Editorial / Großbritannien träumt von alter Größe
Wem es als Flüchtling gelungen ist, im Schlauchboot den Ärmelkanal nach England zu überqueren, der hat eine lebensgefährliche Überfahrt hinter sich – ist aber noch längst nicht am Ziel seiner Träume angekommen. Denn das britische Parlament hat nach monatelangem Hickhack das Gesetz verabschiedet, das Abschiebungen illegal eingereister Asylsuchender nach Ruanda erlauben soll.
Stellen Sie sich vor, Sie kommen aus Afghanistan oder Syrien und wollen nach Großbritannien fliehen – und landen schließlich in Kigali, der Hauptstadt von Ruanda. Für viele Menschen ist dies schwer vorstellbar. Großbritanniens Premierminister Rishi Sunak hingegen freut sich über die Möglichkeit, als habe seine Regierung eine lange gesuchte Zauberformel zur Lösung der Asylpolitik seines Landes gefunden.
Dies sei eine „grundlegende Veränderung des globalen Migrationssystems“, sagte der Regierungschef und kleidete die Entscheidung euphemistisch in Worte: Das Gesetz werde Migranten von der gefährlichen Überquerung des Ärmelkanals abhalten und „das Geschäftsmodell der kriminellen Gangs brechen, die sie ausbeuten“. Der Pseudo-Seenotretter und -Schleuserjäger will vor allem Migranten abschrecken: Wenn sie illegal nach Großbritannien kommen, können sie nicht bleiben.
Rishi Sunak erhofft sich damit, rechtzeitig vor den nächsten Wahlen politisch punkten zu können und seine Konservativen aus dem Stimmungstief zu holen. Denn er ist selbst in politischer Seenot. Das neue Gesetz ermöglicht nun die Umsetzung des Asylpartnerschaftsabkommens mit Ruanda. Dieses beinhaltet die Umsiedlung von Asylbewerbern, deren Gesuche das Vereinigte Königreich nicht behandelt, in das ostafrikanische Land. Letzteres entscheidet, ob es den Geflüchteten ein Bleiberecht gewährt.
Das Vorhaben stand schon vor dem Aus, nachdem ein Flug nach Ruanda 2022 vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gestoppt worden war und der Supreme Court in London im November 2023 die Vereinbarung gekippt hatte, weil Mängel im ruandischen Asylsystem festgestellt worden waren und Ruanda nicht als sicheres Drittland eingestuft wurde. Präsident Paul Kagame hat sein Land zwar stabilisiert, nimmt es aber an die Kandare. Der Staatschef regiert autoritär. Ihm werden Wahlmanipulation und die Unterdrückung der Opposition vorgeworfen. Ruanda ist vor allem für Menschen sicher, die das System nicht infrage stellen. Für die Umsetzung des Asylabkommens bekommt es viel Geld. Großbritannien hat einen mit 430 Millionen dotierten Fonds für Ruanda geschaffen, der unter anderem in Bildung und Gesundheit fließen soll. Weiteres Geld soll folgen.
Der Ruanda-Deal ist nicht nur teuer, sondern verletzt die Menschenrechte, wie der Völkerrechtler Holger Hestermeyer gegenüber dem Tageblatt betonte. Die britische Regierung höhlt zudem die Rechtsstaatlichkeit aus. Darüber hinaus kann das Vorhaben einen gefährlichen Präzedenzfall darstellen und andere Länder auf ähnliche Ideen bringen. Einige in Sunaks Konservativer Partei scheinen von einer Zeit zu träumen, in der die Briten über ein Kolonialreich herrschten, „in dem die Sonne nicht untergeht“. Nicht zuletzt handelt es sich um nichts anderes als das, was die Europäische Union, aus der Großbritannien bekanntlich ausgetreten ist, schon längst macht: schmutzige Geschäfte mit autoritären Herrschern, die in eine fragwürdige Abhängigkeit von diesen führen – und das alles auf dem Rücken von Migranten.
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