Atomenergie / Greenpeace-Experte: „Sichere Kernkraftwerke gibt es nicht“
Die Äußerungen von Premierminister Luc Frieden vom vergangenen März relativierten die ablehnende Haltung gegenüber der Kernenergie seitens der Luxemburger Regierung. Einige Länder wollen verstärkt auf neue AKWs setzen und betrachten die Atomkraft als probate Lösung gegen den Klimawandel. Ein Trugschluss, so der Greenpeace-Experte und -Aktivist Roger Spautz.
Tageblatt: Herr Spautz, Ende März hat Premierminister Luc Frieden beim internationalen Gipfeltreffen zur Atomenergie mit seinen Äußerungen einen Wechsel in der luxemburgischen Atompolitik angedeutet und damit hierzulande Aufsehen erregt. Hat Sie das überrascht?
Roger Spautz: Wir haben das nationale Aktionskomitee gegen Atomkraft, in dem 21 Parteien (außer ADR), Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen vertreten sind und das sich zweimal im Jahr trifft. Schon im vergangenen Jahr kündigte die CSV an, ihre Mitgliedschaft auf Eis zu legen. Das war bereits ein klares Zeichen dafür, dass es in der Partei Bestrebungen gab, sich zumindest teilweise für die Atomkraft auszusprechen. Im Regierungsprogramm hieß es dann, dass man sich weiter für die Schließung von grenznahen Atomreaktoren einsetze. Seitens verschiedener Mitarbeiter von Ministerien gab es jedoch Andeutungen, dass es zu bestimmten Fragen keine klaren Aussagen gegeben habe. So zum Beispiel in puncto Taxonomie, ob Luxemburg weiter die Klage Österreichs gegen die Entscheidung der EU-Kommission unterstützt, Atomenergie als nachhaltige Technologie zu definieren. Friedens Aussage in Brüssel hat mich daher nicht überrascht. Er scheint sich nicht genau festlegen zu wollen. Letztendlich zeigt das die starke Lobbyarbeit der Atombefürworter wie etwa Emmanuel Macron.
Einerseits geht es um die Schließung alter Reaktoren wie etwa Cattenom, auf der anderen Seite soll die Forschung in der Atomenergie unterstützt werden, um diese im Kampf gegen den Klimawandel zu nutzen.
Auch innerhalb der Regierung gibt es verschiedene Meinungen. So sagte Vizepremier Xavier Bettel (DP) deutlich, dass Atomkraft keine Lösung sei, um gegen den Klimawandel vorzugehen, weil nach wie vor Risiken bestehen.
Luc Frieden ist für eine weniger „ideologische“ Betrachtungsweise in der Atompolitik. Ist die AKW-Gegnerschaft wirklich ideologisch?
Ganz im Gegenteil. Ich sehe das anders. Die Argumente gegen Atomenergie kommen ja nicht nur von Greenpeace oder den Grünen. Es gibt auch Studien zum Beispiel vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, die besagen, dass die Atomenergie keine Lösung gegen den Klimawandel darstellt. Die Kosten für den Bau neuer AKWs seien zu hoch, heißt es etwa, oder die Entsorgung des Atommülls sei noch nicht geklärt. Atomkraft sei demnach keine Energie der Zukunft. Um gegen den Klimawandel vorzugehen, muss schnell gehandelt und kann nicht gewartet werden, bis x Atomreaktoren gebaut worden sind. Das wäre auch technisch gesehen, angesichts von Know-how und Kapazitäten, fragwürdig. Selbst von wissenschaftlichen Instituten, die nicht im Verdacht stehen, anti-atom zu sein, kommen in dieser Hinsicht deutliche Aussagen.
Die Atombefürworter sagen, die Kernenergieforschung sei heute viel weiter als noch vor 30, 40 Jahren und die heutigen AKWs seien sicherer.
Also sichere Kernkraftwerke gibt es nicht. Auch nicht die neue Generation. Schon seit mehr als 50 Jahren wird Geld in die Entwicklung von Reaktoren gesteckt – und es ergeben sich keine ernst zu nehmenden Fortschritte. Man ist weit davon entfernt, dass die Atomenergie großflächig eingesetzt werden könnte.
Alle einzelnen Teile müssen verschiedenen Normen entsprechen und von den zuständigen Behörden genehmigt werden. Das kann lange dauern. Man kauft die Teile nicht einfach so bei IKEA.
Aber versprechen nicht gerade sogenannte Small Modular Reactors (SMR), leichter serienmäßig hergestellt zu werden und damit ein wirksames Mittel zur Lösung der Klimakrise zu sein?
Was die SMR angeht, muss man verschiedene Typen unterscheiden. Zum Beispiel, ob der Moderator, der für die Kettenreaktion gebraucht wird, Wasser, Salz oder Grafit ist. Es gibt zwar schon unterschiedliche kleine Reaktoren, die etwa auch in U-Booten eingesetzt werden oder zur Herstellung von Hitze. Aber auch hierbei gibt es sehr viele offene Fragen. Alle einzelnen Teile – etwa Leitungen oder Pumpen – müssen verschiedenen Normen entsprechen und von den zuständigen Behörden genehmigt werden. Das kann lange dauern. Man kauft die Teile nicht einfach so bei IKEA. Der Hersteller muss beweisen können, dass seine Leitung einem bestimmten Druck x standhält.
Und wenn sie den Normen entsprechen und es wirklich sichere Reaktoren geben sollte – könnte zum Beispiel Greenpeace damit leben?
Nein, weil auch andere Probleme nicht gelöst sind. Es gibt dann immer noch das Problem der Brennelemente. Es müssten welche sein, die höher angereichert sind als die jetzigen. Wenn die Anreicherung etwa in den USA stattfindet, müssen die Brennelemente nach Europa transportiert werden. Dafür braucht man Transportgenehmigungen. Die ganze Lieferkette muss organisiert und verifiziert werden. Letztendlich wird auch hierbei radioaktiver Abfall produziert. Die Atomindustrie sagt, das sei ein Perpetuum mobile. Das stimmt so aber nicht. Auch heißt es, man könne die kleineren Reaktoren von etwa 20 Megawatt besser aufs Land verteilen. Jetzt stellen Sie sich mal vor, man hätte sie in der Ukraine. Außerdem hat der Klimawandel neue Risiken gebracht, wie etwa den Wassermangel, in dessen Folge zum Beispiel letztes Jahr in Frankreich Reaktoren abgeschaltet werden mussten. Hinzu kommen der Anstieg des Meeresspiegels sowie andere Gefahren durch Naturkatastrophen.
Bei der letzten Weltklimakonferenz kündigten 20 Staaten an, mehr in die Atomenergie zu investieren. Ist der internationale Druck pro Atomkraft größer geworden?
In dieser Hinsicht würde ich von zwei Aspekten sprechen. Einer ist, dass noch vor ein paar Jahren das IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) in seinen Szenarien der Atomkraft eine gewisse Rolle als Übergangsenergie zugesprochen hat. Der Anteil an den Szenarien nahm jedoch in den letzten Jahren stark ab. Man muss aber zugeben, dass die Atomindustrie eine starke Lobby hat und dass Rafael Grossi, der Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), sehr umtriebig ist. Einmal ist er in der Ukraine, dann eine Woche später in Bangladesch, um irgendwelche Reaktoren zu verkaufen, dann in einem afrikanischen Land, um die Atomkraft schmackhaft zu machen. Die Atomlobby ist stark vertreten. Sie hat viel Einfluss und Geld.
Was ist dem entgegenzusetzen?
Argumente, etwa darauf hinzuweisen, dass man in Sachen Atomenergie nicht zuletzt abhängig ist von den Ländern, die über Uran verfügen. Aber auch abhängig von den Herstellern der Reaktoren und der Brennelemente. Letztere kann im Moment nur Rosatom herstellen, die russische Agentur für Atomenergie. Das kann zwar übernommen werden von Unternehmen wie Westinghouse. Aber das geht nicht von heute auf morgen. Wenn jetzt mehrere Länder auf Atomkraft, etwa in Afrika, setzen, so lange sind diese Länder abhängig von denen, die Brennelemente herstellen.
Wohin geht der Trend weltweit – zur Atomenergie oder weg davon?
Es gibt zwar einen Trend, dass mehr Länder auf Atomkraft setzten. Aber nimmt man den World Nuclear Industry Status Report als Grundlage, der jedes Jahr veröffentlicht wird, zeigt dieser auf, dass in den letzten 20 Jahren wesentlich mehr Reaktoren abgeschaltet als in Betrieb genommen wurden – und auch, dass die Aussagen von verschiedenen Ländern, sie würden so und so viele Reaktoren bauen, nicht eingehalten wurden.
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