Ungarn / Größter Protest gegen Orban seit Jahren: Fidesz-Whistleblower sorgt für Unruhe
Peter Magyar war bis vor Kurzem noch selbst Teil des Systems Orban. Nun organisiert er die größten Protestmärsche, die Ungarn seit Jahren gesehen hat.
„Orban verschwinde!“ und „dreckiger Fidesz!“, skandierten am Samstag Zehntausende erboster Ungarn. Sie schwenkten ungarische Flaggen und zündeten Feuerwerke in den Nationalfarben rot-grün-weiß. Man hätte sie auch für besonders patriotische Unterstützer des umstrittenen Regierungschefs Viktor Orban halten können, doch der von der Regierung bis aufs Blut gehasste Fidesz-Whistleblower Peter Magyar hatte zu dem Protest aufgerufen. Und in der Tat, einen derart großen Protestmarsch hatte es in Budapest schon lange nicht mehr gegeben.
Magyars „Nationaler Marsch für ein neues Ungarn“ begann am Samstagnachmittag am zentralen Deak-Ferenc-Platz, von wo aus die Menge zum Kossuth-Platz vor dem Parlament marschierte. Mit dabei waren eher nicht die alten, meist linken oder grünen Oppositionspolitiker, sondern neue Orban-kritische Figuren wie der Schauspieler Ervin Nagy, der reformierte Pfarrer Zoltan Tarr und Janos Nagy, der oppositionelle Bürgermeister der zentral-ungarischen 40.000-Einwohner-Stadt Szigetszentmikloss.
Vor dem Parlament, wo Orban am Nationalfeiertag 15. März jeweils Zehntausende seiner teils mit Bussen aus Transsilvanien (in Rumänien), Transkarpatien (in der Ukraine) und der Wojwoddina herangekarrte Unterstützer zu versammeln vermag, hatte diesmal die neue Hoffnung der ungarischen Opposition, Peter Magyar, das Sagen. In einer rund einstündigen Rede sagte der hagere 43-Jährige im weißen Hemd, die Ungarn seien heute der Funke, der die „Atombombe“ gegen die Orban-Mafia zünden könnte. „Die Regierung möge die Macht zurück in die Hände des Volkes legen und ihm die Wahlmöglichkeit geben“, forderte Magyar vor dem Parlament vorgezogene Parlamentswahlen. Den Ministerpräsidenten selbst griff das langjährige Fidesz-Mitglied Magyar eher nicht an, wohl aber den engen Orban-Freund Antal Rogan, Orbans Kanzleichef. Dieser schüchtere „mit viel Geld ungarische Patrioten“ ein, klagte Magyar und spielte dabei nicht zuletzt auf sich selbst an.
Auf der Suche nach einer Partei
Denn jahrelang hatte Magyar selbst das System Orban mitgetragen. Der Fidesz-Whistleblower, der von vielen Medien fälschlicherweise als neuer Oppositionspolitiker betitelt wird, war mit der ehemaligen Justizministerin Judit Varga verheiratet und hatte selbst Führungsposten in staatlichen Institutionen und Unternehmen inne. Erst im Februar hatte er überraschend mit Fidesz und damit auch Orban gebrochen. Anlass für sein Umdenken sei die Affäre um die Begnadigung eines Pädophilen-Helfers, die zum Rücktritt von Staatspräsidentin Katalin Novak sowie dem Ende der politischen Laufbahn seiner Ex-Frau geführt hatte, sagt Magyar heute.
In einem fast zweistündigen Interview im linken YouTube-Kanal „Partizan“, das fast 2,5 Mio. Mal aufgerufen wurde, enorm viel für ein Land mit nur knapp 10 Mio. Einwohnern, enthüllte Peter Magyar damals viele korrupte Machenschaften im Inneren von Viktor Orbans Regierungspartei. Als Beweis seiner Anschuldigungen veröffentlichte Magyar Ende März einen heimlichen, rund zweiminütigen Gesprächsmitschnitt mit Varga, als diese noch Justizministerin und noch mit ihm verheiratet war. Darin schildert die enge Orban-Vertraute, wie Politfreunde von Orbans Kanzleiminister Antal Rogan in staatsanwaltliche Ermittlungen eingegriffen und belastende Stellen aus den Akten getilgt hätten. Der Oberstaatsanwalt hätte dies einfach zugelassen, klagt Varga in dem Gesprächsmitschnitt.
Varga bestritt die Authentizität des Gesprächs nicht, behauptete aber, von Magyar zu den Aussagen mit Gewalt manipuliert worden zu sein. Seitdem wird Magyar von den von Orban schon lange gleichgeschalteten Medien als psychisch wie physisch gewalttätiger Ex-Ehemann diffamiert.
Magyar hat inzwischen angekündigt, eine kleine Partei zu suchen, die ihn trotz seiner Fidesz-Vergangenheit aufnimmt und diese auf die EU-Parlamentswahlen hin zu einer großen oppositionellen Kraft aufbauen zu wollen. Laut Umfragen kann der heute noch Parteilose im Moment mit 10-16 Prozent Zustimmung rechnen. Zum Sturz von Viktor Orban reicht dies indes noch lange nicht. Der gewiefte Regierungschef hat in der Vergangenheit auch immer wieder größere Protestmärsche unbeschadet überstanden.
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Mir sind Leute die auf einmal ihr demokratisches Gewissen entdecken immer suspekt .