Corona / Großbritannien diskutiert den Mini-Lockdown
Ein kurzer, aber heftiger Lockdown von drei Wochen. In Großbritannien wird die Möglichkeit dieser sogenannten „Circuit Breaker“ derzeit heftig diskutiert. Die Idee des Mini-Lockdowns stammt von der britischen Expertengruppe SAGE, die die Regierung in Notsituationen berät.
Seit einigen Tagen steigt die Zahl der Neuinfektionen mit Sars-CoV-2 wieder rapide an. Im Lichte dieser Entwicklung ringen politische Entscheider um immer neue Maßnahmen, um dem Virus Herr zu werden. In Großbritannien wird seit einigen Wochen eine neue Methode diskutiert: „Circuit Breaker“.
Wenn man zu Hause ein defektes Gerät an den Strom anschließt und einschaltet, dann fliegt (hoffentlich) eine Sicherung heraus. Der Stromfluss wird unterbrochen, bevor es zu Schlimmerem kommt und am Ende mehr kaputt ist als nur ein Gerät. Nichts geht mehr, alles steht still. Dann gilt es, das defekte Gerät auszustöpseln und die Sicherung zu ersetzen oder je nachdem um welche Sicherung es sich handelt, den Sicherungskasten zu finden und den Schalter am betroffenen Sicherungsautomaten wieder umzulegen.
Solche Sicherungsautomaten, mit denen der komplette Stromfluss ein- und ausgeschaltet werden kann, werden im Englischen als „Circuit Breaker“ bezeichnet. Und genau so sollen das komplette öffentliche Leben und die Wirtschaft ein- und ausgeschaltet werden, um die Coronapandemie zu bremsen.
Vorgeschlagen wurde die Idee von der „Scientific Advisory Group for Emergencies“ (SAGE), einer Expertengruppe, die die britische Regierung bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie unterstützt. In einem Papier vom 21. September listet SAGE „die Wirksamkeit und Gefahren von nicht-medizinischen Maßnahmen“ im Kampf gegen das Virus. Die Liste der untersuchten Maßnahmen wird angeführt von ebenjenem „Circuit Breaker“.
SAGE versteht darunter eine Periode von zwei bis drei Wochen, in denen strenge Regeln gelten. Ein Mini-Lockdown. Das Wichtige dabei ist, dass die Dauer von vorneherein auf einen kurzen Zeitrahmen festgelegt wird. Dies sollte helfen, die Reproduktionszahl R wieder unter 1 zu senken, glauben die Experten. SAGE zufolge sollen „zwei Wochen Wachstum gegen zwei Wochen rückläufige Ansteckungen ausgetauscht werden“ – vorausgesetzt die Menschen treffen sich nicht vermehrt vor und nach dieser Zwangspause. Auf diese Weise soll das Virus zwar nicht besiegt, aber ausgebremst werden. Es geht darum, Zeit zu gewinnen.
Johnson bevorzugt regionale Herangehensweise
In Großbritannien werden „Circuit Breaker“ derzeit überall heftig diskutiert, ob im Parlament wie auch im Morgenprogramm der Fernsehsender. Der britische Premier Boris Johnson sprach sich im Parlament gegen solche landesweiten Maßnahmen aus. Er zieht regionale Maßnahmen vor. „Wir wissen, wo die Krankheit auftritt, und wir wissen, dass sie regional verteilt ist und nicht landesweit. Das gibt uns die Chance, das Richtige zu tun“, so Johnson im Parlament. Er warf Labour-Chef Keir Starmer vor, das Gastgewerbe und Geschäfte in Regionen schließen zu wollen, in denen die Fallzahlen niedrig sind. Es gelte, das Elend eines weiteren Lockdowns zu vermeiden. Starmer konterte, Johnsons Strategie sei überhaupt erst daran schuld, dass strenge Maßnahmen nun unausweichlich geworden sind.
Tatsächlich gibt es in Großbritannien starke regionale Unterschiede, was die Ausbreitung des Virus betrifft. Während es zuletzt in Liverpool durchschnittlich 74 neue Fälle pro Tag und 100.000 Einwohner gab, waren es in Cornwall nur 7. In Großbritannien sind derzeit Schulferien. Ein Mini-Lockdown, so die allgemeine Meinung, würde deshalb gerade jetzt am wenigsten Chaos verursachen.
Relativ niedrig im Vergleich mit manchen englischen Regionen sind die Zahlen auch in Wales und Schottland. Während Stramer und Johnson sich noch im Parlament in London streiten, hat der Waliser First Minister Mark Drakeford bereits einen Mini-Lockdown verhängt – dort unter dem Namen „Firebreak“ (dt. Brandschneise). Während der Zeit vom 23. Oktober bis zum 9. November dürfen Menschen ihr Zuhause so gut wie nicht verlassen. Den betroffenen Geschäften wird finanziell unter die Arme gegriffen.
Schottland geht derzeit den Weg von regional unterschiedlichen Restriktionen. Am Donnerstag wurde ein Stufensystem von 0 bis 4 angekündigt, wobei 4 einem Lockdown entspricht. Bislang ist keine Region in dieser Kategorie. First Minister Nicola Sturgeon erklärte, wenn notwendig würden alle Regionen auf die gleiche Stufe gesetzt. Damit würde aus dem regionalen System effektiv ein landesweites System werden. Würden alle Regionen auf die Stufe 4 gestellt, käme das einem Lockdown in ganz Schottland gleich.
Auch in anderen Ländern wird mittlerweile über das Für und Wider eines Mini-Lockdowns diskutiert. In Deutschland etwa forderte der Virologe Christian Drosten im NDR die Gesellschaft dazu auf, darüber nachzudenken.
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