Timeline / Google-Datacenter: Das Drehbuch zu einem schlechten Film
Seit über zwei Jahren geht die Rede von einem in Bissen geplanten Google-Datacenter. Das Projekt hat im Laufe der Zeit zahlreiche Gemüter erhitzt, obschon – oder gerade weil – nicht viel über den genauen Umfang des Vorhabens bekannt war. Es ist vor allem der Mangel an Transparenz, den die Gegner des Projekts dem Internetgiganten Google vorwerfen. Zum besseren Verständnis des Dossiers, hier die einzelnen Etappen im Überblick.
Juli 2018: Die Nachricht platzt mitten ins Sommerloch hinein: Google möchte ein Rechenzentrum auf Roost (Gemeinde Bissen) bauen. Der Bauträger „London-Bridge“ hat hierfür ein rund 33 Hektar großes Areal auf „Busbierg“ erworben. Das Ganze sorgt schnell für viel Gesprächsstoff.
7. Januar 2019: Eine erste Hürde besteht in der Umklassierung des genannten, in seiner Fläche etwa 50 Fußballfeldern gleichkommenden Areals in eine „Zone spéciale Datacenter“. Dank des einstimmigen Votums vom 7. Januar 2019 erhoffen sich die Gemeinderäte aus Bissen künftig eine transparentere Zusammenarbeit mit dem Internetgiganten, denn bis dahin war eher das große Schweigen angesagt.
22. Januar 2019: Der Internetgigant bleibt bei seiner Taktik. Weder in der Infoveranstaltung am 22. Januar 2019, die von der Gemeinde einberufen wurde, noch in der Bürgerversammlung, zu der Google später im Jahr einladen sollte, gibt es schlüssige Informationen zum definitiven Umfang des Datacenters, zum Strom- und Kühlwasserverbrauch, zum Geräuschpegel der Kühlaggregate, zur Lichtverschmutzung usw., usf.
Februar 2019: „Wir wollen Klarheit“, so die Mitglieder einer lokalen Bürgerinitiative im Februar 2019 in einem Rundschreiben. Zu viele Fragen würden offenstehen und man mache sich ernsthaft Sorgen um die Lebensqualität in der Gemeinde.
19. Juni 2019: Bürgermeister Jos Schummer spricht u.a. von 143 schriftlich eingereichten Reklamationsschreiben, von Aktionen der Bürgerinitiative und von einer offiziellen Opposition der Umweltorganisation „Mouvement écologique“ (Méco). Da sämtliche Fragen zum Projekt noch immer offen im Raum stehen, enthalten sich die fünf Oppositionsräte bei der definitiven Abstimmung über die Umklassierung des Areals auf „Busbierg“. Zwei CSV-Räte stimmen gegen ihren Schöffenrat, sodass die Umklassierung mit nur vier CSV-Stimmen durchgeboxt wird.
25. Juni 2019: Bürgermeister Jos Schummer kehrt der CSV den Rücken, da er sich sowohl von seiner Partei als auch von zwei CSV-Räten (Christian Hoscheid und Cindy Barros) im Dossier rund um das geplante Datacenter im Stich gelassen fühlt. Er bleibt aber auf dem Bürgermeisterstuhl sitzen.
26. Juni 2019: Rätin Cindy Barros demissioniert ebenfalls aus der christlich-sozialen Volkspartei. Damit verliert die CSV ihre knappe Mehrheit im Gemeinderat. „Ich habe nach langer Überlegung für mich persönlich den Entschluss gefasst, in Zukunft als politisch Unabhängige im Gemeinderat zu bleiben. Ich werde aber mit anderen Ratsmitgliedern das Gespräch suchen, da ich der Meinung bin, dass es viele gemeinsame Ideen gibt, die es zu verwirklichen gilt“, sagt Barros am 26. Juni 2019 gegenüber dem Tageblatt.
27. Juni 2019: David Viaggi („Är Leit“) gibt in einem Gespräch mit dem Tageblatt zu verstehen, dass seine Fraktion eine Änderung des kompletten Schöffenrates fordert. „Wir hatten u.a. ein sehr konstruktives Gespräch mit Bürgermeister Jos Schummer, der sich mit einer kompletten Neugestaltung des Schöffenrates einverstanden zeigte“, sagt Viaggi damals.
11. Juli 2019: In der an dem Tag stattfindenden Gemeinderatssitzung stellt die neue Mehrheit erneut die erwähnte Frage an den Schöffenrat. Doch eine konkrete Antwort bleibt weiterhin aus. Dafür gibt es aber eklatante Worte des Gemeindevaters an die Adresse seiner beiden Schöffen und langjährigen Parteikollegen Carlo Mulbach und Frank Clement. Zusammengefasst gibt er ihnen zu verstehen, dass sie bis dato nicht viel aufzuweisen hätten. Das sorgt nicht nur bei den Betroffenen für Entrüstung.
26. August 2019: Die erste Schöffenratssitzung nach den Sommerferien findet statt. Bürgermeister Schummer spricht die Demission, entgegen seinen fünf Tage zuvor gemachten Aussagen nicht an. Gleiches Szenario bei dem zwei Tage später stattfindenden Treffen des Schöffenrates.
24. September 2019: Nach langem Hin und Her geben Carlo Mulbach und Frank Clement während einer Pressekonferenz ihre Demission als Schöffen der Gemeinde Bissen bekannt. Wenige Tage später entscheidet sich auch Bürgermeister Schummer zum Rücktritt.
6. Oktober 2019: Nach den Ereignissen der letzten Wochen und Monate schlägt die neue Mehrheit im Gemeinderat, die Initiative „Är Leit“, folgende Neubesetzung der Gemeindeführung vor: Bürgermeister soll David Viaggi (35) werden, den Posten des Ersten Schöffen soll Roger Saurfeld, den des Zweiten Schöffen Cindy Barros bekleiden.
9. Oktober 2019: In einer Gemeinderatssitzung unter Ausschluss der Öffentlichkeit wird über die neue Besetzung des Schöffenrates abgestimmt. Hier die einzelnen Abstimmungsresultate:
– David Viaggi: 10 Ja- und eine Gegenstimme;
– Roger Saurfeld: 6 Ja-Stimmen und 5 Enthaltungen;
– Cindy Barros: 7 Ja- und 4 Gegenstimmen.
6. November 2019: Der punktuelle Bebauungsplan (PAP) zum Projekt Datencenter liegt zur Einsicht im Rathaus vor. Doch auch dieses Papier gibt eigentlich wenig Aufschluss über das, was auf „Busbierg“ einmal entstehen soll. Was z.B. den Strom- und Wasserverbrauch anbelangt, darüber gibt es keine einzige Zeile zu lesen. Das werde in der anstehenden Umweltverträglichkeitsstudie untersucht und veröffentlicht, hieß es.
21. November 2019: Der Internetgigant Google entsendet Fabien Vieau („Regional Director Data Center Energy & Location Strategy“) und Frédéric Descamps („Data Center Facilities Manager“) zu einer Infoveranstaltung nach Luxemburg. Bereits die erste Aussage von Vieau gegenüber den Journalisten lässt darauf schließen, dass auch an diesem Tag keine weiteren Details bekannt gegeben werden sollten. „Wir haben uns aus verschiedenen Gründen bis dato mit Informationen zurückgehalten“, so Vieau. Über die Gründe für diese Zurückhaltung wird weiter viel spekuliert.
11. Januar 2020: Stichtag für die Abgabe der Einwände gegen den „Plan d’aménagement particulier“ (PAP) für das geplante Datacenter auf „Busbierg“. In diesen Teilbebauungsplan konnte sich jeder auf dem Internetportal der Gemeinde Bissen einlesen, doch schlauer wurden wohl die wenigsten. Es blieben nach wie vor sehr viele Fragen offen. 177 Beschwerdeschreiben waren eingegangen. Die meisten Fragen stellten sich die Bürger in puncto Geräuschpegel einer eventuellen Luftkühlung des Rechenzentrums und der dafür notwendigen Aggregate sowie zu den Themen Verkehrsbelastung, Wasserdampfentwicklung, Abwasser- und Kühlwassermengen sowie Umfang des Gesamtprojektes.
29. März 2020: Wir wollen von Bürgermeister Viaggi wissen, wie es um das Dossier Google steht. Bedingt durch die sanitäre Krise und die in diesem Zusammenhang beschlossenen großherzoglichen Reglemente, die u.a. besagen, dass die Entscheidung über Bebauungspläne im Moment in der Schwebe gehalten werden, habe man nun mehr Zeit, die Konformität des PAP Datacenter genau unter die Lupe zu nehmen sowie auf die 177 Beschwerden aus der Bevölkerung einzugehen, so Viaggi. Die so gewonnenen Erkenntnisse würden dann in den Teilbebauungsplan einfließen. „Dazu sollte man aber wissen, dass es sich bei den insgesamt 177 eingegangenen Reklamationsschreiben in 140 Fällen um vorgedruckte Formulare handelt, die nur unterschrieben werden mussten. Die restlichen 37 Beschwerden sind eigens vom Absender verfasste Briefe“, sagt Viaggi. Dazu kommen noch Einwände der lokalen Organisationen „Pro Bissen“ und „Biergerinitiativ Bissen“ sowie des Méco.
8. Mai 2010: Lange Zeit war im Dossier Datencenter Bissen nichts von einem sogenannten „Memorandum of understanding“ (MoU) zwischen der Regierung, der Gemeinde Bissen und dem Internetgiganten Google bekannt. Offiziell jedenfalls nicht. Doch als die Rangelei im Gemeinderat Bissen losging, war dieses MoU, nennen wir es Absichtserklärung, in vieler Munde. Méco hatte sowohl beim Wirtschaftsministerium als auch bei der Gemeinde Bissen das „Memorandum of understanding“ angefragt. Während das Wirtschaftsministerium die Veröffentlichung ablehnte (u.a. aufgrund der „Vertraulichkeit“ der Informationen) habe die Gemeinde die Anfrage überhaupt nicht beantwortet, so die Umweltorganisation in einer Pressemitteilung. Daraufhin habe man zusammen mit einem Anwalt Beschwerde bei der zuständigen Kommission („Commission d’accès aux documents“) eingereicht, dies auf der Grundlage des Gesetzes vom 14. September 2018 betreffend eine transparente und offene Verwaltung. Die Kommission habe in ihrem Gutachten vom 4. Mai 2020 dem Méco in allen Punkten recht gegeben: Beim „Memorandum of understanding“ zwischen Regierung, Gemeinde und Google handele es sich gemäß Kommission nicht um ein vertrauliches Dokument.
1. Juni 2020: Das nun nicht mehr als vertraulich eingestufte Dokument löst eine unbändige Nervosität in den Reihen der CSV-Opposition in der Abgeordnetenkammer aus, deren Mitglieder sofort in den sozialen Netzwerken und gegenüber der Presse in die Bütt steigen. Sie – und nicht nur sie – versprachen sich Zündstoff in dieser Absichtserklärung, doch im Nachhinein sollten sie in dieser Hinsicht enttäuscht werden.
4. Juni 2020: Die Absichtserklärung liegt nun den Mitgliedern der parlamentarischen Wirtschaftskommission der Abgeordnetenkammer zur Einsicht vor. Da die Diskussionen und auch eventuelle Beschlüsse dem Beratungsgeheimnis unterliegen, will im Anschluss an diese Sitzung niemand etwas zum Inhalt des Dokumentes sagen. Doch die Mimik spricht für sich: Die, die sich in diesem Dokument Sprengstoff erhofft hatten, wurden sichtlich enttäuscht.
6. Juni 2020: Die CSV-Fraktion Bissen erneuert ihren Antrag zur Einsicht in das Dokument. Mal ganz nebenbei bemerkt: Das MoU wurde 2018 von der Gemeinde nicht nur vom damaligen CSV-Bürgermeister Jos Schummer, sondern auch von den damaligen beiden CSV-Schöffen Carlo Mulbach und Frank Clement unterzeichnet. Die beiden Letztgenannten sitzen heute noch immer im Gemeinderat und sind Mitglieder der CSV-Fraktion. Eben der Fraktion, die Einsicht in das Dokument verlangt, dessen Inhalt zwei ihrer Mitglieder genauestens kennen müssten.
18. Juni 2020: In einer nicht öffentlichen Arbeitssitzung wird den Mitgliedern des Gemeinderates die Absichtserklärung zur Einsicht vorgelegt, nachdem sich Bürgermeister Viaggi die Genehmigung hierzu vom Wirtschaftsministerium und von der Direktion des Internetgiganten eingeholt hatte. Erwähnenswerte Reaktionen bleiben auch hier aus.
14. Oktober 2020: „In den letzten Wochen hat sich manches getan“, so Bürgermeister Viaggi auf unsere Anfrage hin. „Zu vielen bis dato offenstehenden Fragen haben wir in der Zwischenzeit Antworten erhalten. Ich kann zu diesem Moment aber nur Folgendes sagen: Es gibt viele Neuigkeiten! Mehr Informationen verrate ich in der Gemeinderatssitzung vom kommenden 22. Oktober.“ Auf der Tagesordnung steht dann u.a. die Verabschiedung des Teilbebauungsplans Google.
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