Berlinale / Große Enttäuschungen und kleine Überraschungen
Die großen Namen enttäuschen, dafür überrascht die französische Komödie: Matteo Garrones „Pinocchio“ verpasst die Chance, aus der Vorlage mehr als einen netten Kinderfilm zu machen, Abel Ferraras meditative Meditation zwischen David Lynch, Lars von Trier und Terrence Malick verstört nicht ausreichend, um Interesse zu wecken, und das Regie-Duo Benoît Delépine und Gustave Kervern überzeugt mit einer herrlich absurden und im Grunde genommen tieftraurigen Komödie über die Folgen der Digitalisierung.
„I want my pussy back“: „Effacer l’historique“ est une fable délirante sur l’enfer de la digitalisation
Marie (Blanche Gardin), Christine (Corinne Masiero) et Bertrand (Denis Podalydès) se sont rencontrés lors d’une manifestation des Gilets jaunes non loin du faubourg paumé aux maisonnettes préfabriquées où ils habitent. Depuis, ils sont liés par cette sorte d’amitié du désespoir qui peut s’établir entre personnes irrémédiablement fauchées.
Marie (Blanche Gardin) vit seule depuis la rupture avec son mari. Après une sortie en boîte trop éthylique, un étudiant tordu la fait chanter en menaçant de mettre en ligne une sex-tape qui la montre ivre et déguisée, vision qu’elle voudrait bien épargner à son fils. Christine, qui travaille comme chauffeuse pour un service de type Uber, ne coltine que des ratings à une étoile, raison pour laquelle elle a de moins en moins de clientèle. Et Bertrand a envoyé 42 lettres recommandées à Facebook depuis qu’une camarade de classe de sa fille a mis en ligne une vidéo d’un harcèlement dont sa progéniture est la victime.
Ils sont tous trois atteints de pathologies contemporaines: Christine a perdu son boulot dans une centrale nucléaire parce qu’elle est devenue tellement accro aux séries qu’elle regardait l’écran de son ordinateur plutôt que l’écran de surveillance (résultat: un accident de réacteur, vite camouflé comme le sont tous les petits incidents nucléaires en France), Bertrand est tombé amoureux de la voix de Miranda, une vendeuse-colporteuse qui essaie de vendre des vérandas par téléphone et Marie, incapable d’admettre sa solitude, feint de dîner tous les soirs en présence de son mari, à qui elle fait la conversation à sens unique, le mari absent étant aussi et logiquement un peu muet.
Ensemble, ils se rappellent leur révolte glorieuse de Gilets jaunes – et décident de ne pas se laisser faire, l’un des enjeux du film étant d’infiltrer un data center en Californie afin d’y effacer les vidéos compromettantes qui circulent sur la Toile et dans les Nuages de Google.
Lors de leur odyssée, ils rencontreront un hacker qui se fait passer pour Dieu et qui vit dans une éolienne, un fraudeur qui profite de la digitalisation pour tricher sur les formulaires d’allocutions d’aides sociales, un livreur surmené et un client suicidaire (l’un est Benoît Poelvoorde, l’autre Michel Houellebecq, on vous laisse deviner qui joue quel rôle).
Les situations que développe le film sont connues – les files d’attente interminables et hors de prix sur les numéros payants de votre banque, la clôture des bureaux de poste et les trajets interminables qu’il faut effectuer pour en dégoter un qui ne soit pas fermé, les boulots de merde qu’on se tape, les mots de passe qu’on oublie.
Mais quelque chose de plus inquiétant perce dans les brèches même de cette hilarité qui vous gagne à mesure que le film progresse: s’il n’y avait pas ce talent indéniable des trois comédiens (et des caméos), s’il n’y avait pas ce sens formidable pour l’autodérision, „Effacer l’historique“ serait triste à pleurer. Car le monde qu’il décrit correspond point par point à cet enfer digital dont nous sommes nous-mêmes les architectes.
Ainsi, quand un livreur accepte un café et que Marie en reverse sur sa fiche de livraisons, il commence à pleurer: son patron saura qu’il a pris un café quelque part, ce sera le licenciement immédiat.
C’est dans son côté survolté, hyperbolique, idiot, et radicalement déjanté que le film touche au génie – car il faut accepter que ce monde survolté, hyperbolique et idiot, nous y vivons déjà. Quand à la fin du film perce enfin un peu de beauté, l’on peut trouver ça mièvre et kitsch – signe qu’on est désabusé par le monde digital où la coolitude passe avant tout – ou alors l’on peut considérer qu’un peu de douceur dans un monde brutal, inhumain et sans pitié, ça peut faire du bien.
Effacer l’historique, par Benoît Delépine et Gustave Kervern
En compétition
A voir (absolument) au LuxFilmFest en mars
Unartige Kinder: Matteo Garrones „Pinocchio“ ist ein netter, aber belangloser Kinderfilm
Nach dem überzeugenden „Dogman“ kehrt Matteo Garrone mit einer Verfilmung von Collodis Klassiker „Pinocchio“ zurück. Der Film beginnt mit einem Slapstick-Moment: Um Geld zu verdienen, begibt sich der arme Tischler Gepetto (Roberto Benigni) in ein Wirtshaus und versucht, dem Besitzer weiszumachen, dass Tisch, Stuhl und Tür unbedingt einer Reparatur bedürfen, indem er an ihnen zu rütteln beginnt und Defekte sucht. Der Wirt, unbeeindruckt, stellt ihm eine Suppe auf den Tisch und meint, er solle bloß die Klappe halten, dann müsse er für die Verspeisung auch nichts zahlen.
Ein paar Szenen danach schnitzt Gepetto aus magischem Holz eine Puppe – und wünscht sich nichts sehnlicher, als dass diese zum Leben erwacht. Als dies passiert, läuft er triumphierend durch das Dorf und verkündet jedem die frohe Geburt. Wenig später merkt er allerdings, dass sein neugeborener Sohn sowohl unartig als auch naiv ist – seine frisch geschnitzten Beine nutzt er, um sich davonzumachen, sein Schulbuch verkauft er, um einem Puppentheater zu folgen.
Als der Theaterdirektor Mangiafuoco (zu deutsch: „Feuerschlucker“) ihn erst mit auf Tournee nimmt und ihn dann verheizen will, weil ihm kalt ist, gelingt es Pinocchio, den groben Bösewicht so zu rühren, dass dieser ihm seine Freiheit wiederschenkt und sogar Geld für seinen armen Vater schenkt. Frei nach dem pikaresken Genre gerät Pinocchio dann aber in die Fänge von Fuchs und Kater, die ihn erst anlügen, dann bestehlen und ermorden wollen.
Garrones „Pinocchio“ bleibt sehr nahe an der Textvorlage, will durch seine fantastischen Szenerien und Effekte bestechen, viel mehr als die Moral, die ihm die sprechende Grille zu Beginn auf den Weg gibt (in etwa: „Mit unartigen Jungen, die den Eltern nicht gehorchen, wird es böse enden“), fällt dieser neuen Adaptierung allerdings nicht ein.
Auch Benignis besorgter Gepetto, der diesem Kinderfilm eine zusätzliche Tiefe hätte verleihen können, ist leider oft überspielt – die Gefahr, wenn man Benigni castet, ist halt, dass dieser nur klassischen Benigni spielt. Auch wenn es begrüßenswert ist, dass Garrone sich von seinen Mafiafilmen und soziologischen Milieustudien löst, um mal etwas ganz anderes zu wagen – gewalttätige, dunkle Filme gelingen dem Regisseur deutlich besser.
Pinocchio, von Matteo Garrone
Berlinale Special
Kann man (mit den Kindern) beim LuxFilmFest im März sehen
Jack London auf LSD: Abel Ferraras Alterswerk „Siberia“ ist zusammenhanglos, (streckenweise) faszinierend und grotesk
Zu Beginn von „Siberia“ befindet sich Clint (Willem Dafoe) in einer abgelegenen Hütte in einer eisigen, gottverlassenen Gegend. Eine Off-Voice bildet den erzählerischen Rahmen – als junger Knabe war er dort manchmal mit seinem Vater und Bruder, die drei gingen fischen, es war, wie Clint sich erinnert, die einzige virile Aktivität, an die er sich erinnern kann. Diese klassische Erzählweise ist trügerisch, wird sie doch bereits nach der ersten Filmminute abgebrochen.
Clint ist nun Kellner in dieser Hütte, in die sich die lokale Bevölkerung der Inuit und ein paar Touris, die auf extreme Kälte und Isolation stehen, auf einen Schnaps verlieren. Eine alte Frau taucht in Begleitung einer jüngeren, schwangeren Frau auf, die drei trinken Vodka-Shots (einige davon hätte der Zuschauer eigentlich vor dem Film auch trinken sollen, um sich besser auf den darauffolgenden filmischen Rausch einzustellen), Clint küsst den Bauch der Frau, der begleitende russische Dialog kommt ohne Untertitel aus und zieht dem Zuschauer daher den letzten semantischen Halt unter den Füßen weg. In der darauffolgenden Nacht werden die Frauen von Bären überfallen, eine brutale, albtraumhafte Szenerie zeigt den ausgeweideten Körper der schwangeren Frau.
Was folgt, ist eine lose Aneinanderreihung an Traumsequenzen und Flashbacks: Clint stapft durch die arktische Kälte und trifft immer wieder auf ein Rudel Huskys, in der Wüste begegnet er Schamanen, irgendwann verirrt er sich in einer Höhle, die aus der Fantasiewelt eines Hieronymus Bosch entsprungen sein könnte und trifft auf tote, redende Fische, während ein Black-Metal-Soundtrack unheilvoll im Hintergrund wie ein Gewitter ausbricht. Dazwischen vögelt er sich durch fast alle Ethnien, der Poesie der Bilder steht die narrative Auflösung entgegen, der einzige rote Faden ist das lose, inkonsistente Ich von Clint, der durch die Hölle des eigenen Unterbewusstseins wandert.
Der Film wirkt von den Bildern und der Sinnauflösung her manchmal wie eine Mischung aus den Welten von David Lynch, Terrence Malick und Lars von Trier, ohne einen minimalen erzählerischen Rahmen verliert man allerdings irgendwann das Interesse – diesen Film hat Ferrara für sich und Dafoe gemacht, bei aller Poesie zerfällt der Streifen irgendwann in Fragmente von metaphysischem Nonsens und esoterischer Belanglosigkeit.
„Siberia“, von Abel Ferrara
Wettbewerb
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