elementen manifestiert. Das ist per se keine Schwäche – in seinen Romanen zeigt Thomas Pynchon, wie ein liebevolles Genre-Pastiche mit Augenzwinkern funktionieren kann, und auch Tarantino praktiziert seit jeher eine solche Melange (mittlerweile aber fast schon zu selbstsicher).
In „Flatland“ spiegelt die generische Mischung aber vor allem eine Unentschiedenheit wider, die den Film in zu viele verschiedene Richtungen zerrt, was starke erzählerische Rhythmusprobleme zur Folge hat. Die drei lieblosen Schlusssequenzen verstärken leider den Eindruck einer unbeholfenen Erzählstruktur und einer vertanen Chance.
Zweifelhaftes Gebet in Guatemala
„Danke, dass ich kein Untertan, kein Sklave und keine Frau bin“: Mit diesem zweifelhaften Gebet beginnt „Temblores“ von Jayro Bustamante (koproduziert von Iris Productions), das im heutigen Guatemala spielt und für den westlichen Zuschauer aus thematischer Sicht wie ein Film aus den 50ern wirkt und erzählerisch banaler, dafür aber weitaus dringlicher als „Flatland“ ist.
Der Film fängt in medias res an: Pablo (Juan Pablo Olyslager), der sich in Francisco (Mauricio Armas Zebadua) verliebt hat, kehrt zu seiner Familie zurück, die ihn beschämt, enttäuscht und wütend aufnimmt. Das Erdbeben, das kurz nach Pablos Wiederkehr das Haus erschüttert, ist für die Familie ein Zeichen Gottes Unzufriedenheit wegen seiner sträflichen Liebe zu einem anderen Mann.
Seine Ehefrau Isa (Diane Bathen) verbannt ihn aus dem Haus, sucht Ratschlag in ihrer Glaubensgemeinde und scheint zur Vergebung bereit – falls Pablo akzeptiere, sich heilen zu lassen.
„Wir sind hier nicht in Luxemburg“
Was folgt, ist die Geschichte eines Mannes, der dem sozialen und religiösen Druck nach und nach verfällt. Sein Lover, Francisco, entgegnet ihm trocken: „Dachtest du, es wäre leicht, schwul zu sein? Wir sind hier nicht in Luxemburg.“ (Hier hat man wohl die Koproduzenten von Iris bedienen wollen, Berlin hätte beispielsweise im Film mehr Sinn ergeben als das doch nicht so wahnsinnig progressive Luxemburg.)
Pablo wird konsequent aus der Gesellschaft verbannt: Er verliert seinen Job und darf seine Kinder nicht mehr sehen, weil man ihn des Kindesmissbrauchs angeklagt hat. „In Guatemala gibt es keinen gesetzlichen Unterschied zwischen Homosexualität und Pädophilie: Es liegt an der Großherzigkeit des Richters, dies zu trennen“, erklärt Regisseur Jayro Bustamante.
„Lies, lies, lies“
In die Enge getrieben – Pablo ist nicht nur sozial an den Rand gedrückt, sondern wird auch finanziell entmachtet, da niemand ihm eine neue Arbeit anbieten möchte – akzeptiert Pablo erst einen Job in der Kirche, bevor er dort eine Therapie macht, um von seiner Homosexualität geheilt zu werden.
Diese Szenen, im Laufe derer die Begierde junger Männer wie Unkraut durch moralische Indoktrination und Medikamente entfernt werden soll, sind aufrüttelnd und kulminieren in einer bewegenden Begegnung zwischen Pablo, der via Contactless-Karte die Kirchgänger zur Geldkollekte auffordert (so wird ganz nebenbei die Kirche als hypokritische/scheinheilige Institution, die nur dann modern ist, wenn es um die Finanzen geht, bloßgestellt ), und Francisco, der entgeistert feststellen muss, wie Pablo mit dem Rückgewinn seiner sozialen Reputation seine Selbstwürde aufgegeben hat.
Regisseur Bustamante gab zu, selbst erstaunt gewesen zu sein, als er zum Thema zu recherchieren begann und herausfand, dass etwa neun Prozent der männlichen Einwohner von Guatemala ein unehrliches Leben führen und ihre Ehefrauen, Familien und Kinder anlügen, weil ein Coming-out für sie nicht möglich ist.
Entmachtete Frauenfiguren
In „Temblores“ sind die Frauenfiguren allerdings ebenso entmachtet: Sie werden zum lustlosen Lustobjekt von Männern, die sie nur zum Schein heiraten. Isas Einsatz für eine heile Familie führt sie zwar dazu, ihrem Ehemann diesen Wunsch nach einem sozial angesehenen Familienleben aufzuerlegen, dies ist aber bloß eine Scheinemanzipation, da sie ihr gesellschaftlich auferlegt wurde.
Selten hat ein Film Deleuzes Theorien über den Kontrast zwischen sozial einengender Familienorganisation und den Lustschüben der Lustmaschinen, die wir eigentlich sind, so prägnant dargestellt.
Letztlich gibt es in „Temblores“, genau wie in „Flatland“, nur Verlierer. Wieso sich die Menschheit eine soziale Organisation auferlegt hat, die mehr Unzufriedenheit als Begierde produziert, ist letztens, trotz der unterschiedlichen Qualität der beiden Filme, eine unbequeme Frage, die den beiden Koproduktionen zugrundeliegt – und die dringlicher denn je ist, porträtiert sie doch sowohl die Grundproblematik unseres zukünftigen Zusammenlebens als auch die Möglichkeit eines Ausbruches aus den Dystopien, die längst unseren Alltag durchdringen.
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