LGBTQIA+ / „Grenzwertig, aber legal“: Das sagen die Parteien zur umstrittenen Petition 3198
Die Petition 3198 gegen die Inklusion von LGBTQIA+-Themen im Schulunterricht sorgt derzeit für heftige Diskussionen. Kritik erntet auch die Petitionskommission für ihre Entscheidung, die Unterschriftensammlung durchgewunken zu haben. Wir haben Mitglieder der einzelnen Parteien, die in der betreffenden Kommission tätig sind, um ihre Einschätzung der Debatte gebeten.
Francine Closener (LSAP)
„Ich verstehe das Entsetzen von vielen Menschen, das diese Petition und ihre vielen Unterschriften ausgelöst haben“, sagt Francine Closener. Die LSAP-Politikerin ist die Vorsitzende der zuständigen Kommission und verteidigt die „einstimmig getroffene“ Entscheidung, die umstrittene Petition angenommen zu haben. Es sei nicht lange darüber diskutiert worden, auch „weil der Antrag sehr clever formuliert ist“. Er enthalte keine „offensichtliche“ Diskrimination, keine „offensichtliche“ Homophobie. Man sei als Kommission an die festgesetzten Regeln gebunden. „Wir dürfen in unsere Entscheidung nicht einfließen lassen, ob wir den Inhalt einer Petition nun gut oder schlecht finden.“ Die Meinungsfreiheit sei ein fester Bestandteil des Systems. „Der Petent hat das Recht, seine Ansichten darzulegen, auch wenn sie kontrovers sind“, so Closener weiter. „Wenn wir nur die Petitionen zulassen, die wir auch unterschrieben würden, weil wir sie gut finden, dann macht das Werkzeug ja keinen Sinn mehr.“
Dennoch würde man bei der kommenden Debatte darauf achten, dass der Petent seine Plattform nicht dazu nutzt, um Homophobie und Hass zu verbreiten und so gegen das Antidiskriminierungsgesetz zu verstoßen. „Sonst werde ich eingreifen“, verspricht die Politikerin.
Closener sieht in der Situation auch eine Chance. „Es gibt uns die Gelegenheit, mit den Petenten zu sprechen und deren Argumente auch kritisch zu hinterfragen.“ So könne man Missverständnissen und Unkenntnissen entgegenwirken. „Wir sollten uns vor einer kontroversen Diskussion nicht scheuen. Weil wir haben gute Argumente, es so zu machen, wie es derzeit in den Schulen läuft.“
Über die Integration von LGBTQIA+-Themen im Unterricht sei für Closener nicht zu verhandeln. „Schulen haben den Auftrag, den Schülern eine ausgeglichene und komplette Bildung zu bieten. Für mich gehört es auch dazu, dass Werte wie Toleranz und Diversität vermittelt werden. Soweit ich das beurteilen kann, dient eine frühzeitige Auseinandersetzung mit queeren Themen dazu, sowohl Vorurteile abzubauen als auch selbst betroffene Kinder zu stärken“.
Corinne Cahen (DP)
„Wir sprechen in der Petitionskommission über die Zulässigkeit von den Anträgen, nicht über deren Sinn – oder Unsinn“, sagt die Vizepräsidentin der Kommission, Corinne Cahen, im Gespräch mit dem Tageblatt. Die betreffende Petition sei, nach geltenden Regeln, zulässig gewesen. „Was mich aber schockiert, ist, dass sie so viele Unterstützer innerhalb von einer kurzen Zeit gefunden hat.“ Sie verstehe das nicht, aber „hätte die Petition diese Unterschriften nicht gesammelt, würde nun keiner darüber sprechen“.
Die Unterschriftensammlung sei aber ein Anzeichen dafür, dass es bei manchen „brodelt“. „Wenn wir einer anderen Meinung sind – und das bin ich hundertprozentig –, dann müssen wir das auch artikulieren und argumentieren. Diese Gelegenheit bietet die kommende Debatte.“ Auf die Frage, ob man somit nicht diskriminierenden Meinungen eine Plattform bieten würde, weicht Cahen aus. „Damit stellen Sie eher die Frage, ob Petitionen ein gutes Instrument sind oder nicht. Es geht um Themen, die die Menschen beschäftigen.“ In ihren Augen könne man nun bei dem Thema „die Luft rauslassen“ und aufklären. Es gehe darum, Toleranz zu schaffen, Selbstbestimmung zu lehren und „in einer freien Welt zu leben“.
Barbara Agostino (DP)
Auch Barbara Agostino betont, dass die Petition einstimmig angenommen wurde. Eine Diskussion habe sich aber auch erübrigt, da es nur eine Rolle spiele, ob der Antrag formalen Regeln entspreche. Dies sei hier der Fall. „Aber ich würde diese Petition natürlich niemals unterschreiben.“ Sie habe keine offene Diskriminierung gesehen, sei aber „auch nicht blöd“ und wisse, „worauf die Petenten zwischen den Zeilen abzielen“. Die offen queere Politikerin gibt sich im Gespräch kämpferisch: „Ich freue mich auf die öffentliche Debatte.“ Denn hier sei es die Rolle der Abgeordneten, den Unterstützern der Petition klarzumachen, wo man stehe und wieso es gute Argumente für die Inklusion von LGBTQIA+-Themen in der Schule gebe. Agostino will dabei auch auf ihre eigenen Erfahrungen setzen. Sie selbst sei in einem konservativen Haushalt aufgewachsen und wisse, wie es sei, ihre Sexualität ohne einen inklusiven Unterricht zu entdecken. „Ich werde dahingehen und die Petenten fragen, wo sie denn eigentlich das Problem sehen.“ Als frühere Lehrerin wisse sie auch, wie das Thema in den Klassenräumen gehandhabt werde und wie wichtig es sei, dass Kinder lernen, über ihren eigenen Körper bestimmen zu können. Außerdem wolle sie klarstellen, was solche Forderungen für Menschen der LGBTQIA+-Gemeinschaft bedeuten – und welche Gefühle sie auslösen können. „Ich hoffe so, für mehr Verständnis zu sorgen.“
Nathalie Morgenthaler (CSV)
„Wir dürfen unseren Kindern nicht verheimlichen, dass es in unserer Gesellschaft eine gewisse Diversität gibt“, sagt Nathalie Morgenthaler. „Es gibt Menschenrechte und Werte, die für jeden gelten und für die wir einstehen müssen.“ Deswegen sei es falsch, diese diversen Wirklichkeiten in den Schulen nicht zu vermitteln und zu leben. „Schulen müssen zur Toleranz erziehen. Sonst führt dies zu Ablehnung, Hass und Diskriminierung.“
Meris Sehovic („déi gréng“)
„Ich bin nicht mit der Petition einverstanden – weder mit der Analyse noch mit den Schlussfolgerungen oder den Forderungen“, sagt Meris Sehovic von „déi gréng“. Dennoch entspreche sie den aktuellen Regeln und sei somit zulässig. „Das kann man für unglücklich halten, doch es ist, wie es ist.“ Trotzdem sei man dabei, das Petitionsreglement noch einmal zu überarbeiten und auch die Kriterien besser zu definieren.
„Eine starke Demokratie muss aber solche Diskussionen aushalten“, so Sehovic weiter. Es brauche nun eine aufgeklärte Debatte, die auch mit Mythen und Unsicherheiten aufräumt, die bei einzelnen Menschen noch vorherrschen. Er habe bereits viele Reaktionen auf die umstrittene Petition erhalten und teile auch die Bedenken der Organisationen, die sich in den vergangenen Tagen geäußert haben. „Ich sehe es als meine Aufgabe, nun in der Debatte mit guten und fundierten Argumenten meine Position zu vertreten.“ So wolle er den Ängsten der Petenten entgegentreten.
„Bildung über affektive und sexuelle Gesundheit gehört für mich in unsere Schulen“, sagt der Grünen-Politiker. „Kinder sollen sich in einem geschützten Raum ein Bild von der Gesellschaft mit all ihren Facetten und Diversitäten machen können.“ Nur so könnten sie selbstbestimmt durch das Leben gehen. „Schulprogramme sollten auch nicht politisiert werden, sondern werden von Experten und Pädagogen ausgearbeitet. Das soll auch so bleiben.“
David Wagner („déi Lénk“)
Wie auch die anderen Mitglieder der Petitionskommission argumentiert auch David Wagner von „déi Lénk“, dass die Petition Nr. 3198 nach den aktuellen Regeln zulässig, „aber grenzwertig“ gewesen sei. „Dennoch müssen wir in der Kommission einmal darüber reden, wie man mit Petitionen umgeht, die auf falschen Behauptungen gründen oder politisch nicht tragbar sind.“ Hätte man die umstrittene Petition nicht zugelassen, hätte der Vorwurf im Raum gestanden, die Petenten mundtot machen zu wollen. Es habe ihn nicht überrascht, dass die Petition innerhalb weniger Tage so einen großen Zulauf hatte. Er geht davon aus, dass die Petition in einschlägigen, reaktionären Gruppen geteilt wurde. „In einem Land, wo die ADR zehn Prozent Stimmen bekommt, wundert es mich nicht.“
Dennoch hoffe er, dass die Position der Petenten in der Gesellschaft nicht mehrheitlich geteilt werde. Als Linken-Politiker würde er sich bei der Debatte gegen die Position der Petition stellen – und plant ebenfalls, Aufklärung zu betreiben. Die Inklusion von LGBTQIA+-Themen in der Bildung sei für ihn und seinen Parteikollegen Marc Baum sogar „obligatorisch“.
Marc Goergen (Piraten)
„Diese Petition spiegelt nicht die Meinung der zuständigen Parlamentskommission wider“, schreibt Marc Goergen (Piraten) in einem kurzen Statement. Die betreffende Petition sei „am Limit“, aber noch zulässig gewesen. Man begrüße allerdings die Gegenpetitionen, die nun eingereicht würden. Die Piratenpartei sei dafür, dass LGBTQIA+-Themen offen in unserer Gesellschaft behandelt werden.
ADR
Für die ADR sitzt Dan Hardy in der Petitionskommission. Auf eine Mail des Tageblatt, um zum Thema Stellung zu beziehen, hat er nicht reagiert.
Mehrere Gegenpetitionen
Bis zum Zeitpunkt des Gesprächs mit Francine Closener am Freitagmorgen wurden bereits vier Gegenpetitionen eingereicht, bestätigt die Vorsitzende der Petitionskommission. Da es nicht mehrere Petitionen gleichzeitig zum gleichen Thema geben soll, werde die Kommission eine nach dem üblichen Prüfungsverfahren freigeben. Dies könne bereits kommende Woche der Fall sein. Sollten sich genügend Unterstützer finden, könne man dann beide Petenten in einer gemeinsamen Sitzung hören. Dies entscheide die zuständige Kommission aber erst in den kommenden Wochen.
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